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Österreichischer Bundeskanzlerkandidat Kern
"Die SPÖ wird die Reihen hinter ihrem neuen Parteichef dicht schließen"

Der österreichische Bahnchef Christian Kern sei als Kandidat für das Bundeskanzleramt der "gemeinsame Nenner" und offenbar "am ehesten konsensfähig" innerhalb der SPÖ gewesen, sagte der Politologe Peter Filzmaier im DLF. Die SPÖ werde nun geschlossen hinter Kern auftreten - ansonsten wäre sie "ein politisches Selbstmordkommando als Partei", so Filzmaier.

Peter Filzmaier im Gespräch mit Sandra Schulz | 12.05.2016
    Der designierte österreichische Kanzler Christian Kern.
    Christian Kern, Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), soll neuer Regierungs- sowie Parteichef der SPÖ werden. (picture alliance/dpa - Helmut Fohringer)
    Sandra Schulz: Vor der Sendung habe ich mit dem Politikwissenschaftler Peter Filzmaier gesprochen. Er ist Professor für Demokratiestudien und Politikforschung an der Donau-Universität Krems und für politische Kommunikation an der Karl-Franzens-Universität Graz. Ich habe ihn gefragt, was einen Bahnchef für das Amt des Bundeskanzlers qualifiziert.
    Peter Filzmaier: Ein Politiker muss neben der Fachkompetenz, wo er dann eher Generalist ist, ja auch Management und Kommunikationskompetenz haben. Management-Kompetenz, weil egal ob er Budget oder Personal bewertet: Man managt einen riesigen Bereich. Und Kommunikations-Kompetenz, weil es nun einmal ein öffentliches Amt ist. Insofern ist ein Bahnmanager, der früher auch Pressesprecher selbst war, nicht eine so absurde Idee.
    Schulz: Jetzt hat Kern die österreichische Bahn ja wieder in die Gewinnzone geführt. Wird er das bei der SPÖ auch schaffen?
    "Etwas seltsam, dass die logische Wahl jemand von außen sein musste"
    Filzmaier: Er hat das geschafft, die Bahn in die Gewinnzone zu führen, weil er ein gutes Verhältnis zur Politik und auch zur SPÖ hatte, denn die Bahn ist ja auch mit Staatssubventionen nur tragbar. Sonst würden sich manche Nebenstrecken nicht rechnen. Und man kann nur ein erfolgreicher ÖBB-Manager sein, wenn man mit der Politik in einem guten Dialog und wenn auch harten, aber doch laufenden Verhandlungen steht. Insofern hat er die Kontakte und hat sich da schon bewährt.
    Schulz: Was bringt er der SPÖ?
    Filzmaier: Bei der SPÖ ist es etwas seltsam, dass die logische Wahl jemand von außen sein musste. Er ist der gemeinsame Nenner. Ob der kleinste oder größte gemeinsame Nenner, wird sich erst zeigen. Aber logische Nachfolger - wenn der Bundeskanzler geht, dann ein Minister als Nachfolger oder ein mächtiger Landesparteichef -, die kamen offenbar nicht in Frage, weil intern zu umstritten. Als jemand, der zwar seine frühen Wurzeln in der Partei hat und doch etwas von außen nun kommt, war er offenbar am ehesten konsensfähig.
    Schulz: Das wollte ich Sie gerade fragen. Ist es denn überhaupt jemand, der von außen kommt, oder war nicht umgekehrt eher die Zeit bei der ÖBB - das waren ja nur sechs Jahre -, war das nicht eher der Ausflug?
    Filzmaier: Die Wurzeln liegen doch in der unmittelbaren Politik etwas länger zurück. Er war auch vorher bereits in Vorständen von Unternehmen, wenn auch staatsnah als Manager tätig. In jungen Jahren war er Pressesprecher eines Staatssekretärs, ist mit diesem dann auch ins Parlament - er wurde Clubobmann, der damalige Staatssekretär Kostelka - gegangen und hat dort Erfahrungen in der Politik unmittelbar gehabt. Das liegt aber nicht Jahre, sondern Jahrzehnte zurück. Also man muss ihn doch halb von außen bezeichnen.
    "Koalitionspartner ÖVP will Kern keine Profilierungschance geben"
    Schulz: Und ist es dann auch der Neustart, der ja von vielen Seiten auch gefordert wurde, oder auch aus der SPÖ?
    Filzmaier: Die SPÖ wird die Reihen hinter ihrem neuen Parteichef Christian Kern sicher dicht schließen. Wenn sie jetzt nicht geschlossen auftreten, dann wären sie ein politisches Selbstmordkommando als Partei. Nur ob ein Neustart der Regierung gelingt, das hängt ja auch vom Koalitionspartner ÖVP ab, und diese beiden Partner, Sozialdemokraten und Christdemokraten, misstrauen sich zutiefst.
    Und erste Wortmeldungen des "Partners" ÖVP zeigen schon in die Richtung, man will dem Neuen, Christian Kern, keine Profilierungschance geben und schießt schon ziemlich scharf. Das mag im Parteienkonflikt logisch sein; als Regierung müsste man gegen den eigentlichen Gegner Oppositionsparteien aber viel einheitlicher auftreten. Das ist in den letzten Jahren nicht gelungen. Ob es nun mit neuen Personen gelingt, ist offen.
    "Nochmaliger Kurswechsel der SPÖ in der Flüchtlingsfrage ist nicht möglich"
    Schulz: Da sind wir jetzt direkt auch bei der Flüchtlingsdiskussion. Da heißt es aus der ÖVP ja jetzt schon, man erwarte, dass die SPÖ Kontinuität wahre. Aus deutscher Perspektive musste man sich ja schon fast immer daran erinnern, dass Österreich mit diesem Kurs in der Flüchtlingsfrage einen sozialdemokratischen Kanzler hat. Welche Signale oder welche Weichen wird Christian Kern da stellen?
    Filzmaier: Ein nochmaliger Kurswechsel der SPÖ, der ja zuerst sehr liberal war in der Flüchtlingsfrage, dann viel mehr mit strikteren Kontrollen und so weiter agiert hat, ist nicht möglich. Das wäre ein hoffnungsloses Zickzack in der Wahrnehmung der Wähler. Es ist aber auch zu einfach zu glauben, wenn in der Flüchtlingspolitik Erfolge oder Beruhigung da sind, dann ist das gleichzeitig ein Erfolg der Regierung.
    Das wahre Dilemma ist, dass die Menschen Ängste haben, dass aufgrund vieler Flüchtlinge in ganz anderen Bereichen Probleme auftreten: Auf dem Arbeitsmarkt beispielsweise steigende Arbeitslosenzahlen, wenn anerkannte Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt drängen, eventuell geringere Qualität im Schulsystem, wenn sehr viele Kinder mit nicht deutscher Muttersprache unterrichtet werden müssen. Und da fehlt der Regierung und der SPÖ die glaubhafte Erzählung, dass sie das schaffen. Dort müssen sie "Wir schaffen das!" kommunizieren, nicht nur allein, wie gehe ich an der Grenze mit Flüchtlingen um.
    "Mitte-Rechts-Position" der sozialdemokratischen Wähler bei Ausländer-Fragen
    Schulz: Heißt das denn auch, dass es wirklich möglich ist für eine sozialdemokratische Partei, in dieser Flüchtlingsdiskussion, in dieser Flüchtlingsfrage einen Kurs zu verfolgen, der ja ganz konträr läuft zu dem Verständnis, das Sozialdemokraten anderswo haben von Solidarität?
    Filzmaier: Jein, denn dieses geteilte Verständnis von Solidarität hatte die Sozialdemokratie in Österreich immer schon. Bei Themen wie Sozialpolitik und anderes war man traditionell links. Allerdings bei allem, was mit "Ausländern" zu tun hat, hat eine Mehrheit der sozialdemokratischen Wähler immer schon eine eher Mitte-Rechts-Position vertreten, und immer wieder hat sich die Sozialdemokratie in Wahlkämpfen dem auch angepasst.
    Der burgenländischen SPÖ als Teilorganisation wird vorgeworfen, dass sie sowieso die FPÖ rechts überholen würde. Das kann man jetzt kritisch sehen oder nicht, ideologisch sicher kritisch. Allerdings Rezepte, damit umzugehen, hat die Sozialdemokratie in Österreich immer wieder versucht.
    Schulz: Was heißt diese Positionierung denn jetzt mit Blick auf Ende nächster Woche? Da steht der zweite Durchgang an zur Bundespräsidentenwahl und die Frage, ob der FPÖ-Kandidat Hofer noch zu stoppen sein wird. Wird das jetzt einfacher mit dieser Personalentscheidung, auch mit den Turbulenzen um Faymann, um den Rücktritt Faymanns, oder ist die Situation eigentlich hilflos verfahren?
    Filzmaier: Spekulationen, ob sich der Rücktritt Faymanns und die Nachfolge durch Christian Kern positiv oder negativ für einen der beiden Kandidaten in der Stichwahl des Präsidentschaftswahlkampfs, van der Bellen oder Hofer auswirkt, das halte ich für nicht sehr sinnvoll. Eine unmittelbare Neuwahlankündigung hätte sicher Einfluss gehabt, aber die gibt es bisher nicht und wird es wahrscheinlich nicht geben.
    Sonst kann man ja so oder so argumentieren. Man kann sagen, Norbert Hofer hätte sein Lieblingsfeindbild Faymann verloren; man kann aber genauso sagen, es hilft ihm letztlich doch, denn er hat ja immer gesagt, Faymann gehört weg. Da biegt sich eher jede politische Partei das so zurecht, wie sie es glaubt, dass man wirklich einen Einfluss nachweisen kann.
    Schulz: Der österreichische Politikwissenschaftler Peter Filzmaier hier bei uns im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.