Donnerstag, 18. April 2024

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Österreichischer Ex-Kanzler Schüssel
"Der Multilateralismus ist noch lange nicht tot"

Multilateralismus werde es immer geben, sagte der frühere österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) im Dlf. Viele Probleme, wie zum Beispiel Klimawandel und Handel, ließen sich national nicht lösen. Allerdings sehe sich Europa aktuell mit vielen Fragezeichen konfrontiert.

Wolfgang Schüssel im Gespräch mit Philipp May | 31.12.2018
    Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) blickt zur Seite
    Nostalgie - verständlich, aber gefährlich, meint Österreichs ehemaliger Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (2000- 2007) (imago)
    Das zunehmende Tempo in der Welt führe dazu, dass sich viele Menschen, Parteien, aber auch Politiker nach kontrollierbareren Entwicklungen sehnten, sagte der frühere österreichische Bundeskanzler im Dlf. Als Beispiele nannte er die rasante Entwicklung Chinas als Wirtschaftsmacht, den technischen Fortschritt, Künstliche Intelligenz oder die Informationstechnik. All das führe zu einer Nostalgie bei den Menschen, die zwar verständlich, aber auch gefährlich sei.
    Nostalgie nutzen, um Angst zu erzeugen
    Am Rande der Gesellschaft gebe es Bewegungen, die es verstünden, diese Angst und Nostalgie für sich zu nutzen und die glaubten, das Rad der Entwicklung zurückdrehen zu können. Das sei falsch, glaubt Schüssel. Denn solche Entwicklungen "werden sich nicht bremsen lassen", man könne sie aber in eine richtige Richtung bewegen, sagte er im Dlf.
    Doch vor allem die USA tun sich aus Sicht des früheren österreichischen Bundeskanzlers schwer, dies anzuerkennen. Dort herrsche immer noch der Wunsch, zu alter Stärke und Größe zurückkehren zu können. Doch das sei nicht möglich, denn das Prinzip "America first", aber auch "China first", werde auf den Widerstand der Übrigen stoßen.
    Europa muss sich auf eigene Füße stellen
    Doch auch Europa müsse sich weiterentwickeln, sagte Schüssel im Dlf. Die EU müsse lernen, sich auf eigene Füße zu stellen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Auch müsse Europa lernen, sich der Konkurrenz zu stellen. Das gelte sowohl im wirtschaftlichen, aber auch im politischen Sinne. Daher sei es besonders wichtig, wieder zu lernen, mit einander zu diskutieren - und als Parteien auch wieder unterscheidbarer zu werden.
    Unsicherheiten gab es schon immer
    Der These von Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, die Welt sei heute unsicherer, als noch zu Zeiten des Kalten Krieges widersprach Schüssel im Dlf. Unsicherheiten habe es schon immer gegeben. Im Gegenteil: Europa habe in den letzten 70 Jahren enorme Stärke entwickelt, habe seine Wirtschaftskraft vervielfacht und sei damit genauso erfolgreich wie Israel und China. Vielmehr gehe es nun darum, die richtigen Rezepte zu entwickeln, um auf die Unsicherheiten in der Welt zu reagieren. Ein Rezept: Die EU sollte die Vielfalt zur Stärke machen. Zwar gebe es Fragen, die nur gemeinsam gelöst werden könnten- dazu zählen aus Schüssels Sicht die Flüchtlingsfrage, Fragen der Sicherheit und des Grenz- sowie Klimaschutzes - er hält aber "Homogenität für alle" für das falsche Rezept. Flexibilität sei wichtig, so Schüssel. Man müsse nicht immer auf den Letzten warten.

    Philipp May: Vielleicht wird man später mal sagen, 2018, das war das Jahr, in dem das westliche Staatenbündnis angefangen hat, sich aufzulösen, ausgehend natürlich von der Politik des US-Präsidenten.
    "Wir werden nicht länger die Trottel der Welt sein", so begründete Donald Trump kürzlich bei einem Truppenbesuch den Rückzug der USA aus Syrien. In nur zwei Jahren hat er die Sicherheitsarchitektur vor allem der westlichen Welt auf den Kopf gestellt. Darüber rede ich jetzt mit Wolfgang Schüssel, von 2000 bis 2007 Bundeskanzler der Republik Österreich für die konservative ÖVP, lange Protagonist und immer noch Kenner der weltpolitischen Lage. Guten Morgen, Herr Schüssel!
    Wolfgang Schüssel: Grüß Gott!
    May: Der Multilateralismus, ausgehend von den USA, ist der zum Auslaufmodell geworden?
    Schüssel: Da wäre ich nicht ganz so sicher, aber er ist natürlich unter Druck, das ist gar keine Frage. Den Multilateralismus wird es immer geben. Es gibt die Vereinten Nationen, es gibt internationale Organisationen wie die Welthandelsorganisation. Es gibt die Klimakonferenz. Viele Probleme können gar nicht mehr national, allein bewältigt werden. Daher, der Multilateralismus ist noch lange nicht tot, aber wir sind mit einigen Fragezeichen konfrontiert, und manche Länder wollen einfach ihr "America first", "China first", ihre Nostalgie, zurück zur alten Größe oder zu neuer Größe, zum Hauptthema machen. Das geht natürlich nicht. Das wird auch auf den Widerstand aller Übrigen treffen.
    Nostalgie:"einerseits verständlich, andererseits gefährlich"
    May: Woran liegt das, dass auf einmal dieser Druck so groß geworden ist?
    Schüssel: Das ist eine interessante Frage. Ich glaube, das hängt einerseits mit dem zunehmenden Tempo der Entwicklungen zusammen. Nehmen Sie die technologischen Veränderungen und Verschiebungen, im Computer, in Informationssystemen, in der Artificial Intelligence. Was die Industrie mit der Robotertechnik und Automation gegenwärtig erlebt. Das sind eigentlich derartige – das ist ein solches Tempo, eine solche Geschwindigkeit der Veränderung vor uns, dass sich viele Menschen, auch viele Politiker oder politische Kräfte, Parteien, zurücksehnen zu einer langsameren, überschaubareren und vielleicht sogar kontrollierbareren Entwicklung. Da gibt es eine Art Nostalgie, die einerseits verständlich und andererseits sehr gefährlich ist, denn die Entwicklungen werden sich nicht bremsen lassen. Aber sie können natürlich in eine richtige Richtung geschoben werden oder verändert werden, und wir müssen uns darauf einstellen. Und das Zweite ist mit Sicherheit auch jetzt die politische Veränderung, etwa der Aufstieg Chinas ist in einem derartigen Tempo vor sich gegangen in den letzten 40 Jahren, vor allem in den letzten zehn, 15 Jahren, dass eigentlich alle Voraussetzungen über den Haufen geworfen hat. Und damit umzugehen, tut sich vor allem die bisherige Supermacht Amerika wahnsinnig schwer. Wir Europäer sind da einfacher, wir haben nie Großmachtträume gehabt. Aber wir werden auch lernen müssen, uns auf eigene Füße zu stellen und manche Dinge, die wir bisher anderen überlassen haben, Stichwort Sicherheit, nuklearer Schirm, Verteidigung selber übernehmen müssen. Und das wird auch nicht ganz so einfach fallen, weil wir gewohnt sind in den letzten 20, 30 Jahren, eine Friedensdividende zu genießen, die uns einfach zugefallen ist durch das Ende des Eisernen Vorhangs.
    May: Ich würde noch mal ganz kurz auf den Punkt zu sprechen kommen, den Sie gerade eben angeführt haben, dass die USA insbesondere von China herausgefordert worden ist. Zeigt das sozusagen, dass das Konstrukt der liberalen Demokratie durch den Aufstieg Chinas nicht mehr konkurrenzlos einfach dasteht? Ist das der Grund?
    Schüssel: Gut, konkurrenzlos war eigentlich Demokratie nie. Erinnern Sie sich, vor hundert Jahren hat es drei konkurrierende Ideologien gegeben. Das war einerseits eben die Demokratie, der Liberalismus, der Faschismus, der Kommunismus. Es sind nur zwei weggefallen. Faschismus und Kommunismus sind weggefegt. Und was neu jetzt ist, ist ein Amalgam von, wie es die Chinesen praktizieren, einerseits Marktwirtschaft, aber mit sehr starker staatlicher Komponente und Kontrolle, und natürlich einer rigiden politischen Kontrolle, ausgeübt durch die kommunistische Partei. Das ist neu, und dieser Konkurrenz müssen wir uns stellen.
    Mainstream-Parteien "herausgefordert von den Rändern"
    May: Woran liegt es, dass diese Konkurrenz, diese Unsicherheit, die Sie auch angesprochen haben, insbesondere von der Rechten, in Europa, aber überall in der Welt, wo eigentlich bisher immer das demokratische Modell ja vorherrschend war, so sehr ausgenutzt wird.
    Schüssel: Erstens, die Nostalgie wird vielleicht von rechten populistischen Bewegungen besser kommuniziert und besser ausgenützt. Aber ich warne ein bisschen, das jetzt nur exklusiv der Rechten zuzuschreiben. Es gibt genau solche Tendenzen auf der linken Ebene. Nehmen Sie Jeremy Corbyn in Großbritannien, oder Sanders in Amerika, Tsipras in Griechenland, oder auch in Spanien gibt es ähnliche Entwicklungen. Also Sie haben tatsächlich an den Rändern der Gesellschaft links und rechts populistische Bewegungen, die durchaus nostalgische Züge aufweisen und glauben, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können. Das wird aber nicht gelingen.
    May: Wenn ich ganz kurz da einhaken darf – all diese drei Männer, die Sie genannt haben, Tsipras in Griechenland, Sanders, Corbyn, die stellen ja alle nicht den Multilateralismus in Frage. Der wird tendenziell eher immer von der rechten Seite infrage gestellt.
    Schüssel: Ja, die stellen sehr wohl auch genau das infrage, entschuldigen Sie. Tsipras hat sich massiv sehr lange, bis es dann einfach nicht mehr anders gegangen ist, gegen die Zusammenarbeit mit anderen gestellt und gedacht, er kann sozusagen allein einen Weg gehen, der in Wahrheit nur in den Abgrund geführt hätte. Jeremy Corbyn ist natürlich noch nicht getestet, weil er in der Opposition ist. Aber im Prinzip, dieser Weg würde mit Sicherheit Großbritannien nicht besser, sondern eher ärmer machen. Und das Gleiche gaben Sie in anderen Ländern. Ich glaube schon, dass wir sehen müssen, dass hier ganz prinzipiell die Mainstream-Parteien und -Bewegungen wirklich herausgefordert sind von den Rändern. Und wir müssen wieder lernen, auch Diskussionskultur zu üben, das heißt, uns zu stellen. Man muss sozusagen den Diskurs aufnehmen. Demokratie braucht auch das Drama, braucht die Auseinandersetzung, in einer guten, ordentlichen Form im Parlament. und nicht auf der Straße, in den Talkshows oder in den sonstigen Medien, die uns zur Verfügung stehen. Aber wir müssen uns dem auch stellen. Wir müssen wieder unterscheidbarer werden.
    May: Der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sagt, die Welt ist unsicherer als während des Kalten Krieges, wo es eben immer noch informelle Gesprächskanäle und Kooperation gegeben hat. Sehen Sie das auch so?
    Schüssel: Ja, weil offensichtlich die Militärs hier nicht mehr jene Kanäle zur Verfügung haben, sei es gewollt von der Politik oder ungewollt als Kollateralschaden, wo eigentlich bisher immer auf einer informellen Ebene ganz gut kommuniziert werden konnte. Und das wiederherzustellen, halte ich für ein ganz wichtiges Signal und ein ganz wichtiges Zeichen. Aber ich denke halt ganz generell, dass wir auch in der Vergangenheit immer wieder sehr große Unsicherheiten oder Herausforderungen gehabt haben. Wir sind dreimal knapp an einer Atomauseinandersetzung vorbeigeschrammt, und das ist eigentlich nur durch das Eingreifen mutiger Menschen verhindert worden. Ich glaube nicht, dass wir heute es einfacher haben. Aber wir sollten auch nicht nostalgisch zurückblicken. Es hat gewaltige Veränderungen und Herausforderungen in unserer Geschichte, und wir haben sie eigentlich ganz gut bewältigt. Warum sollte es nicht jetzt auch gelingen, wenn wir die richtigen Rezepte dazu finden?
    EU braucht "Flexibilität und nicht Starrheit"
    May: Was sind denn die richtigen Rezepte?
    Schüssel: Zunächst für Europa gedacht: Wir sind ja recht erfolgreich. Wir haben seit der Gründung der Europäischen Union einen ähnlichen Aufstieg hingelegt, in einem etwas längeren Zeitraum, in 70 Jahren, wie die Chinesen in 40 Jahren. Wir haben unsere Wirtschaftskraft vervielfacht und sind eigentlich genauso erfolgreich gewesen wie Länder wie Israel oder wie China. Das vergisst man immer wieder. Wir haben uns von sechs auf 27 oder noch immer 28 entwickelt, wir haben heute auf der ganzen, mit der halben Welt Freihandelsverträge, weit mehr als jede andere Nationengruppe oder jede andere Nation der Welt. Und wir sind daher eigentlich sehr erfolgreich gewesen. Und ich glaube, in der Zukunft sollten wir diese Flexibilität beibehalten. Flexibilität und nicht Starrheit wird die Europäische Union in Zukunft retten. Also zum Beispiel die von manchen vertretenen zentralistischen Antworten, man soll überall die Einstimmigkeit abschaffen oder die europäische Armee schaffen oder Sanktionen gegen Missverhalten im Inneren oder im Äußeren, wo immer es geht, einsetzen. Man braucht eine europäische Regierung, die Nationen sollen abgewertet werden. Ich halte das für falsch. Ich denke, dass wir die Vielfalt zur Stärke machen müssen. Das heißt schon, dass wir viele Dinge, die wir allein nicht, die jede Nation allein nicht bewältigen kann, gemeinsam lösen. Handelsfragen, auch Sicherheitsfragen, Flüchtlings-, Außengrenzschutz, all diese Themen kann man gemeinsam besser lösen. Aber sozusagen eine zentralistische Antwort oder Homogenität für alle, das ist, glaube ich, ein falsches Rezept. Also, flexibler bleiben, mehr Kooperation, mehr Koordination, mehr Gespräche intern, auch wenn es schwierig ist.
    May: Jetzt sagen aber viele, dass gerade solche Prinzipien in der EU wie das Prinzip der Einstimmigkeit eher dazu führen und dazu geführt haben, dass die EU eigentlich in einem Zustand der Dauerblockade ist und gerade nichts vorwärtsgeht.
    Schüssel: Das glaube ich nicht. Wenn man die Gespräche sucht und nicht versucht, auszugrenzen, wie das ja auch manchmal geschehen ist – nehmen Sie nur die Mehrheitsbeschlüsse, die hat es ja gegeben, die Mehrheitsbeschlüsse in der Flüchtlingsverteilung. Das funktioniert nicht. Es wird von den Menschen, von den Bevölkerungen, nicht hingenommen und führt dann zu dramatischen Verwerfungen. Diese Beschlüsse werden dann einfach nicht umgesetzt. Dann muss man mehr im Gespräch bleiben und mehr miteinander reden. Das heißt nicht, dass man nicht – und da kann man ja durchaus etwa Koalitionen finden von Willigen, die schneller vorangehen wollen. Also diese Flexibilität ist wichtig. Man muss nicht immer auf den Letzten warten. Aber die erzwungene Einstimmigkeit oder quasi der Beschluss, etwas durchsetzen, par ordre du Mufti, von oben, Top-down etwas zu erzwingen, wofür einzelne Länder oder die Bevölkerungen auch insgesamt gar nicht bereit sind, das halte ich für falsch. Ich bin sehr dafür, zum Beispiel militärisch zu kooperieren. Aber mir gefällt die Idee einer Armee der Europäer viel besser als die europäische Armee, wo dann einer den Einsatzbefehl gibt, und alle anderen müssen mitrennen. Das wird auch in kurzer Zeit nicht zu machen sein. Daher, schrittweise etwas zu entwickeln. Es entwickelt sich ohnedies in eine gemeinsame Richtung. Wenn Sie daran denken, wo Europa vor 20 oder vor zehn Jahren gestanden ist, und was wir heute alles gemeinsam machen.
    "Es gibt rote Linien gegenüber allen Radikalen und Extremen"
    May: Herr Schüssel, Sie haben jetzt ein paar Köder gelegt in diesem Gespräch. Unter anderem haben Sie gesagt, man sollte nicht ausgrenzen oder Länder bestrafen. Da denke ich natürlich auch an Ihre eigene Geschichte. Sie waren damals, 2000, der erste Regierungschef, der den Tabubruch gewagt hat, eine Koalition mit den Rechtspopulisten zu schmieden. Damals hat es eben tatsächlich noch diese Ausgrenzung auch auf institutioneller Ebene in der EU gegeben. Jetzt regiert ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz wieder mit der FPÖ und ist damit längst salonfähig. Zu Recht?
    Schüssel: Ja, selbstverständlich. Abgesehen davon haben ja die Sanktionen im Jahr 2000 nicht einmal ein Dreivierteljahr gehalten, weil man ja Gott sei Dank dann auch in anderen Hauptstädten eingesehen hat, dass das überhaupt keinen Sinn macht. Das sind demokratische Entscheidungen gewesen. Und offen gestanden, jede Partei, die in einer Demokratie ins Parlament gewählt wird, also demokratisch legitimiert ist, hat damit natürlich auch die Möglichkeit, in einer Regierung, sei es einer Provinzregierung oder in einer Regionalregierung oder auf der Bundesebene, nationalen Ebene mitzubestimmen. Und es steht anderen einfach nicht zu, darüber zu urteilen. Das ist eine demokratische Entscheidung der jeweiligen Bürger, und die ist ernst zu nehmen. Abgesehen davon macht das, finde ich, Bundeskanzler Kurz hervorragend.
    May: Dann frage ich jetzt noch mal zum Abschluss dieses Gesprächs ganz allgemein: Gibt es im Jahr 2018 noch rote Linien im Umgang mit Rechtspopulisten?
    Schüssel: Es gibt, glaube ich, rote Linien gegenüber allen Radikalen oder allen Extremen, und diese roten Linien müssen auch verteidigt werden. Da muss man aufstehen und muss sich drum kümmern, dass man auch die Mehrheit in den jeweiligen Bevölkerungen erreicht und mitnimmt. Das halte ich für das Entscheidende. Nicht zu diskutieren oder diese Auseinandersetzung nicht zu führen, halte ich eigentlich für das Allergefährlichste. Gilt übrigens natürlich auch im internationalen Maßstab. Auch hier ist Europa gefordert, gegenüber Ländern, die sich in einer sehr artikulierten Art und Weise gegenüber Menschenrechten oder gegenüber Nachbarrechten, Minderheitenrechten äußern, negativ äußern, dass man hier auch wirklich die Stimme erhebt und umgekehrt Partner sucht. Europa wird in den nächsten Jahren massiv dran arbeiten, neue Partner und Partnerschaften zu entwickeln und zu finden, in Afrika etwa oder auch in Asien. Und wir müssen auch versuchen meiner Meinung nach, die Russen nicht einfach von vornherein in die Arme als Juniorpartner der Chinesen zu treiben. Das heißt nicht, dass wir tolerieren dürfen, was nicht tolerabel ist –
    May: Was wäre denn nicht tolerabel?
    Schüssel: – und dass wir trotzdem Wege finden müssen, mit diesen Ländern im Gespräch zu sein.
    May: Wolfgang Schüssel, ich würde gern noch länger mit Ihnen reden, aber wir sind schon so lang. Deswegen machen wir jetzt an dieser Stelle mal einen Punkt. Das Jahr ist ja auch bald vorbei. Herr Schüssel, vielen Dank für das Gespräch, und Ihnen einen guten Rutsch!
    Schüssel: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.