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Östliche EU-Länder
Abhängig von Putins Gas

Kommunikationsprobleme mit der EU, gute Verbindungen aus der Ostblockzeit und Russland, das in der Not einspringt. Das sind die Gründe, warum viele südosteuropäische Staaten stark von russischen Energielieferungen abhängig geworden sind. Eine Partnerschaft, bei der so manches Land bald im doppelten Sinne kalte Füße kriegen könnte.

Von Jan-Uwe Stahr | 15.09.2014
    Russlands Präsident Putin im Jahr 2011 bei der Inbetriebnahme einer Pipeline in Wladiwostock.
    Russlands Präsident Wladimir Putin setzt Gasvorkommen seines Landes als Druckmittel ein (afp / Dimitry Astakhov)
    Zu gut einem Drittel bezieht Deutschland sein Erdgas aus Russland. In den ost- und südosteuropäischen EU-Ländern ist diese Energieabhängigkeit deutlich größer: Die baltischen Länder, Polen, die Slowakei und Bulgarien sind bei ihren Gasimporten zu 100 Prozent auf den russischen Staatskonzern Gazprom angewiesen. Bei Ungarn sind etwas weniger, 70 Prozent. Dafür spielt das Erdgas dort eine überragende Rolle im Energiemix: Fast jedes, noch so kleine Dorf ist dort an das Gasnetz angeschlossen und heizt mit der einstmals billigen Energie. Nationale Egoismen und eine fehlende gemeinsame Energiepolitik haben dazu geführt, dass sich die osteuropäischen EU-Länder bisher nicht unabhängiger von Russland machen konnten. Ungarn zumindest, scheint das auch gar nicht mehr zu wollen. Hier praktiziert die Regierung statt dessen einen fragwürdigen Energiepopulismus.
    Kraft der Heiligen Barbara versagt bei Energiepolitik
    "Das ist unsere heilige Barbara, die Schutzpatronin aller Bergleute", sagt Attilla Holoda, holt eine etwa 30 Zentimeter hohe Holzfigur vom Aktenschrank, stellt sie vor sich auf den Tisch.
    Santa Barbara schützt auch die Bergleute in der Öl-und Gasindustrie, betont der gelernte Bergbauingenieur. Aber gegen die Gefahren einer kurzsichtigen Energiepolitik scheint die Kraft der Heiligen nicht zu helfen, räumt er ein. Attila Holoda weiß, wovon er spricht: Bevor er sich als unabhängiger Berater für Energie- und Bergbau-Unternehmen in Budapest selbstständig machte, war der ehemalige Produktionsmanager des ungarischen Gas-und Erdölkonzern MOL für die ungarische Regierung tätig. Als stellvertretender Staatssekretär für Energiefragen.
    "Ich war auch für die Verbindungen zur Europäischen Union zuständig."
    Sagt Holoda. Vor allem für einen besseren und schnelleren Ausbau der europäischen Gaspipeline-Netze wollte er sich starkmachen. Nicht nur Ungarn, das etwa 70 Prozent seiner Gasimporte aus Russland bezieht, drängte schon lange darauf; auch Polen, das noch abhängiger von Russland ist.
    "Wir wollten die Abhängigkeit von der russischen Energie verringern."
    Sagt Holoda. Auch die EU unterstützte dieses Bestreben. Aber dann musste der Ingenieur erleben, dass in der Politik Worte nicht gleich Taten sind. Vor allem beim Gas. Beispiel "Nabucco": Das europäische Pipeline-Projekt, das nicht-russisches Gas vom Kaspischen Meer über Südost-Europa in die EU leiten sollte.
    Deutschland bezieht nur 30 Prozent Gas aus Russland
    "Deutschland war ein großer Fan von Nabucco. Aber diese Unterstützung bestand nur aus Worten. Und niemand wollte sein Geld dafür ausgeben."
    Deutschland, das seine Gasimporte lediglich zu 30 Prozent aus Russland bezieht, baute stattdessen seine eigene Ostsee-Pipeline nach Russland - die North-Stream. Das Nabucco-Projekt, von dem viele Länder in Südost-Europa profitiert hätten, scheiterte schließlich im vergangenen Jahr - ein Rückschlag für die Unabhängigkeitsbestrebungen von Russland. Aber auch mit der Solidarität untereinander war es bei den Balkanländern nicht weit her: Pipelines kamen nicht zustande, die Kroatien, Ungarn und Rumänien in beiden Richtungen miteinander verbinden sollten und so auch eine Vernetzung ihrer nationalen Gasvorräte ermöglicht hätten. Jeder wollte nur Gas vom Nachbarn beziehen, selber aber nichts abgeben. Das macht es dem mächtigen Gaslieferanten Gazprom aus Russland leicht, die Geschäftsbedingungen zu diktieren. Beim Preis oder bei der geplanten South-Stream-Pipeline, bei der Gazprom federführend ist.
    "Die Russen waren sehr clever. Sie erkannten sofort, dass ein es großes Kommunikation-Problem zwischen den zentraleuropäischen Ländern und der Europäischen Union gibt. Gleichzeitig haben alle früheren Ostblockländer, historisch bedingt, die bessere Verbindung nach Russland, und das nutzten die Russen und sie nutzen es noch immer. Nach dem Prinzip: Teile und herrsche."
    Den ungarischen Ministerpräsidenten, Viktor Orbán, konnte der gewiefte Energiestratege Wladimir Putin auch bei der zukünftigen Stromversorgung auf seine Seite ziehen: Russland will in Ungarn ein neues Atomkraftwerk bauen und vorfinanzieren. Als der für Ungarn womöglich sehr teure Atom-Pakt im Frühjahr geschlossen wurde, hatte Energie-Experte Holoda seinen Politikposten als stellvertretender Staatssekretär bereits entnervt aufgegeben. Jetzt wirft er der Orbán-Regierung einen "Energiepopulismus" vor, der noch gefährlicher werden könnte als die Abhängigkeit von Russland: Noch kurz vor den letzen Wahlen im Frühjahr ließ Orbán nämlich die Gas- und Strompreise senken - per Gesetz. Die tatsächlichen Kosten werden nun über den Staatshaushalt finanziert. Damit verstoße Ungarn nicht nur bewusst gegen EU-Bestimmungen, es setze auch seine Versorgungssicherheit aufs Spiel, sagt der jetzt unabhängige Energieexperte Attilla Holoda:
    "Vor allem wegen der niedrigen Preise. Weil die ungarische Regierung dann nicht mehr genug Steuermittel für den Unterhalt der Gas- und Stromleitungen zur Verfügung hat. Ich sage voraus, dass Ungarn in zwei bis drei Jahren ein dunkles Loch mitten in Europa sein wird."