Dienstag, 16. April 2024

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Oettinger als Haushaltskommissar
"Das war ein diplomatischer Fehler"

Die Entscheidung, Günther Oettinger zum Haushaltskommissar der EU zu machen, sei ein Fehler gewesen, sagte Daniel Gros, Direktor des Center for European Policy Studies, im DLF. Damit sei der Eindruck erweckt worden, dass Deutschland eine weitere entscheidende Machtposition in der EU übernehme. "Deutsche am Geld", das sei vielen suspekt.

Daniel Gros im Gespräch mit Doris Simon | 29.10.2016
    Daniel Gros spricht bei einer Diskussionsrunde
    Daniel Gros, Direktor des Center for European Policy Studies (imago / Italy Photo Press)
    Doris Simon: Günther Oettinger, bisher in der Europäischen Kommission zuständig für Digitale Wirtschaft, er wird sich von Januar an um das Haushaltsressort der Europäischen Kommission kümmern. Für viele Deutsche dürfte das gut klingen, wenn europäische Haushalte jetzt von einem Deutschen geleitet werden, wie gesagt, es geht nicht um Wirtschaft und Währung, sondern um die Haushaltspolitik. Daniel Gros ist Direktor des Centre for European Policy Studies in Brüssel und jetzt am Telefon. Guten Tag!
    Daniel Gros: Guten Tag!
    Simon: Herr Gros, ein deutscher Commissaire für die Haushaltspolitik der Europäischen Kommission – auch für den Rest der EU eine gute Entscheidung?
    Gros: Nein, ich glaube, es war auch ein diplomatischer Fehler, denn Herr Oettinger hatte ja dieses Ressort schon mal interim für eine Woche geführt, als Frau Georgiewa in Washington war. Und damals schon gab es große Bedenken, dass halt die Deutschen damit die Macht ergreifen und nicht nur die Sparmeister von Europa sind, sondern auch anderen Ländern vorschreiben, was denn die EU auch dann wo ausgeben darf.
    Simon: Halten Sie denn die Befürchtung für gerechtfertigt?
    Der Eindruck, dass "ein deutsches Europa entsteht"
    Gros: Ich glaube, die Personalie per se ist nicht falsch. Herr Oettinger hat sich bisher als Kommissar gut geschlagen, und er hat auch nicht nur deutsche Interessen vertreten, sondern wirklich an ganz Europa gedacht. Nur gibt es ja immer zweierlei in der Politik: einmal das, was die Sache ist, was die sachlichen Entscheidungen sind, und dann auch den Eindruck, den man erweckt. Und den Eindruck, den man erweckt hat, ist, dass damit Deutschland noch eine weitere entscheidende Machtposition in der EU übernimmt, neben vielen anderen, und dass damit ein deutsches Europa entsteht, und das werden andere nicht akzeptieren.
    Simon: Andere nicht akzeptieren, sagen Sie, tatsächlich ist das eine eigenständige Entscheidung, die der Kommissionspräsident ja fällen kann. Schauen wir noch mal auf das, was Sie auch gesagt haben, es könnte genau andersrum sein. Günther Oettinger muss ja qua Amt eigentlich integrierend wirken, er muss ja als EU-Kommissar die Interessen aller EU-Länder vertreten, nicht nur der Deutschen, er könnte da vielleicht sogar freier agieren.
    Gros: Natürlich, das wäre auch wünschenswert, und es kann natürlich auch sein, dass er sich mit der Zeit das Vertrauen der anderen Staaten erwirbt, aber das wird ein langer Prozess sein, denn erst mal wird man natürlich sagen, Deutsche am Geld, das ist etwas, was uns sehr suspekt ist. Und um diesen Schein, diesen Anschein zu widerlegen, wird es wohl sehr harter Arbeit bedürfen, und in der Zwischenzeit gibt es meiner Ansicht nach einen politischen Schaden.
    Simon: Ich sagte es ja eingangs, es geht nicht um den EU-Kommissar für Wirtschafts- und Währungsfragen – das ist immer der, wenn die 3-Prozent-Grenze nicht eingehalten wird, wenn die Vorgaben nicht eingehalten werden. Was wird Günther Oettinger denn genau tun in seiner Aufgabe?
    "Rein personalpolitisch was das vielleicht gar nicht so verkehrt"
    Gros: Sein Entscheidungsspielraum ist eigentlich sehr begrenzt, aber das wird von außen nicht so wahrgenommen, denn über den mittelfristigen Finanzrahmen entscheiden ja die Staatschefs, die dann festlegen, wie viel die EU über die nächsten sechs, sieben Jahre eigentlich ausgeben darf und wie viel sie einnehmen wird. Er kann an und für sich nur kleinere Summen im jährlichen Haushalt umschichten, aber das wissen viele nicht, und sie denken einfach, aha, da sitzt ein Deutscher jetzt am Geld, der bestimmt, was wo ausgegeben wird, und das ist halt dieser Anschein, der leicht störend wirken kann.
    Simon: Diese Bedenken, die Sie jetzt äußern, die sind ja auch EU-Kommissionspräsident Juncker und seinem Kabinett ganz klar bekannt gewesen, bevor er diese Entscheidung getroffen hat. Warum hat er sie ihrer Meinung nach trotzdem so getroffen?
    Gros: Da kann man nur mutmaßen. Es stimmt natürlich schon, dass Herr Oettinger auch der Kommissar war, der an und für sich auf dem Papier am besten dafür qualifiziert war, denn er hatte schon vorher Interesse am Haushalt gezeigt, er war auch der Älteste sozusagen, der Ranghöchste unter den verbleibenden Kommissaren. Insofern war diese Entscheidung rein personalpolitisch vielleicht gar nicht so verkehrt, aber er hätte auch an die weiteren politischen Weiterungen denken sollen. Man hat ja auch schon gesehen, dass er auch in vielen anderen Fällen politisch vielleicht etwas danebengreift, weil er denkt, mit dieser Entscheidung tue ich Deutschland einen Gefallen – das stimmt vielleicht –, aber damit bringt er natürlich alle anderen Länder gegen sich auf.
    Simon: Schauen wir noch mal auf Günther Oettinger: Was sind über den für Kübel von Hohn und Spott ausgeschüttet worden, als er nach Brüssel ging – sein Englisch, sein Auftreten, seine Interviews –, er hat sich aber, das kann man gar nicht anders sehen, doch eine Menge Respekt in den Jahren dort in dem digitalen Ressort erarbeitet. Können Sie sich vorstellen, dass er das vielleicht trotz dieses schwierigen Starts auch im Haushaltsressort schafft?
    "Er muss vielleicht auch etwas gegen deutsche Interessen agieren"
    Gros: Es ist ihm sicher zu wünschen, und ich glaube, er hat auch die Statur dafür, aber er muss natürlich da fast gegen Windmühlen kämpfen, und das wird sicher nicht sehr einfach sein. Es könnte sein vielleicht sogar, dass er, um sich dieses Vertrauen zu erwecken, sogar etwas gegen deutsche Interessen agieren muss, damit halt dieser Anschein wirklich vollkommen widerlegt wird. Insofern könnte es eigentlich gegen deutsche Interessen sein, dort einen Kommissar zu haben, der vielleicht einen deutschen Pass hat, aber der sich sehr genau überlegen muss, ob er eigentlich auch deutsche Interessen jemals überhaupt in Betracht ziehen darf.
    Simon: Günther Oettinger, der EU-Kommissar für die Digitale Wirtschaft, wechselt ab 1. Januar ins Haushaltsressort der Kommission, eine schwierige Wahl für Oettinger, für die Kommission, aber auch für Deutschland, meint Daniel Gros, der Direktor des Centre for European Policy Studies in Brüssel. Herr Gros, vielen Dank für Ihre Einschätzung!
    Gros: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.