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Oettinger vor EU-Gipfel
"Die EU darf Trumps Spiel nicht akzeptieren"

Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger ruft die Europäer zur Geschlossenheit auf: Das Spiel von US-Präsident Trump laute "teile und herrsche", so der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Dem müsse die Europäische Union Teamarbeit entgegensetzen, sagte Oettinger.

Günther Oettinger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.02.2017
    EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) spricht am 25.01.2017 bei der Eröffnung des 55. Deutschen Verkehrsgerichtstag (VGT) in der Kaiserpfalz Goslar (Niedersachsen).
    EU-Haushaltskommissar Günter Oettinger (dpa / picture alliance / Swen Pförtner)
    Vor dem anstehenden EU-Gipfel hat Günther Oettinger die europäischen Regierungschefs aufgefordert, mit Trump Klartext zu reden: "in der Wortwahl konstruktiv, aber in der Sache hart." Die EU dürfe nicht hinnehmen, dass der US-Präsident weitere Mitgliedsstaaten zum Austritt ermuntere und den Euro schlecht mache. Auch gegen protektionistische Maßnahmen der neuen US-Regierung müssten sich die Europäer wehren: "Wir haben den größeren Markt", so Oettinger im DLF.
    Den Regierungsstil des neuen US-Präsidenten kritisierte Oettinger als "nicht berechenbar, nicht nachhaltig und sprunghaft." Zudem sei das Einreiseverbot für Muslime aus bestimmten Ländern "eine Diskriminierung, die mit den Werten Europas nicht vereinbar" sei. Der neue EU-Haushaltskommissar fordert aber auch mehr Solidarität der EU-Länder in der Flüchtlingsfrage: Wer keine Menschen aufnehmen wolle, müsse auf anderer Ebene mehr tun. "Jeder muss etwas bringen", so Oettinger.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Vor dieser Sendung habe ich mit EU-Kommissar Günther Oettinger gesprochen und den CDU-Politiker gefragt, wie die Europäische Union erreichen will, dass weniger Flüchtlinge über Libyen nach Europa gelangen.
    Günther Oettinger: Wir haben in den letzten eineinhalb Jahren eine Menge von Maßnahmen angestoßen, haben die Grenzschutzbehörde Europas gestärkt, haben mit der Türkei ein Abkommen abgeschlossen, das bisher weitgehend hält. Wir unterstützen Mitgliedsstaaten, die in besonderem Maße bei der Erstaufnahme von Flüchtlingen, bei der Registrierung, bei der Unterbringung, bei der Integration oder auch Rückführung, bei der Befragungsbearbeitung betroffen sind - das sind namentlich Bulgarien, Griechenland und Italien -, geben dorthin auch Geld, geben Fachleute, die die dortigen Behörden beraten, in die Region. Und es geht jetzt auch noch darum, dass wir zur Vermeidung von Flüchtlingen im nächsten Jahrzehnte unsere Entwicklungshilfemaßnahmen europäisch koordinieren und einen gemeinsamen Auftritt in den Nachbarregionen voranbringen: Mali, Niger, Eritrea, Palästina, Ägypten, Libyen etc.
    "Das Beste wäre es, den Schleppern das Geschäft zu nehmen"
    Heinemann: Das ist ja sehr langfristig. Kurzfristig müsste jetzt was passieren. Kann man zum Beispiel den Türkei-Vertrag auf Libyen übertragen?
    Oettinger: Eins zu eins wird dies nicht gehen. Bei aller Kritik an Präsident Erdogan, die Türkei hat eine handlungsfähige Regierung und einen Unterbau mit Polizei und mit Marine, der entsprechende Vertragsverpflichtungen auch erfüllt. Libyen lebt seit dem Tod von Gaddafi und auch schon davor von Milizen. Das ist nicht ein Land, nicht eine Regierung. Aber wir sind dabei, mühsam zu testen, ob für Teilbereiche von Libyen und für Flüchtlingslager dort, die wir menschenwürdig ausstatten wollen, ob es dafür Partner gibt, die uns dies ermöglichen. Und ein weiterer Punkt wäre es, ob die Europäer das Recht erhalten, am Strand von Libyen das Ablegen von Schlepperbooten zu verhindern. Denn klar ist: Ein Schlepperboot mit Flüchtlingen auf hoher See, dies löst Hilfsbedarf aus. Das Beste wäre es, den Schleppern das Geschäft zu nehmen, indem man erst das Ablegen von Schlepperbooten verhindern kann.
    Heinemann: Schauen wir auf die andere Seite. Angela Merkel hat jetzt noch mal gesagt, sie rechnet nicht kurz- oder mittelfristig mit einer gerechten Lastenverteilung bei der Flüchtlingsaufnahme in der Europäischen Union. Wie umgehen mit demokratisch gewählten Regierungen in der EU, die sagen, nein, wir machen da nicht mit?
    Oettinger: Man muss dies einerseits kritisch sehen, aber auch ein gewisses Verständnis haben. Einige neue Mitgliedsstaaten sind rein historisch anders geprägt und haben für das Thema Aufnahme von Einwohnern anderer Religion und Kultur nicht die Offenheit, die Deutschland hat und auch haben muss. Aber wenn dann schon die Quote nicht, wie von uns erhofft, umsetzbar ist, dann müssen diese Länder in anderer Form mehr tun.
    Ein Beispiel: Bulgarien hat große Aufgaben an der Grenze zur Türkei, die Grenze zu sichern und unkontrollierte Zuwanderung von Flüchtlingen zu verhindern. Die Verwaltungskraft Bulgariens ist begrenzt. Hier können Länder mit Geld und mit Fachleuten helfen, um die bulgarische Politik entsprechend zu unterstützen.
    Wir sollten also sagen: Jeder muss etwas bringen. Nicht jeder wird die Quote erfüllen; dann muss er in anderer Form helfen. Und hinzu kommt: Indem wir jetzt aus dem europäischen Haushalt mehr Mittel als jemals zuvor in die Hand nehmen, um Migrationsmaßnahmen zu fördern, um das Abkommen mit der Türkei für mehr Menschenwürde in Flüchtlingslagern in der Türkei durch uns zu finanzieren, finanzieren alle mit. Denn der europäische Haushalt wird von allen Mitgliedsstaaten gefüllt. Auch die, die die Flüchtlingsquote nicht erfüllen müssen, finanzieren so indirekt Migrationsmaßnahmen mit.
    Günther Oettinger (CDU) im Studio des Deutschlandfunks.
    Günther Oettinger (CDU) im Studio des Deutschlandfunks. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    "Indem der US-Präsident sagt, Muslime aus derzeit sieben Ländern kommen nicht mehr, hat er eine Diskriminierung beschlossen"
    Heinemann: Das Ziel ist aber trotzdem, möglichst viele Menschen draußen zu halten. Wie unterscheidet sich eigentlich die europäische Aussperrungspolitik von Flüchtlingen von Donald Trumps?
    Oettinger: Wir sind auch in Zukunft bereit und interessiert, Visa zu erteilen für Bürger aus der ganzen Welt, die Urlaub machen wollen in Europa, die auf Zeit hier arbeiten wollen, die ein Studium, eine Ausbildung eingehen wollen. Und hier ist die Religionszugehörigkeit überhaupt kein Kriterium. Das ist der große Unterschied. Indem der Präsident sagt, Muslime aus derzeit sieben Ländern, vielleicht auch noch mehr Ländern, kommen nicht mehr, hat er eine Diskriminierung beschlossen, die mit unseren Werten Europas nicht vereinbar ist.
    Und zweitens: Flüchtlingsströme zu unterbinden, da sind wir dann glaubwürdig, wenn wir den Menschen dort, wo sie geboren sind, aufgewachsen sind, oder in ihrer Nachbarschaft eine Perspektive geben. Das heißt: Wer die Grenzen dichtmacht und wer damit die Zahl der Asylbewerber verringert, Flüchtlingsströme austrocknet, muss mehr tun, damit Hungersnot, Terrorgefahr oder Armut in jeder Form, Vertreibung oder Religionskriege in diesen Regionen verhindert oder vermindert werden. Das hat mit Entwicklungshilfe und mit dem Aufbau von leistungsfähigen, handlungsfähigen europäischen Armeen zu tun.
    Heinemann: Sie haben eben Kritik an Donald Trumps Politik formuliert. Wie wird eigentlich in der EU-Kommission über ihn gesprochen?
    Oettinger: Wir respektieren die Wahl und ihn als Amtsinhaber und die Regierung und alle Regierungsmitglieder uneingeschränkt. Es war eine demokratische Wahl. Aber wir sehen, dass er dem europäischen Projekt kritisch oder gar negativ gegenübersteht. Indem er weitere Mitgliedsstaaten ermuntert, auffordert, auszutreten, indem er den Euro schlechtmacht und indem er erkennbar Protektionismus anstatt Offenheit der Märkte der USA und Europas favorisiert. Dies müssen wir ernstnehmen und wir müssen wir reagieren. Wir haben den größeren Markt. Der europäische Binnenmarkt ist größer als der amerikanische Markt. Wir haben auch in vielen Sektoren eine leistungsfähigere Industrie, im Fahrzeugbau, in der Chemie, in der pharmazeutischen Industrie, im Maschinenbau, in der Elektrotechnik und in anderen Bereichen. Das heißt, wir sollten zu allererst darauf achten, sein Spiel nicht zu akzeptieren. Sein Spiel lautet: teile und herrsche, divide et impera. Das heißt, es kommt jetzt in Valletta, in Rom, im Europäischen Rat, in allen Gremien Europas, in der Kommission darauf an, dass wir mehr denn je die Vorteile von Gemeinsamkeit herausarbeiten und uns nicht teilen lassen.
    Heinemann: Erhöht denn dieses teile und herrsche die Fliehkräfte in der EU? Ist das erkennbar?
    Oettinger: Das wäre das Ziel derer, die es versuchen. Das macht ja Herr Putin in anderer Form genauso, das machen zum Teil die Chinesen, das wird Erdogan versuchen. Ich glaube, jeder Mitgliedsstaat kann sich kurzfristig einen Feldvorteil erarbeiten, wenn er bilateral ohne EU mit Dritten wie Washington etwas macht. Aber mittelfristig würden wir uns alle schaden. Und deswegen baue ich auf die Klugheit der Staats- und Regierungschefs, die erkennen, im Team sind wir stärker und sind wir gewappnet, sind wir wettbewerbsfähig, und einzeln werden wir auf Dauer nicht mehr wahrnehmbar sein.
    "Deutschland hat den größten Außenhandelsüberschuss aller Volkswirtschaften der Welt"
    Heinemann: Verändert Trump die Weltwirtschaft zu Lasten der deutschen Exportwirtschaft?
    Oettinger: Deutschland ist Exportweltmeister, hat den größten Außenhandelsüberschuss aller Volkswirtschaften der Welt. Das hat zu allererst mit den guten Produkten zu tun. Deutschland ist die Ausrüstungsindustrie für die Welt. Aber klar ist, das sehen einige mit Neid und wollen es verändern, mit Währungspolitik, mit Protektionismus, mit Strafzöllen. Ich bin aber überzeugt davon, dass die amerikanische Wirtschaft und namentlich auch die Digitalwirtschaft weiß, dass sie ihre gute Entwicklung nur genommen hat durch Zugang zu anderen Märkten, durch Export und Import, durch Freizügigkeit für Arbeitnehmer und Ingenieure, für Informatiker. Deswegen ist meine Hoffnung, dass die amerikanische Wirtschaft Herrn Trump von dieser Politik abhält oder zumindest eine Verschärfung seiner Linie verhindern kann.
    Heinemann: Er ist ja ein Fachmann für launige Reden. Wie bewerten Sie seinen Regierungsstil?
    Oettinger: Der ist besonders.
    Heinemann: Was heißt besonders?
    Oettinger: Er ist nicht berechenbar und, ich glaube, auch nicht nachhaltig. Er ist sprunghaft. Und eines weiß ich: Investoren in Arbeitsplätze oder in Infrastruktur oder in Forschung und Innovation brauchen Berechenbarkeit, brauchen Planungssicherheit. So wie Herr Erdogan derzeit Investoren abschreckt, in der Türkei zu investieren, bin ich mir sicher, dass Investitionen aus der Welt in die USA eher zurückgestellt werden. Und deswegen wird Herr Trump mit dieser Methode zu regieren und auch mit dem Stil, den Umgangsformen seinem Land, seinen Arbeitsplätzen und seiner Industrie auf Dauer nicht nutzen, sondern eher Schaden zufügen.
    Heinemann: Gregor Gysi hat bei uns im DLF gesagt, man müsse ihm rotzfrech begegnen. Kann Angela Merkel rotzfrech?
    Oettinger: Das kann Gysi besser als alle anderen. Deswegen mag ich ihn auch. Ich würde sagen, nicht rotzfrech, das wäre falsch. Ich würde uns allen raten, und das macht die Kanzlerin perfekt, Umgangsstil zu wahren, im Stil, in der Wortwahl, diplomatisch und konstruktiv, aber in der Sache glasklar und hart.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.