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Offen, ehrlich, konfrontativ

Manchen Bischöfen geht das, was auf Katholikentagen erörtert wird, entschieden zu weit. Doch die Laien können auf eine lange Tradition ihrer Treffen und eine bestens erprobte Debattenkultur verweisen.

Von Hajo Goertz | 16.05.2012
    "Im Land eines Bischofs Emanuel von Ketteler wird kein rechtlich Denkender es wagen, der Kirche vorzuwerfen, sie habe für die Arbeiterfrage und über sie hinaus für die soziale Frage überhaupt keinen Blick und kein Herz gehabt."

    In seiner Radioansprache an den Katholikentag in Bochum im Jahr 1949 nennt der damalige Papst Pius XII. eines der wesentlichen Themen, das die katholischen Laien nicht erst beim Wiederaufbau nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges beschäftigt. Die soziale Frage bewegt die deutschen Katholiken schon im ganzen Jahrhundert zuvor, seit dem ersten Katholikentag im Revolutionsjahr 1848. Da erklärt Wilhelm Emmanuel von Ketteler, seinerzeit Pfarrer im Münsterländischen und Abgeordneter der Paulskirche, später Bischof von Mainz, die soziale Frage in Staat und Gesellschaft fordere gerade die Kirche heraus. Von dort schlägt Stefan Vesper, heute Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, den Bogen bis zur Gegenwart:

    "Die Laien wollen die Gesellschaft und die Kirche mitgestalten und das entschieden, kompetent. Und deswegen wollen sie sich treffen, um miteinander zu beraten, was die wichtigsten Fragen sind und wie wir Katholiken uns positionieren - zum Wohl von Kirche und Gesellschaft."

    Das Zentralkomitee, das bundesweite Vertretungsorgan der katholischen Laien in Deutschland, führt seine Ursprünge auf die Organisation der Katholikentage zurück. Die Laientreffen bereitet das Zentralkomitee seit über 160 Jahren vor. Historisch bedeutsam an den Anfängen: Erstmals in der Geschichte der Kirche schlossen sich 1848 Laien zusammen, um sich in Politik und Gesellschaft aus ihrem christlichen Selbstverständnis heraus zu engagieren; und das ohne ihre Bischöfe erst um Erlaubnis zu fragen. Bis auf den heutigen Tag wirkt die 1848 geradezu revolutionäre Eigenständigkeit der Laien nach, damals wie heute zum Leidwesen mancher Bischöfe.

    "Ich denke, dass wir in Deutschland diesen Katholikentag haben, ist ein ganz hohes Gut für unsere Kirche."

    Die Laienbewegung war und ist durchaus nicht gegen die Oberhirten gerichtet. Bischof Emmanuel von Ketteler wird eine der prägenden Gestalten der ersten Jahrzehnte. Er nutzt die damals sogenannten Generalversammlungen der Laien, um seine Gedanken über soziale Gerechtigkeit unter das katholische Volk zu bringen. Die Katholikentage ihrerseits werden zum Initiativ- und Kristallisationspunkt katholischer Verbände: der Arbeitervereine, der Handwerkerbewegung unter Adolf Kolping, der karitativen Organisationen unter Prälat Wertmann.

    Die Verteidigung der Kirche gegen staatliche Bevormundung, der Kulturkampf der Bismarckzeit, die Aussöhnung mit der protestantisch geprägten Monarchie des Deutschen Reiches von 1871, die Auseinandersetzungen um die Demokratie der Weimarer Republik - dies alles sind Bewährungsproben für die politische Geschlossenheit der Katholiken. Die Nationalsozialisten erzwingen dann die Unterbrechung der Laientreffen. Beim Aufbau der Bundesrepublik nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, bei der Errichtung eines sozialen Rechtsstaats in Deutschland, können die katholischen Laien Erträge von 100 Jahren gesellschaftspolitischer Arbeit auf den Katholikentagen einbringen.

    Der wohl turbulenteste Katholikentag und zugleich einer der Höhepunkte seiner Geschichte ist das Laientreffen in Essen 1968. Das Zweite Vatikanische Konzil war gerade zu Ende gegangen und hatte ein völlig neues Selbstverständnis von Kirche formuliert: Nicht nur der Klerus, auch die Laien sollten auf einmal für die Kirche verantwortlich sein. Damit schien die römische Bischofsversammlung der 1960er Jahre die Entwicklung des Katholizismus in Deutschland theologisch zu bestätigen. In eine unbändige Aufbruchsstimmung platzt kurz vor dem Treffen in Essen jedoch das Lehrschreiben von Papst Paul VI. Humanae Vitae. Darin untersagt der Papst den Katholiken praktisch, künstliche Empfängnisverhütungsmittel, etwa die Pille, zu benutzen. Viele Gläubige sehen sich in ihrer eigenen Gewissensentscheidung missachtet und begehren auf.

    "Diese Tage haben die erstrebte Konfrontation gebracht, offen und ehrlich, oft hart und unerbittlich, leidenschaftlich und mitunter mitgerissen von der Heftigkeit vorgetragener Argumente haben wir miteinander gearbeitet."

    Fasst Bernhard Vogel, damals Präsident des ZdK und Kultusminister in Mainz, am Schluss die hitzigen Debatten zusammen. Nicht so begeistert zeigt sich der gastgebende Bischof Franz Hengsbach:

    "Wollten wir etwa den Pluralismus der Welt durch einen innerkirchlichen Pluralismus links überholen? Der Grund für die Breite unseres Gesprächs, das gewiss nicht in allem gut geübt und gut gelungen ist, lag viel tiefer, nämlich im Wesen der Kirche."

    Der spätere Kardinal rückt aber auch zurecht:

    "Nicht jede Aussage auf einem Katholikentag ist schon ein Evangelium."

    Das beanspruchen die Laien durchaus nicht auf den Katholikentagen. Doch seit Essen lassen sie sich von den Bischöfen nicht mehr vorschreiben, was sie zu kirchlichen Problemen zu sagen haben und was nicht.

    So sind die Katholikentage der letzten Jahrzehnte fast das einzige, in jedem Fall das breiteste Forum, auf dem auch innerkirchlich umstrittene Fragen wie die verpflichtende Ehelosigkeit der Priester, die Berufung von Frauen zu geistlichen Ämtern und eine stärkere innerkirchliche Mitbestimmung von Laien unverblümt erörtert werden. Eines der wichtigsten Themen der Laientreffen ist immer auch die Ökumene. Die Ökumene hatte bereits Papst Pius XII. angesprochen: in seiner Botschaft für den ersten Nachkriegs-Katholikentag, 1948 an historischer Stätte in Mainz:

    "Wir wissen, wie drängend bei vielen Eures Volkes, Katholiken und Nichtkatholiken, die Sehnsucht nach Einheit im Glauben ist. Wer könnte diese Sehnsucht lebendiger empfinden als der Stellvertreter Christi selbst. Die Kirche umfasst die im Glauben Getrennten mit ungeheuchelter Liebe und mit der Inbrunst des Gebets für Ihre Rückkehr zur Mutter, der Gott weiß, wie viele von ihnen ohne persönliche Schuld fernstehen."

    Die Vorstellung einer Rückkehr-Ökumene legen die katholischen Laien schon bald ab, vor allem in der Folge des Vatikanischen Konzils. Auch die sich immer stärker entwickelnde Zusammenarbeit zwischen dem katholischen Zentralkomitee und dem Deutschen Evangelischen Kirchentag trägt dazu bei. Gerade die zunehmende Religionsferne in der deutschen Gesellschaft fordert nach Ansicht beider Konfessionen dazu heraus, als Christen gemeinsam aufzutreten und zu handeln. So betont beim ersten Katholikentag im Osten Deutschlands nach der Wende, 1994 in Dresden, der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der zuvor auch Präsident des Evangelischen Kirchentages gewesen war:

    "Unter uns in der Christenheit nehmen wir dogmatische Unterschiede ernst, aber sie dürfen doch nicht die Oberhand behalten über die Gemeinsamkeit unserer Existenz, nicht die Oberhand behalten über unseren Glauben an den einen Herrn, den wir teilen. Die Glaubwürdigkeit der Christenheit hängt davon ab."

    Evangelische und katholische Christen gehen in der Ökumene seit Langem mutiger voran, als ihren Kirchenleitungen oftmals lieb ist. Ihr Engagement öffnete auch das Tor zu gemeinsamen Kirchentagen. Die bislang zwei ökumenischen Laientreffen haben ihrerseits auf die konfessionellen Veranstaltungen zurückgewirkt: Katholikentage wie Evangelische Kirchentage sind längst durch und durch ökumenisch geprägt. ZdK-Generalsekretär Vesper:

    "Der Katholikentag thematisiert natürlich alle ökumenischen Fragen, die jetzt im Moment aktuell sind. Wir sind auf einem guten Weg gemeinsam, die Welt und die Kirchen zu gestalten."