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Offensive gegen IS-Miliz im Nordirak
"Die Befreiung Mossuls steht bevor"

Im Nordirak gehen kurdische Kämpfer weiter gegen die Terrormiliz IS vor. Die Stadt Mossul wird als nächstes befreit werden, sagte der Bürgermeister der Nachbarstadt Erbil, Nihad Qoja, im DLF. Er betonte, dass nicht nur die militärische Bekämpfung wichtig sei - es müssten auch politische Entscheidungen getroffen werden, um die Region vor der Miliz zu schützen.

Nihad Qoja im Gespräch mit Jasper Barenberg | 16.08.2016
    Kurdische Kämpfer haben im Nordirak eine Offensive gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gestartet. Hier verlassen einige von ihnen ihren Stützpunkt.
    Kurdische Kämpfer haben im Nordirak eine Offensive gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gestartet. (picture alliance / dpa / Andrea Dicenzo)
    Seine Geburtsstadt Erbil sei dank der Aktionen gegen den IS vor drei Tagen sicherer geworden, sagte Qoja. Erbil liegt rund 80 Kilometer entfernt von Mossul. "Die Gebiete, die zurückerobert wurden, sind auch strategisch sehr wichtig," meint Qoja. "Wir warten darauf, dass Mossul befreit wird." Die Stadt sei an drei Flanken von den Peschmerga umzingelt.
    Kritisch diskutiert werde, ob schiitische Milizen an der Befreiung teilnehmen sollten. Es gebe Bedenken in der Bevölkerung. Denn schiitische Milizen hätten in der Vergangenheit Gräueltaten verübt - und Mossul sei rein sunnitisch.
    Zentralregierung hat die Region benachteiligt
    "Wir wollen die ethnische, multikulturelle Gesellschaft in Mossul schützen," so Qoja. Ziel sei es, dass auch die vertriebenen Jesiden und Christen in die Region zurückkehren könnten.
    Dass der IS im Nordirak soviel Zulauf bekommen hat, liegt laut Qoja auch daran, dass die Region von der Zentralregierung in der Vergangenheit benachteiligt worden ist.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Auf den Bildern weinen Menschen vor Freude, Männer schneiden sich auf der Straße ihre langen Bärte ab, Frauen verbrennen ihre Schleier. Zwei Jahre lang war der Ort Manbidsch im Norden Syriens unter Kontrolle der IS-Terrormiliz, jetzt haben ihn kurdische Kämpfer zurückerobert. Auch im Irak sind die Dschihadisten militärisch immer stärker unter Druck. Falludscha und Ramadi musste der IS zuletzt wieder aufgeben, ins Visier nehmen kurdische Kämpfer und irakische Soldaten jetzt die letzte verbliebene Bastion im Irak, die Millionenstadt Mossul. Die Stadt Erbil liegt 80 Kilometer von Mossul entfernt, Bürgermeister dort ist Nihad Qoja, der einst vor dem Regime Saddam Husseins nach Deutschland floh und nach 23 Jahren im Exit 2004 in seine Geburtsstadt zurückgekehrt ist. Einen schönen guten Morgen!
    Nihad Qoja: Guten Morgen, Herr Barenberg!
    Barenberg: Herr Qoja, Ziel der kurdischen Peschmerga ist es ja, Mossul einzukreisen und einen Großangriff auf die IS-Miliz in der Stadt vorzubereiten. Wir hören schon von Kämpfen in Dörfern rund um Mossul. Was davon ist in Erbil bei Ihnen zu spüren, 80 Kilometer weit entfernt?
    Qoja: Also zuerst, diese Aktionen, die vor drei Tagen stattgefunden hat, ist die Sicherstellung der Fronten in West-Erbil, weil Mossul ist, wie Sie gesagt haben, knapp 80 bis 90 Kilometer von Erbil entfernt. Durch diese Aktion ist Erbil jetzt sicherer geworden. Es ist sehr weit von der Angriffsreichweite, der Artilleriereichweite. Außerdem sind die Gebiete, die zurückerobert wurden, strategisch sehr wichtig. Damit ist Mossul von drei Flanken umzingelt worden. Also südlich teilweise von irakischem Militär, Ost- und Nordmossul, teilweise auch Westmossul ist von Peschmerga umzingelt worden, damit ist der Kreis sehr viel kleiner geworden. Es gibt wahrscheinlich noch militärische Entscheidungen, darauf wir warten, dass Mossul befreit wird. Also, die Befreiung von Mossul steht bevor.
    Barenberg: Sie sagen, diese Befreiung steht bevor. Das haben wir vor vielen Monaten schon gehört. Es wurde immer wieder angekündigt und immer wieder verschoben. Was hat sich in der Zwischenzeit geändert?
    Qoja: So viel hat sich nicht geändert. Es gibt Diskussionen, ob schiitische Milizen an dieser Aktion teilnehmen. Es gibt große Bedenken aufseiten der Bevölkerung. Viele Menschen sind dagegen, dass schiitische Milizen Mossul angreifen oder sich an der Befreiung Mossuls beteiligen, weil in den letzten Monaten in manchen Gebieten, wo die Städte und kleinen Ortschaften vom IS befreit wurden, die Schiiten dort teilweise Gräueltaten begangen haben. Das will man vermeiden, weil, zu Ihrer Information, Mossul eine rein sunnitische Stadt ist. Auch die umliegenden Ortschaften und Dörfer, dort leben auch Yesiden, Turkmenen, Christen. Die Aktionen der letzten Tage sind teilweise von Peschmerga manche christliche Gebiete befreit worden. Damit wollen wir auch, dass die Christen wieder zu ihren Dörfern und Ortschaften zurückkehren.
    "Die Bekämpfung der ISIS-Milizen ist nicht nur militärisch entscheidend"
    Barenberg: Wir haben jetzt viel in den vergangenen Tagen erfahren von Dörfern, von Städten, aus denen sich der IS auf Druck seiner Gegner eben zurückziehen musste. Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass die Terrormiliz auf Dauer und nachhaltig, wenn man das so sagen darf, geschwächt und geschlagen werden kann?
    Qoja: Auf Dauer kann man nicht sagen, weil die Bekämpfung der ISIS-Milizen ist nicht nur militärisch entscheidend. Entscheidend ist, dass man vor Ort auch kulturelle, auch politische Entscheidungen trifft. Die ISIS hat damals diesen Zulauf bekommen, weil die Zentralregierung diese Region benachteiligt hat. Deswegen sieht man, dass die Verzögerung der Befreiung von Mossul ständig in der Diskussion ist, weil über die Zukunft der Stadt ist noch nicht entschieden. Wie gesagt, viele wollen, dass die schiitischen Milizen der Stadt fernbleiben. Die Stadt muss normalerweise von ihrer eigenen Bevölkerung – weil wir wollen diese ethnisch multikulturelle Gesellschaft in Mossul schützen. Wir wollen, dass die Christen, die Jesiden wieder zurückkehren, und dafür braucht man natürlich eine Verwaltung von den Menschen selbst, also dass die Menschen sich dort selbst regieren dürfen.
    Barenberg: Sie sprechen die Allianz an von verschiedenen Gegnern des IS. Es gibt Schiiten darunter, Sunniten, Yesiden, Sie haben von Turkmenen gesprochen, und natürlich die kurdischen Peschmerga. Wie schwierig wird es sein, sollte Mossul wieder zurückerobert werden können, da eine stabile Ordnung wiederherzustellen?
    Qoja: Die Alliierten spielen hier natürlich eine große und entscheidende Rolle. Wir sind jetzt dabei, diese Koalition aus Sunniten, also von Menschen aus Mossul, und Christen und Turkmenen. Diese Gebiete müssen von ihren eigenen Leuten beschützt werden. Deswegen sieht man diese Verzögerung in der Befreiungsaktion. Ich glaube, die Amerikaner sind sehr stark jetzt in der Sache involviert. Die wollen, dass die schiitischen Milizen fernbleiben, nur von irakischem Militär und Peschmerga und natürlich auch von jesidischen und christlichen Milizen diese Gebiete befreit werden und damit die Menschen auch wieder in ihre Dörfer zurückkehren.
    Barenberg: Bevor es so weit ist, was werden wir bis dahin erleben? Es heißt, dass die IS-Miliz etwa 10.000 Kämpfer in Mossul hat. Entsprechend groß muss die Streitmacht sein, um die Stadt zu befreien. Wir haben in anderen Städten erlebt, in Falludscha beispielsweise, dass es auch durch die US-Bomben erhebliche Zerstörungen gibt. Was wird all das bedeuten für Mossul in den nächsten Wochen und Monaten?
    Qoja: Wir erwarten erstens eine große Flüchtlingswelle. Zweitens erwartet man auch, dass die Bevölkerung in Mossul während der Befreiungsaktion einen großen Aufstand organisieren, damit die Verluste weniger werden. Aber das ist ein Kampf, es werden vielleicht Flugzeuge eingesetzt. Wir gehen davon auf, dass Verluste nicht zu vermeiden sind, aber man versucht diese Verluste zu reduzieren.
    Barenberg: Sagt der Bürgermeister von Erbil, Nidas Qoja, heute Morgen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Qoja, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit.
    Qoja: Danke Ihnen, schönen Tag noch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.