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Ohne Bankenunion keine Währungsunion

Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel kritisiert den Aufruf von 172 seiner Kollegen gegen Angela Merkels Eurorettungspolitik. Laut Hickel ist der Euroraum ohne eine Bankenunion nicht überlebensfähig. In dem offenen Brief der Kritiker stieß insbesondere die Erweiterung der Haftung auf die Banken auf Ablehnung.

Gerd Breker sprach mit Rudolf Hickel | 09.07.2012
    Gerd Breker: Und am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Guten Tag, Herr Hickel!

    Rudolf Hickel: Schönen guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Herr Hickel, Sie müssen uns helfen. Wir und die deutsche Öffentlichkeit, wir sind total verwirrt. In der Eurokrise hat offenbar so manch einer die Übersicht verloren. Der Bundespräsident fordert mehr Aufklärung, 160 beziehungsweise inzwischen sind es 172 Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler melden sich nach dem jüngsten Gipfel und wollen die Öffentlichkeit gegen diese Beschlüsse mobilisieren. Das wiederum bezeichnet die Politik und ein Häufchen anderer Wirtschaftswissenschaftler als verantwortungslos. Wo stehen wir denn eigentlich in Sachen Eurokrise? Wem kann man da eigentlich noch glauben.

    Hickel: Ja, man muss vorher am besten alle Dokumente studieren. Das ist natürlich nicht einfach, weil es gibt in der Zwischenzeit sogar drei Dokumente gegen den Aufruf der 172er. Der wendet sich an – hat ja die Anschrift – "Liebe Mitbürger", und was mich sehr geärgert hat an dem Aufruf, der in der Öffentlichkeit große Resonanz gewonnen hat, ist die Tatsache, dass viel behauptet wird, aber nichts bewiesen. Gerade in dem Interview vorher ist ja jetzt intensivst und sehr sachverständig über Bankunionen geredet worden, die 172 Protestler sagen, eine Bankunion sei nicht machbar, das sei ganz falsch. Dem steht gegenüber, und das ist ja heute Gegenstand auch des Finanzministertreffens, dem steht gegenüber, dass eine Währungsunion auf Dauer überhaupt nicht überlebensfähig ist ohne eine Bankenunion. Ich bin total froh, dass drei Instanzen sozusagen diesen, manche nennen sie ja auch schon die Wut-Ökonomen, die sich da geäußert haben, drei Instanzen dagegen sich wenden: Einerseits die Gruppe um Bofinger und Straubhaar, die klipp und klar sagen, erstmal ist das, was sie unterstellen, die Dämonisierung, gar nicht passiert. Das Zweite ist, wir haben ein sehr, sehr gutes Kritikpapier von den Finanzmarkt- und Bankökonomen vor allem aus Frankfurt, und die sagen klipp und klar wie ich auch: Ohne eine Bankenunion ist das nicht machbar. Und drittens, wir haben jetzt ein sehr lesenswertes Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die einerseits die bisherige Politik als ein Durchwursteln kritisieren, aber andererseits klipp und klar sagen, dass die Perspektive Bankenunion richtig ist. Ich meine, der Herr Bundespräsident Gauck kann sich ja in gewisser Weise freuen. Er hat in nacheilendem Gehorsam, hat er ja gesagt, wir brauchen eine Diskussion. Wir haben nun die Diskussion. Meine Sorge ist, dass sehr viele Vorurteile, Ängste und vor allem Stammtischparolen bedient werden, und deshalb ist Aufklärung dringender denn je nötig.

    Breker: Aufklärung, die auch der Bundespräsident von der Kanzlerin gefordert hat. Ist nicht in erster Linie die Politik gefragt, konkret zu sagen, wo sie denn hin will, was ihre Ziele sind und wie sie diese Ziele erreichen will?

    Hickel: Na ja gut, die Politik ist in der Tat da in der Pflicht, und vieles ist im Hinterkämmerchen passiert, aber ich muss auch dazu sagen, manche Zusammenhänge sind komplex, und wenn ich das Gutachten beziehungsweise die Stellungnahme der 172 Ökonomen mir anschaue, dann muss ich sagen, da sind einige dabei, die offensichtlich über die Mechanismen einer Währungsunion, nicht gerade sozusagen beseelt sind von großer Kenntnis. Aber wichtig ist, glaube ich, bei der Bundesregierung, einerseits die Aufklärung, aber andererseits, und das ist eine scharfe Kritik: Die Bundesregierung macht immer gerade so viel, wie unter dem Druck der Krise notwendig ist, das ist die Politik der Trippelschritte. Und was fehlt, ist eine Vision. Ich bin ganz sicher, wenn eine Vision entwickelt würde, und zwar in zwei Punkten: Erstens, warum die Europäische Währungsunion stabilisiert werden soll, und zweitens, mit welchen Instrumenten das nachhaltig geschehen kann, dann hätten wir eine ganz andere Debatte in Europa. Das Hin und Her, das Gejagtwerden ist natürlich schädlich für eine öffentliche Meinungsbildung. Und man muss sehen, dass beispielsweise solche Sätze, die da stehen in dem 172er-Aufruf, dass künftige Generationen belastet werden, ohne überhaupt zu sagen, wie würden künftige Generationen belastet, wenn es zum Zusammenbruch des Eurosystems kommt. Also da sieht man, dass auch viel Undifferenziertes, aber deshalb sehr Gefährliches im Gange ist. Gefährlich deshalb, weil es in der Tat Ängste, Vorbehalte und vor allem auch die Renationalisierung des Währungsraums vorantreibt.

    Breker: Herr Hickel, Sie haben das Gutachten des Rats der Wirtschaftsweisen erwähnt, da ist von "Durchwurschteln" die Rede. Ist das auch Ihre Diagnose für die Politik?

    Hickel: Meine feste Diagnose, und wir können es ja sehen, eigentlich hat die Bundeskanzlerin den schwersten Fehler schon 2011 begangen, als erstmals Rettungspakete aufgelegt werden mussten für Griechenland. Da hat die Kanzlerin immer strikt Nein gesagt. Und dann kamen die Verhandlungen, da mussten in der Verhandlung Zugeständnisse gemacht werden. Ich sage noch mal: Wenn man beispielsweise, wir werden diese Debatte auch, um ein Beispiel zu bringen, werden wir am Euro-Bond erleben. Jetzt hört man ja heute, dass in der Bundesregierung selbst die Arbeitsministerin andeutet, sie könne sich mit Euro-Bonds anfreunden, der Bundesfinanzminister sagt das unter bestimmten Bedingungen, aber die offizielle, strikte Linie ist: Keine Euro-Bonds. Und ich finde es besser zu sagen, wir diskutieren Instrumente durch und schauen, welchen Zweck sie erfüllen können. So ist es jetzt wirklich "muddling through", ein Durchwurschteln, und am Ende bleiben nur die Ängste in Deutschland. Das Ganze führt zu einer gigantischen Inflation und führt am Ende auch zur Abwertung des Vermögens, wobei man sehr genau zeigen kann, und da bin ich heute dem Rat der fünf Weisen sehr dankbar, dass, wenn Europa auseinanderbricht, dass wir dann unmittelbar mit 3,3 Billionen Belastung über den Wegfall sozusagen der Staatsanleihen in diesen Krisenländern rechnen müssen. Dass wir mit Rezession rechnen müssen, mit ansteigender Arbeitslosigkeit, ja, die Gutachter gehen sogar so weit und sagen, dass, wenn es zu einem Zusammenrutschen, zu einem Zusammenbruch des Eurolands kommt, am Ende auch die währungspolitische Zusammenarbeit beispielsweise der zwei größten Länder, nämlich Frankreich und Deutschland zusammenbricht. Und daraus kann man nur die Konsequenz ziehen, jetzt klipp und klar eine Strategie, und ich formuliere es noch mal, die Politik, die Politik darf nicht immer nur zu Gipfeln fahren, so wie am fünften, sechsten Juli, und sagen, ja, was müssen wir denn dringend machen und schafft sozusagen nicht, schafft damit ein neues Nachfolgeproblem. Sondern die Politik muss jetzt klipp und klar sagen, wollen wir einen Staatsschuldenschnitt, wollen wir den ESM, den Rettungsfonds ausbauen auch zu einer unmittelbaren Rettung unter Bedingungen für Banken, wollen wir die Euro-Bonds, und vor allem das ganz Entscheidende, und da gab es ja einen leichten Durchbruch auch mit Blick auf Griechenland, es wird ja auch diskutiert in Brüssel, ein wichtiger und leichter Durchbruch kam dadurch zustande, dass man jetzt einsieht, dass diese Einsparpolitik so nach dem Motto, ihr erhaltet nur Finanzhilfen, etwa in Griechenland und Portugal, wenn ihr eine massive Einsparpolitik macht, dass man merkt, das macht die Ökonomien kaputt, und da ist das Stichwort "Wachstumsinitiative", das weist endlich, auf die ich oft hingewiesen habe, weist endlich in die richtige Richtung.

    Breker: Wachstumsinitiative von 130 Milliarden für ganz Europa, das reicht?

    Hickel: Nein, das reicht nicht, ich habe ja extra gesagt, es ist ein zaghafter erster Einstieg, und jetzt bin ich schon mal ganz froh, dass der Begriff überhaupt jetzt festgeschrieben ist in Euro-Dokumenten. Das reicht natürlich hinten und vorne nicht, wenn man sich die Wachstumsinitiative anschaut, die da vor allem von der Bundeskanzlerin bestimmt worden ist, dann ist das gar nicht viel frisches Geld, sondern es ist teilweise eine Umwidmung der Strukturfonds, und deshalb sage ich, aber den Ansatzpunkt jetzt nehmen und zwei Dinge zu klären, vor allem erstens, das ist eine ganz schwierige Frage, nämlich wie kann man Wirtschaftsstrukturen überhaupt aufbauen und stärken etwa in Griechenland, und zweitens, welche Volumina müssen dafür zur Verfügung gestellt werden. Ich nenne das auch immer lieber den "Herkules-Plan", weil wir wissen, Herkules hat ja zweierlei gemacht: Er hat eine Entwicklungsdynamik ausgelöst, hat aber zugleich auch den Saustall des Augias ausgeräumt – das heißt also, die Länder müssen selber reformieren, aber, und das ist das Entscheidende: Mit einer Wachstumsperspektive, einer Wirtschaftsstrukturperspektive auch in Richtung Arbeitsplätze erfährt die Bevölkerung beispielsweise in Griechenland, dass es sich lohnt, diese Politik zu machen. Bisher hat alles, was als Gegenleistung für Finanzhilfen gefordert worden ist, am Ende die Ökonomie tiefer in die Knie gezogen, hat für mehr Armut gesorgt, und dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Rudolf Hickel, dem Bremer Wirtschaftswissenschaftler. Herr Hickel, ich danke Ihnen dafür.

    Hickel: Schönen Dank, Herr Breker.

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