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"Ohne den Beitrag Ronald Reagans hätte es keine Wiedervereinigung gegeben"

"Mr. Gorbatschow, tear down this wall!" - "Reißen Sie diese Mauer nieder!" Mit diesen Worten ging Ronald Reagan 1987 in die Geschichte ein. Sein Adoptivsohn Michael hält Reagans Vorstoß zwei Jahre vor dem Fall der Mauer für einen der Auslöser der späteren Wiedervereinigung.

09.11.2009
    Bettina Klein: 12. Juni 1987, Berlin, Brandenburger Tor, Westseite, der damalige US-Präsident Ronald Reagan: "Tear down this wall!", reißen sie diese Mauer nieder. Selbst in den USA galt dieser Satz als äußerst ambitioniert. Dem State Departement, dem Außenministerium in Washington war es damals überhaupt nicht recht, dass der Präsident ihn sprach. Die Amerikaner fassten sich an den Kopf und das war noch gar nichts gegen die Reaktionen in Westdeutschland, geschweige denn in der DDR. Für die Deutschen war Reagan überwiegend der Schauspieler-Präsident mit Vorliebe für Star Wars, doch er hat die Sowjetunion damals militärisch an den Rand ihrer Möglichkeiten gebracht und damit das Seine zum Ende des Kalten Krieges beigetragen, meint sein Adoptivsohn, mit dem ich Gelegenheit hatte, in Berlin zu sprechen. Michael Reagan hat eine Ausstellung zum Wirken seines Vaters im Mauer-Museum am Checkpoint Charlie eröffnet und ich habe ihn gefragt, ob die Berliner seiner Meinung nach die Rolle seines Vaters nicht genügend zu würdigen wissen.

    Michael Reagan: Das ist interessant zu sehen. Ich glaube, sein Beitrag wird nicht genügend gewürdigt. Deswegen haben wir ja auch diesen Reagan-Raum im Museum eingerichtet. Ich spreche immer wieder mit der Stadt Berlin, dass doch der Beitrag Ronald Reagans etwas mehr ins Licht gerückt wird. Ich habe heute mit jungen Leuten gesprochen, die wussten gar nicht, dass es hier einmal eine Mauer gab, und deshalb wussten sie auch nichts von der Wiedervereinigung. Unsere Information und Aufklärung reicht also sicherlich nicht aus, nicht weil es hier um meinen Vater allein geht, sondern weil es euere Geschichte ist. Millionen von Menschen haben das am eigenen Leib erlebt. Man sollte es nicht verstecken.
    Vielleicht kommt er etwas weniger vor, weil er schon gestorben ist und andere wollen das mehr auf sich lenken. Aber ich glaube, man muss es immer wieder sagen: Ohne den Beitrag Ronald Reagans hätte es keine Wiedervereinigung gegeben.

    Klein: Wie wichtig, meinen Sie denn, war seine Rolle in dem ganzen Prozess, der eben Ende der 80er-Jahre im Fall der Mauer mündete?

    Reagan: Es war eine ganz entscheidende Rolle. Man darf ja nicht vergessen: Soviel hier auch in Deutschland geschehen ist, der Funke sprang eigentlich in Polen los, in Danzig in der Solidaritätsbewegung mit Papst Johannes Paus, mit Lech Walesa, mit Ronald Reagan. Diese drei, die arbeiteten zusammen. Lady Thatcher, Vaclav Havel muss man erwähnen. Diese Führungspersönlichkeiten haben den Stein ins Rollen gebracht. Gorbatschow ist erst 1985 dann mit auf diesen Wagen aufgesprungen, als die Dinge schon im Fluss waren und ihm nichts anderes mehr übrig blieb, als den Fall der Mauer zuzulassen. Also diese großen Führungspersönlichkeiten, die haben hier Geschichte gemacht. Oft aber wird vergessen, dass es wirklich Ronald Reagan war, der als Katalysator in seiner Eigenschaft als US-Präsident wirkte und der hier ganz entscheidend den Anstoß gab.

    Klein: Was geschah denn in jenen Tagen und Wochen, bevor er nach Berlin kam, denn Ihr Vater vertrat ja keineswegs eine Mehrheitsmeinung in den USA? Diesen Satz zu sagen, "tear down this wall!", das war ja auch in Ihrer Heimat höchst umstritten.

    Reagan: Na ja, mein Vater ist niemals mit dem Hauptstrom der Meinung geschwommen. Wenn er das gemacht hätte, dann stünde die Mauer heute noch und wir hätten hier nicht diese Unterhaltung, die wir gerade führen. Er war niemals einfach einer, der mitschwamm. Nein, er hat ja schon bereits im Jahr 1962 in einem Gespräch mit dem damaligen Oberstaatsanwalt Robert Kennedy auf dessen Frage, was man tun könne, um Deutschland wieder zusammenzuführen, geantwortet, "reißt diese Mauer ab". Damals war er Gouverneur. Er hatte kein politisches Amt inne in der nationalen Regierung und dennoch hat er diesen Satz gesagt, 1962. Oder 1986 in Reykjavik, als es darum ging, dass das SDI- und das Krieg-der-Sterne-Programm abgeschafft werden sollten - jedenfalls war das die Forderung der Sowjets – und als es um den INF-Vertrag ging. Damals sagte mein Vater in seiner Rolle als Präsident, "Nein, ich werde das nicht aufgeben", und so kam das dann in Gang. 1987 bei dieser Rede vor dem Brandenburger Tor, als sogar sein eigenes Außenministerium ihm sagte, "bitte, bitte, sagen Sie nicht, dass man diese Mauer abreißen soll, nicht tun, bitte bleiben Sie politisch korrekt". Er sagte "Nein!" und er hat diesen Satz ausgesprochen. Die ganze Welt lachte ihn aus und spottete über ihn und sagte, "ach, es ist doch nur ein Schauspieler".
    Und schauen Sie an: Was geschah am 9. November 1989? Die Mauer wurde abgerissen. Schauen Sie mal, hier wurde ihm auch ein Stück der Mauer nach Silicon Valley in Kalifornien geschickt. Glauben Sie, dass der Westen oder der Osten es ihm geschickt hat? Es war der Osten. Die Leute im Osten haben es begriffen. Warum begreifen es die anderen nicht?

    Klein: Weshalb meinen Sie ist dieser Auftritt Ihres Vaters bei vielen hier gerade in Berlin nicht mehr in der Weise in Erinnerung?

    Reagan: Mein Vater war kein selbstgefälliger Typ, der sich selbst auf die Schulter geklopft hätte. Nein, er hat gerne das Verdienst auch anderen zukommen lassen. Das kam ja jetzt wieder hervor, als wir den Gedenkraum für ihn im Checkpoint Charlie-Museum eröffneten. Er hat immer wieder gesagt, "tue das richte, lass andere an diesem Verdienst teilhaben". Er war also sozusagen der liebe Junge in diesem Spiel, und vielleicht ist das der Grund, dass andere jetzt sozusagen die Lorbeeren einheimsen. Er war lieb, ich bin nicht so lieb. Ich sage, er hat den entscheidenden Anstoß geliefert. Ihn gilt es jetzt zu ehren und ihn muss man gebührend herausstellen.

    Klein: Mr. Reagan, für wie interessiert halten Sie die Amerikaner dieser Tage noch an dem, was jetzt im Augenblick hier in Deutschland passiert?

    Reagan: Nun ja, die USA sind ziemlich stark auf sich selbst bezogen. Von Deutschland wissen sie vielleicht, dass man dort als Fußball-Mannschaft ganz schön hinreisen kann, obwohl sie dann ja sogar gegen Spanien verloren haben. Aber was die Mauer war, das ist vielen jungen Leuten unbekannt. Leider haben eben diese jungen Menschen nicht erfahren, was es heißt, unfrei zu sein. So können sie sich auch nicht vorstellen, was es bedeutet, die Freiheit zu verlieren. Oder wenn man hier mit jungen Leuten spricht, im Checkpoint Charlie-Museum zum Beispiel, und fragt, was war die Berliner Mauer, dann erntet man ungläubiges Staunen, und ebenso unbekannt ist natürlich die Rolle von Ronald Reagan. Wer war das? Diese Selbstgenügsamkeit, diese Unachtsamkeit, die ist wirklich ein Bärendienst, den wir uns selbst erweisen, denn so kann diese Unachtsamkeit letztlich dazu führen, dass sie der Feind der Zukunft wird, so wie das sowjetische Imperium der Feind der Vergangenheit war.

    Klein: Michael Reagan, der Sohn des früheren US-Präsidenten. Das Gespräch haben wir in Berlin aufgezeichnet.