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Ohne Rausch kein Rock'n'Roll

Vor allem in den 60ern und 70ern gehörte der Rausch zum Rockstar-Image. Selbstzerstörung, Sinnsuche und Weltflucht, das waren neben dem Musik-Machen die Aufgaben der Rockstars. Für diesen Rausch interessiert sich Tino Hanekamp. Mit seinem "Das große Rauschen"-Programm, ist der Autor und Clubbetreiber derzeit auf Tour.

Von Ina Plodroch | 19.06.2014
    Eine Frau hält einen Joint in der Hand auf dem "Marche mondiale du Canabis" in Paris.
    Alltagsflucht mit benebeltem Sinn - befreiend, gefährlich, inspirierend. Alkohol, Nikotin, Drogen, Sport, Sex - alles für den Rausch. (picture alliance / dpa / Le Quere)
    Der Musiker und Autor Nagel liefert den Text zu Oliver Koletzkis "The Power of Rausch".
    "Was wäre das Leben ohne Rausch? Was bliebe dann noch, außer der schnöden Realität? Dieser lärmenden Seuche, die alles beherrschen und sich überall breitmachen will? Die sich ständig als einzig legitime Autorität aufspielt, ein überrollt und stranguliert bis man ist wie alle Anderen und einem langen, leisen Erstickungstod stirbt?"
    Rausch. Alltagsflucht mit benebeltem Sinn - befreiend, gefährlich, inspirierend. Alkohol, Nikotin, Drogen, Sport, Sex - alles für den Rausch.
    "Just wanna Get High. Just wanna Get High. Just wanna Get High."
    Für dieses "High" interessiert sich der Club-Betreiber und Autor Tino Hanekamp. Er hat eine Perfomance-Lesung zum Rausch entwickelt:
    "Und je mehr ich mich eingelesen habe, habe ich gedacht: Man berauscht sich ja ständig auf irgendeine Art aber man weiß ja kaum - haben sich die Leute früher berauscht, was ist eigentlich die Kulturgeschichte? Man hat das Gefühl, dass die Menschheitsgeschichte vom Rausch gar nicht zu trennen ist."
    Schnaps und Joints für die Gäste
    Und deshalb setzt sich Hanekamp auf Bühnen und erzählt vom Rausch. Natürlich mit Schnaps und Joints für die Gäste, damit die am Ende schön berauscht sind.
    "Das ist der Rausch-Altar. Hier befindet sich Wodka in diesem Kübel, wer den trinken möchte, der kommt einfach nach vorne und bedient sich selbst."
    Hanekamp sitzt Wasser-trinkend auf der Bühne, zeigt Videos, Songs, Zitate und holt auch mal ein Buch hervor. Multimediale Performance-Kunst oder einfach auch: Von allem ein bisschen.
    "Das ist knallhartes Edutainment. Das Ziel der ganzen Veranstaltung ist, ihnen die Schuld zu nehmen. Dieses blöde protestantische Gefühl der Schuld, wenn sie sich wegzimmern. Ich möchte ihnen beibringen, dass das alles ganz normal ist."
    Schließlich berauschen sich auch Tiere, erklärt Hanekamp und legt los: Erzählt von seinen eigenen, abenteuerlichen Räuschen, dass im Krieg schon Crystal Meth im Umlauf war, wie der Rausch ohne Drogen möglich ist und zeigt Werbevideos für Rauschmittel aus den 60ern:
    "Jetzt gehe ich, ich lasse mir ja nicht alles gefallen. Hallo? Frauengold nehmen. Ja Frauengold nehmen, und man kann über den Dingen stehen und objektiver urteilen."
    Hanekamp springt zwischen Schulreferat, Unterhaltungsshow und Live-Feature. Ein bisschen ungeplant, politisch inkorrekt und tendenziell drogenverherrlichend - aber mit passendem Rausch-Soundtrack.
    "Natürlich hat Musik und Popkultur immer was mit Rausch zu tun, weil es Möglichkeitsräume und Freiräume sind, und das kann ja Rausch im besten Fall sein: Ein Freiraum, ein Spielraum, die man sich schafft."
    Live fast, love hard, die young
    Elvis Presley, Jim Morrison, Janis Joplin und auch Amy Winehouse und Pete Doherty – "Live fast, love hard, die young". Immer dabei: Der Rausch als Flucht, Inspiration, Image, Sinnsuche, und Sucht. Hanekamp zitiert dazu Georg Harrison:
    "musicians either drink a little bit or they smoke and then they wanna get a little bit higher. So they are sort of really looking for something and it ist he same with all those patthi smiths and all those people because the world is such a hard place to try to make it in.„Musiker trinken entweder oder sie rauchen und dann wollen sich noch higher werden. Auf eine Art und Weise suchen sie wirklich nach etwas. Und das ist mit all diesen Patthi Smiths so, weil diese Welt so ein schwieriger Ort ist, um es hier irgendwie zu schaffen."
    Ohne Rausch kein Rock'n'Roll. Doch vom Image der selbstzerstörerischen Rockstars, die sich verschwenderisch und sinnlos dem Exzess hingeben, ist nicht mehr viel übrig, meint Nagel. Die Vernunft hat gesiegt.
    "Ich hab das Gefühl, dass viele Bands sich immer mehr so als Dienstleister sehen, und in Interviews liest man dann so ständig: Ja nach der Show gehen wir ins Bett, weil wir müssen ja in guter Kondition sein, das sind wir unseren Fans schuldig."
    Tino Hanekamp findet auch: Heute geht's um Verwertbarkeit. Da hat der Rausch keinen Platz mehr.
    "Was man hat, das ist alles so: Feel Good, gute Energien, das ist schlau, das will nach vorne, das will weiter, das will Erfolg haben. Aber dieses Prinzip der Verweigerung der Selbstzerstörung und der Kritik an dem herrschenden Strukturen findet kaum noch statt."
    Gut oder schlecht - das ist hier nicht die Frage. Hanekamps "Das große Rauschen" ist vor allem große Unterhaltung und kein Moralvortrag.