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Ohne Rücksicht zum besten Bild

Margaret Bourke-White war die erste Fotografin, die selbst zum Medienstar wurde. Als Adolf Hitler die Sowjetunion angriff, war sie die einzige ausländische Fotografin in Moskau. Nach der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Buchenwald fotografierte sie die Überlebenden und die Leichenberge im Hof.

Von Ulrike Rückert | 27.08.2006
    "Ich will berühmt werden, und ich will reich werden."
    Das war Margaret Bourke-Whites Geschäftsplan, als sie mit 23 Jahren ein Fotostudio eröffnete. Sehr reich wurde sie nicht, aber sehr berühmt. Geboren 1904, war sie in einer Kleinstadt in New Jersey aufgewachsen. Ihre Eltern hegten moderne Ansichten über Mädchenerziehung und schickten Margaret auf ein College. Mit 20 heiratete sie, doch zwei Jahre später war die Ehe schon gescheitert. Von jetzt an wollte sie unbedingt auf eigenen Füßen stehen, und sie wollte eine große Karriere machen. Das Timing war perfekt: Amerikas Wirtschaft boomte, und Margaret Bourke-White war fasziniert von der verborgenen Ästhetik der Industrie.

    "Wir leben in einer wunderbaren Zeit, mit Lokomotiven und Stahlfabriken und Kraftwerken. Wir haben Motive, die lebendig und vital sind (…) Überall um uns herum haben wir neue Formen (…) Wir müssen nur die Augen öffnen und sehen."

    Mit spektakulären Bildern aus einem Stahlwerk gelang ihr ein fulminanter Start. Sie bekam lukrative PR-Aufträge und arbeitete für das Wirtschaftsmagazin "Fortune". Für ihre Fotos balancierte Margaret Bourke-White auf Baugerüsten von Wolkenkratzern, robbte durch Bergwerksschächte und lehnte sich aus offenen Flugzeugtüren. Sie liebte extravagante Designerkleider, und auf der Terrasse ihres Penthouse-Studios in Manhattan hielt sie zwei Alligatoren. In kurzer Zeit war sie selbst ein Medienstar als Inbegriff der modernen Frau: unabhängig, erfolgreich und glamourös.

    In der Wirtschaftskrise der 30er Jahre fotografierte Margaret Bourke-White die Große Dürre im Mittleren Westen und Baumwollfarmer in den Südstaaten. Sie entdeckte die amerikanische Gesellschaft als ihr neues Thema:

    "Die Dürre (…) zeigte mir, dass es hier in meinem eigenen Land Welten gab, von denen ich fast nichts wusste."

    "Ich lernte, dass man, um einen anderen Menschen zu verstehen, Einsicht in die Bedingungen gewinnen muss, die ihn zu dem gemacht haben, was er ist. Die Menschen und die Kräfte, die sie formen: (…) Diese Beziehungen kann man (…) fotografieren."

    1936 kam "Life" auf den Markt, das erste amerikanische Fotomagazin. Bevor das Fernsehen zum Massenmedium wurde, lieferten die Fotozeitschriften die Bilder der Welt in die Wohnzimmer. "Life" hatte jahrzehntelang die höchsten Auflagen, jeder in Amerika kannte es, und Margaret Bourke-White prägte seinen Stil vom ersten Heft an. Als Fotografin für "Life" wurde sie legendär.

    "Life "schickte sie auch 1941 nach Moskau. Als Hitler die Sowjetunion angriff, war sie die einzige ausländische Fotografin im Land. Vom Hotelbalkon machte sie irritierend schöne Bilder von den Luftangriffen auf Moskau.

    "Beim ersten Blick auf den Krieg fühlt man sich immun; das Spektakel ist so fremd, so fern, dass es keine Realität hat in Hinsicht auf Tod oder Gefahr."

    Mit der Realität des Krieges war sie konfrontiert, als sie zum ersten Mal vor den Leichen von Bombenopfern stand.

    "Es ist, als ob sich ein Schutzschirm vor mein Bewusstsein schiebt und es möglich macht, an Brennweite und Lichtwerte und Fototechnik zu denken, so unpersönlich, als ob es um eine abstrakte Bildkomposition ginge. (…) Tage später, als ich die Negative entwickelte, stellte ich überrascht fest, dass ich mich nicht überwinden konnte, die Filme selbst anzusehen. Ich musste sie jemand anders für mich bearbeiten (…) lassen."

    Als erste Frau wurde sie Kriegsberichterstatterin der US-Armee, war in England, Nordafrika, Italien und Deutschland im Einsatz. Nach der Befreiung von Buchenwald fotografierte sie die Überlebenden und die Leichenberge im Hof. Wenige Tage später entdeckte sie mit dem "Time"-Reporter Bill Walton das Lager Abtnaundorf bei Leipzig. Hier waren bei der Räumung zurückgelassene Häftlinge lebendig verbrannt worden.

    "Obwohl ich nicht ahnte, wie bald manche Menschen zweifeln oder vergessen würden, hatte ich die tiefe Überzeugung, dass eine Greueltat wie diese verlangte, festgehalten zu werden. So zwang ich mich, den Platz mit Negativen zu kartografieren."

    Auch nach dem Weltkrieg berichtete Margaret Bourke-White von weltpolitischen Brennpunkten: Indien, Südafrika und Korea. Ihr vielleicht berühmtestes Bild ist das Porträt von Gandhi, auf dem Boden seiner Hütte sitzend, im Vordergrund das Spinnrad, sein Symbol des Freiheitskampfes. Sie war eine amerikanische Institution geworden, erhielt Ehrendoktorwürden und andere Auszeichnungen. Doch Mitte der 50er Jahre erkrankte sie an Parkinson und musste ihre Arbeit aufgeben. Margaret Bourke-White starb am 27. August 1971 mit 67 Jahren.