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"Ohne Sicherheit keine Entwicklung"

Walter Kolbow, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, hat kurz vor der Parlamentsabstimmung über die Entsendung von Tornados nach Afghanistan noch einmal die Notwendigkeit des Einsatzes betont. Sicherheit sei eine Voraussetzung für die zivile Aufbauarbeit, so Kolbow.

Von Christoph Heinemann | 09.03.2007
    Christoph Heinemann: Wir kehren zurück zum Thema Afghanistan, zur Bundestagsentscheidung über die Entsendung deutscher Tornados. Am Telefon ist Walter Kolbow, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Kolbow, steigt mit dem Luftwaffeneinsatz die Gefahr für deutsche Aufbauhelfer in Afghanistan?

    Walter Kolbow: Nein, die steigt nicht. Im Gegenteil: durch die Aufklärungsfähigkeiten des Tornados werden auch zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser geschützt, weil man sie auch vor Taliban-Angriffen schützen kann durch Erkenntnisse, wo die sich aufhalten, in welcher Formation sie sich betätigen wollen und wo sie angreifen können.

    Heinemann: Aber zerstört man auf diese Weise nicht die spezifisch deutsche Afghanistan-Politik, die ja bisher darin bestand, die Menschen lieber mit dem Bau von Häusern, Schulen und Krankenhäusern zu überzeugen, als sie mit militärischen Maßnahmen einzuschüchtern?

    Kolbow: Ohne Sicherheit keine Entwicklung und ohne Entwicklung keine Sicherheit. Das eine bedingt das andere und man muss das richtige Maß finden. Da wir in dem 83-mal so großen Afghanistan wie dem Kosovo mit der gleichen Anzahl von Soldaten sind, brauchen sie Aufklärung auch aus der Luft, welche die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genauso wie die eigenen Soldaten im Einsatz im Norden wie im Süden sowie wie im Osten schützt.

    Heinemann: Für den zivilen Aufbau ging es bisher auch ohne.

    Kolbow: Das ging bisher nicht ohne, denn wir hatten Aufklärung. Die ist weggefallen durch die Briten und die musste ersetzt werden. Also wer meint, das ging ohne Aufklärung, der täuscht sich bitterlich und ist nicht informiert.

    Heinemann: Ihr Fraktionschef Peter Struck spricht von einem Kampfauftrag oder einem Kampfeinsatz. Sie auch?

    Kolbow: Dies ist ein Beitrag dazu, mittels Aufklärung auch Taliban bekämpfen zu können. Wer meint, wir könnten die Terroristen nicht ohne militärische Mittel bekämpfen, der täuscht sich. Das bedingt einander und deswegen sage ich noch einmal: Sicherheit ist eine Voraussetzung für zivile Aufbauarbeit, und dazu sind die Tornados auch in der Lage.

    Heinemann: Kampfeinsatz?

    Kolbow: Das ist kein Kampfeinsatz. Es ist ein Unterstützungseinsatz durch Aufklärung für den zivilen Wiederaufbau, aber auch für die Militärs und kann damit mittelbar einem Kampfeinsatz natürlich Unterstützung leisten. Das haben wir immer gesagt.

    Heinemann: Die Unionspolitiker Gauweiler und Wimmer sprechen von "völkerrechtswidrigen und vom NATO-Vertrag nicht gedeckten Militäraktionen".

    Kolbow: Das ist ein Irrtum, denn die Mandate der Vereinten Nationen nach Artikel 51 der UN-Charta für den OEF, den Operation-Enduring-Freedom-Einsatz, und der Sicherheitsratsbeschluss in der Resolution 1707 der Vereinten Nationen sind die notwendige Rechtsgrundlage für beide Mandate. Hier irren beide Kollegen.

    Heinemann: Sie argumentieren wie die Amerikaner?

    Kolbow: Das mag sein. Die Amerikaner haben nicht immer Unrecht.

    Heinemann: Herr Kolbow, wer reingeht, muss auch wissen, wie und wann er wieder rauskommt. Wie und wann denn?

    Kolbow: Wir haben eine gemeinsame Strategie in der internationalen Gemeinschaft. Wir haben das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung, in dem wir tätig sind im Norden und auch Hilfe leisten im Süden, und wir haben natürlich auch Erfolge vorzuzeigen. Dies gilt es fortzusetzen und dazu brauchen wir auch das Instrument der Aufklärung. Deswegen wird man auch bei der Bilanzierung im Herbst, wenn der Antrag wieder gestellt wird, ISAF fortzusetzen, ein weiteres Mal entscheiden müssen. Aber wer jetzt rausgeht, überlässt Afghanistan seinem Schicksal und bereitet damit auch die Grundlage für weitere terroristische Ausbildung in Trainingslagern und Rückzugsmöglichkeiten und damit die Möglichkeit, auch Europa von dort aus wieder mit Terror zu überziehen.

    Heinemann: Und wann kann man rausgehen?

    Kolbow: Man kann dann rausgehen, wenn man einen Erfolg hat. Das wird im Wiederaufbau, in der Stabilität Afghanistans und auch in der regionalen Stabilität mit Pakistan aber nicht von heute auf morgen sein. Man muss sich hier auf Jahre wie auf dem Balkan im Übrigen auch einrichten.

    Heinemann: Mit wie vielen Nein-Stimmen rechnen Sie in der SPD-Fraktion?

    Kolbow: Ich denke, dass wir um die 50 Nein-Stimmen in der SPD-Fraktion haben werden. Genau kann ich Ihnen das erst, das versteht sich, nach dem Ergebnis der Abstimmung sagen.

    Heinemann: Ihr Amtskollege und Parteifreund Ludwig Stiegler beschrieb die Abstimmung heute früh bei uns im Deutschlandfunk für die Sozialdemokraten als schwierige Geschichten. Wörtlich: "Da rumort es in den Eingeweiden." Verspüren Sie auch gastritische Reaktionen, wenn Sie in die Fraktion hineinhören?

    Kolbow: Ich habe das zu koordinieren. Ich habe in den letzten drei, vier Wochen hauptsächlich diese Abstimmung mit vorbereiten helfen, und ich weiß, wie schwer sich Kolleginnen und Kollegen tun. Das sind zum Teil 51-zu-49-Entscheidungen oder umgekehrt für oder gegen den Einsatz. Das ist aber verständlich bei Fragen, wo es um Leben und Tod auch von Soldatinnen und Soldaten geht und wo es eben auch um die Frage geht: Sind militärische Mittel einzusetzen erlaubt oder nicht, ist ein Übermaß vorhanden? Das ist eine Gewissensentscheidung, die in Respekt voreinander getroffen wird.