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Olympia-Attentat von 1972
Ein Fall von besonderer Grausamkeit

Monate vor der Einweihung der Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags auf die Olympischen Spiele in München 1972 sorgt ein Bericht über die Brutalität der Attentäter von damals für Schlagzeilen.

Von Jürgen Kalwa | 13.12.2015
    Ankie Spitzer, die Witwe des von arabischen Terroristen ermordeten israelischen Fechttrainers Andre Spitzer steht am 09.09.1972 fassungslos in dem verwüsteten Raum des Münchner Olympischen Dorfes, in dem die Terroristen vier Tage zuvor neun israelische Sportler festhielten.
    Gespräche mit den Witwen einiger Opfer des Olympia-Attentats von 1972 haben laut einem Bericht der New York Times neue Details ans Licht gebracht. (dpa / picture alliance / )
    Ihre Namen verlas der Chef de Mission der israelischen Mannschaft bei der Trauerfeier im Olympiastadion: "Gutfreund, Yossef; Weinberg, Moshe; Halfin, Eliezer; Friedman, Ze'ev; Slavin, Mark; Romano, Yossef; Shapira, Amitzur; Spitzer, Andre; Shorr, Kehat; Springer Yakov; Berger, David."
    Elf Männer, Athleten und Trainer, die am Tag zuvor beim Anschlag einer Gruppe palästinensischer Terroristen nur ein paar hundert Meter entfernt im Olympischen Dorf als Geiseln genommen worden waren. Auf welche Weise sie gestorben waren, darüber gab es so rasch nach dem Attentat nur dürftige Informationen. Weshalb der 6. September 1972, der Tag der Trauer, vor allem deshalb im Gedächtnis blieb. Vor 80.000 Zuschauern, darunter 3000 Sportlern, verkündete IOC-Präsident Avery Brundage die Worte, die für immer mit dem Massaker verbunden bleiben werden.
    "Die Spiele müssen weiter gehen." Für Ankie Spitzer, geborene Holländerin und die Frau des ermordeten Fechttrainers Andre Spitzer, war es der Tag, an dem sie sich überwand, in das Haus Connollystraße 31 zu gehen, um mit eigenen Augen zu sehen:
    "Wo hat Andre und seine Freunde, seine Teammates, wo haben sie die letzten Stunden von ihrem Leben verbracht? Auf der Treppe ist schon das Blut heruntergekommen. Ich habe raufgeschaut und habe gedacht: Ich muss raufgehen. Und ich bin nach oben gegangen. Sie waren gegeiselt in Andres Zimmer. Dort haben sie auch einen von den Israelis erschossen und 'tortured'. Ich weiß nicht, wie man das sagt."
    Grausame Misshandlungen
    Das deutsche Wort, das Ankie Spitzer vor drei Jahren bei einem Interview im Bayrischen Rundfunk spontan nicht formulieren konnte, lautet "gefoltert". Eine Einschätzung, die sie ein paar Jahre vorher aus den Ermittlungsakten gezogen hatte, deren Zugang ihr die bayrischen Behörden bis dahin standhaft mit der Behauptung verwehrt hatten, es gäbe gar keine Unterlagen. Es gab sie: "4000 Dokumente, Files, und 900 pathologische Bilder."
    Zu den Einzelheiten sagte Ankie Spitzer damals nichts. Die wurden Anfang Dezember von der New York Times in einem sensationslüsternen Artikel publiziert. Die Opfer wiesen demnach Knochenbrüche auf. Einer wurde besonders grausam misshandelt: Der angeschossene Gewichtheber Yossef Romano, den man langsam verbluten ließ und irgendwann im Laufe der vielen Stunden auch noch kastrierte.
    Das Echo auf diese Enthüllung war groß. Obwohl die Arbeit der Zeitung erstaunliche Schwächen aufwies. Nicht nur war die Behauptung falsch, man habe als erste überhaupt die Grausamkeit der Terroristen beschrieb. Das hatte dreizehn Jahre früher bereits die Los Angeles Times getan. Man hatte es obendrein unterlassen, einen Zeitzeugen zu interviewen: Walther Tröger, 1972 Bürgermeister im Olympischen Dorf und ein erfahrener Sportfunktionär, der später Präsident des deutschen Nationalen Olympischen Komitees war.
    Er hatte damals als einer der Verhandlungsführer die Gelegenheit, die Geiseln mehrfach zu sehen. Seine Schilderung auf Englisch vor einigen Jahren im amerikanischen Fernsehsender ABC war drastisch:´"Es war ein schrecklicher Anblick. Ein Opfer lag unter einer Decke. Überall an den Wänden war Blut. Die Geiseln waren verzweifelt. Ich wusste, sie hatten Angst vor dem, was wir mit ihnen oder den Terroristen tun würden. Und für mich war es nicht leicht zu wissen, dass ich gar nicht viel machen konnte."
    Neue Einzelheiten
    Tröger betonte in der letzten Woche in einem Telefongespräch mit dem Deutschlandfunk, die brutalen Einzelheiten seien allerdings für ihn neu. "Ich sehe es noch wie heute vor mir. Einer in der Mitte auf dem Stuhl. Acht saßen auf den Betten daneben, nicht gefesselt, das kann man nicht sagen, aber schon aneinander gebunden. Und sie machten einen sehr verängstigten Eindruck. Aber dass die Geiseln irgendwie den Eindruck gemacht hätten, sie seien dort gefoltert worden, den Eindruck machte keiner von denen. Man hätte ihnen das doch irgendwie angemerkt."
    Tröger, der persönlich mit den Leitern der damaligen israelischen Delegation befreundet war und es sich zum Anliegen machte, den Angehörigen in ihrem zähen Kampf um Aufklärung und die Erinnerung an das Attentat zu helfen, nahm in den Jahren danach an vielen Gedenkfeiern auch in Israel teil. Und er wird auch in München dabei sein, wenn im nächsten Jahr im Olympiapark eine Gedenkstätte eingeweiht wird.
    Aus diesem Anlass ist übrigens ein Dokumentarfilm entstanden. Einer der Initatoren: der amerikanische Psychologe Dr. Steven Ungerleider, mit dem Sport bereits als Autor des Buchs "Faust's Gold" über das DDR-Doping-System verbunden: "Wir betrachten das alles aus dem Blickwinkel der Opfer und ihrer Kinder. Einige habe bereits Enkel. Und es geht uns dabei um die emotionalen und psychologischen Aspekte, mit denen sich diese Familien quälen mussten."
    Wozu natürlich auch das Wissen um die Brutalität der Attentäter gehört. Das Mahnmal wird übrigens zum ersten Mal an einen Menschen erinnern, der im Rückblick oft vergessen wird. Beim Schusswechsel in der Nacht zum 6. September in Fürstenfeldbruck starb ein deutscher Polizeibeamter. Sein Name? Anton Fliegerbauer. Er war 32 Jahre alt.