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Olympia in Rio
Mündige Athleten?

Meinung haben, Meinung sagen und vielleicht auch Meinung machen? Für die meisten Athleten gilt vor und während der Olympischen Spiele: Schwierigen Fragen nach der politischen Lage im Gastgeberland oder zu Doping in Russland am besten aus dem Weg gehen.

Von Andrea Schültke | 14.08.2016
    Die Schwimmerinnnen Lilly King und Karie Meili klatschen sich im Becken ab, Julia Jefimowa bleibt außen vor.
    Auch eine Art der Meinungsäußerung: Olympiasiegerin Lilly King (rechts) und Karie Meili feiern - die wegen Dopings bereits zwei Mal gesperrte Julia Jefimowa bleibt außen vor. (AFP / Martin Bureau)
    "Wir konzentrieren uns auf unser Ding und das ist Handball und die Nebenkriegsschauplätze lassen wir außen vor."
    "Meine Aufgabe ist es, ins Stadion zu gehen und den Speer weit zu werfen und für alles andere sind andere Leute zuständig, da kann ich mich nicht drum kümmern."
    "Die Themen müssen besprochen werden, aber nicht von uns, da sollen sich andere Leute drum kümmern."
    Aussagen wie diese bedeuten nicht, dass Athleten unpolitische meinungslose Menschen sind. Im Gegenteil. Meistens sind es ganz pragmatische Gründe, aus denen sie sich bei Sport-Großereignissen auf Allgemeinplätze zurückziehen. Die ehemalige Schwimmweltmeisterin und viermalige Olympiateilnehmerin Antje Buschschulte erklärte das zu Jahresbeginn so:
    "Zuerst möchten die Medien und der Verband erfolgreiche Athleten haben. Danach kommen alle anderen Eigenschaften, die ein Athlet gern haben sollte. Die Athleten selber haben ja nur ne geringe Zeit, die sie oben an der Spitze mitmachen können und in diesen paar Jahren möchte man nicht so viele Nebenkriegsschauplätze bespielen, so dass der eigentliche Job darunter leidet."
    Probleme am besten verdrängen
    Als praktisches Beispiel nennt ihr früherer Teamkollege und heutiger Ehemann, Rückenschwimmer Helge Meeuw, die Olympischen Spiele in Peking. Die Achtung von Menschenrechten und Meinungsfreiheit waren und sind in China nicht gegeben. Dennoch entschied er sich dafür, das nicht offen anzusprechen und anzuprangern:
    "Wenn ich mich aus dem Fenster lehne und sage bei den Olympischen Spielen in der Pressezone: Ich find das ganz doof, wie China mit Tibet umgeht, ich hätte die gerne als freien Staat - dann werde ich doch erst recht in die Mühle geraten und von jedem dazu befragt. Und dann brauche ich eineinhalb Stunden, bis ich aus der Pressezone raus bin, habe zwar meine Meinung gesagt, schwimme aber danach schlecht. Da ist auch keinem mit geholfen."
    Politische Probleme im Gastgeberland also am besten verdrängen. So war auch Sportschützin Barbara Engleder nach Rio gereist. Nach ihrem vierten Platz mit dem Luftgewehr sagte sie spätere Olympiasiegerin aber doch:
    "Also ich sehe das sehr, sehr kritisch weil der Bevölkerung hier nichts geschenkt wird und dann macht man Olympische Spiele in diesem Land, wo es den Leuten so schlecht geht und die unter der Brücke schlafen. Da hab ich ein riesengroßes Problem damit. Auf der anderen Seite bin ich als Sportlerin da und möchte gute Leistungen bringen und da schiebt man das weg. Aber das bleibt immer im Hinterkopf."
    Wollen nur die Medien Klartext?
    Klartext mag bei uns Medienmenschen gut ankommen, aber auch bei denen, die für die Athleten wirklich wichtig sind? Wenn es um Sponsoren geht, "präsentiert man sich wahrscheinlich besser mit einem Lächeln als dass man sich allzu kritisch über die Zustände äußert. Davon hat man dann, gerade was Sponsoren angeht, nichts", war Ex-Schwimmerin Antje Buschschulte im Frühjahr überzeugt.
    Inzwischen scheint Kritik auch von Sponsoren gerade salonfähig zu werden. Beispiel Sioux: Das kleine schwäbische Unternehmen, seit mehr als 40 Jahren für die Schuhe der deutschen Olympiamannschaft zuständig, zieht sich aus dem Sponsoring zurück. Als Grund nennt das Unternehmen unter anderem, Olympia habe sich zu weit von den Wurzeln entfernt. Groß-Unternehmen wie Adidas setzen ihr Engagement aber weiter fort.
    Um Sponsoren muss sich Diskuswerfer Robert Harting offenbar keine Gedanken machen. Als Olympiasieger und dreimaliger Weltmeister kann er wohl sagen, was er denkt und tut das auch: Auf der Abschluss-Pressekonferenz vor Rio äußerte sich der 31jährige klar zur Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees gegen die Sperre des russischen NOKs. Die Verantwortung dafür sah Harting bei IOC-Präsident Thomas Bach und erklärte, dass:
    "Jeder, der gegen die Anti-Doping-Bewegung ist, Teil des Dopingsystems ist. Und Thomas Bach war eindeutig, indem er sich dort nicht auf die Seite des Anti-Doping-Kampfes gestellt hat. Für mich ist er eigentlich Teil des Doping-Systems und nicht des Anti-Doping-Systems."
    Buhrufe statt Glückwünsche
    An seinem Urteil hielt Harting fest – auch nach dem Scheitern in der Qualifikation. IOC-Präsident Thomas Bach hatte die Kritik von Robert Harting als Beleidigung zurückgewiesen. In Rio erlebt Bach allerdings Athleten, die ihre Form der Auseinandersetzung finden mit der Teilnahme russischer Sportler. Beispiel: Das Rennen über 100 Meter Brust mit der umstrittenen Russin Julia Jefimova. Die Weltmeisterin von 2015 war bereits zweimal wegen Dopings gesperrt. Ihren Start in Rio hatte sie vor dem internationalen Sportgerichtshof erstritten. Ergebnis: Buhrufe in der Halle und nie dagewesene Reaktionen nach ihrem Gewinn der Silbermedaille, schildert Kommentator Alexander Bleick:
    "Jefimova völlig isoliert, keiner hingeschwommen zum Gratulieren."
    Die US-Amerikanerin Lilly King war schneller als die Russin. Danach betonte die Senkrechtstarterin selbstbewusst: "Es ist unglaublich Gold zu gewinnen und zu wissen, ich war sauber."
    Zusätzlich sprach sich die 19-jährige auch gegen die Olympiateilnahme ihres Mannschaftskollegen Justin Gatlin aus. Der Sprinter darf nach verbüßter Dopingsperre wieder starten. Kings Linie lautet wohl: Schweigen ist Silber, aber nach Gold ist gut reden.