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Olympiasiegerin, Stasi-IM und Richterin

Eine Stasi-Personalie sorgt seit dieser Woche im Bundesland Brandenburg für Schlagzeilen, zugleich ist es ein Novum für den Sport. Im Fokus steht eine Ruder-Olympiasiegerin der DDR, die heute als Richterin am Sozialgericht Neuruppin tätig ist.

Von Thomas Purschke | 17.04.2011
    Irina Müller, verheiratete Weiße, aus dem DDR-Goldmedaillen-Achter von Montreal 1976, gehört zu den über 80 stasibelasteten Personen aus dem Bereich der Brandenburger Justiz. Seit Mai 2005 ist sie als Richterin am Sozialgericht Neuruppin tätig.

    In ihren Bereich fiel ausgerechnet auch die Zuständigkeit in Streitsachen von DDR-Opfern in ihrem Kampf gegen die Folgen von SED-Unrecht. Als das Magazin "Klartext" des Rundfunks Berlin-Brandenburg diesen Stasifall jetzt publik machte, sorgte dies für empörte Proteste von Landespolitikern und mehreren Opferverbänden. Der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe sagte: Wer ehemalige Stasi-Leute im Namen des Volkes Recht sprechen lasse, gefährde das Vertrauen in den Rechtsstaat. Und die Brandenburger Landesbeauftragte "zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur", Ulrike Poppe erklärte gegenüber dem Deutschlandfunk: "Wenn erhebliche Stasi-Verstrickungen von heutigen Richtern oder Staatsanwälten vorliegen, dann muss dies geprüft und diskutiert werden." Der Vorstand des Forums zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg forderte, hier liege "ein berechtigtes öffentliches Interesse zur Herstellung einer politischen Kultur des Vertrauens vor."

    Das Präsidium des Sozialgerichtes Neuruppin zog daraufhin erste Konsequenzen und beschloss, der Richterin Irina Weiße die Zuständigkeit für SED-Opfer-Sachen zu nehmen. Der seit November 2009 amtierende Justizminister von Brandenburg, Volkmar Schöneburg von der Linkspartei, stellte sich indes vor die stasibelastete Richterin und erklärte, sie sei in einem rechtsstaatlichen Verfahren gewählt worden. Der gelernte DDR-Jurist Schöneburg ist auch als Kritiker der Mauerschützenprozesse bekannt.

    Laut Akte, die dem Deutschlandfunk vorliegt, verpflichtete sich die damalige Ruderin Irina Müller vom Sportclub Dynamo Berlin am 3. Oktober 1974 handschriftlich zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit.

    "Ich werde meine Berichte", so schrieb die damals fast 23-jährige wörtlich, "mit dem Decknamen Ines unterzeichnen." Bereits vorab traf sich die ehrgeizige IM-Kandidatin mit einem Stasi-Offizier. Dieser notierte, sie sei bereit, bei entsprechendem Auftrag beispielsweise sofort nach Chile zu gehen als Kundschafterin. Dort hatte es 1973 einen Militärputsch gegeben.
    Eine Ruder-Kameradin denunzierte Irina Müller laut Akte bei der Stasi so: "Sie führt einen unmoralischen Lebenswandel, ist sexuell sehr leicht ansprechbar und wechselt sehr häufig Männerbekanntschaften, unter denen sich auch Bürger arabischer Staaten befinden sollen." Die Hauptabteilung XX des DDR-Geheimdienstes nutzte Müller auch als Quelle zur Absicherung der Reise- und Leistungskader des Sportclubs Dynamo Berlin und der DDR-Ruder-Nationalmannschaft.

    Irina Müller, die sich mit ihrem Stasi-Führungsoffizier Leutnant Herud in einem konspirativen Objekt mit Tarnnamen "Gast" traf, berichtete 1975 handschriftlich über eine Ruderin, "bei Männerbekanntschaften nimmt sie es zumeist nicht so genau." Sie informierte über Intrigen bei der Zusammensetzung des Bootes und über Sauf-Eskapaden. Und die Stasi attestierte ihrer Kundschafterin "In der Auftragserfüllung und Treffdisziplin war die Quelle bis zu ihrer Verlobung im Dezember 1975 vorbildlich."

    Die zweimalige Ruder-Weltmeisterin studierte an der Humboldt-Universität in Berlin Rechtswissenschaften. Nach den Olympischen Spielen beendete sie ihre Karriere. Zu vereinbarten Treffen mit ihrem Führungsoffizier erschien sie nicht mehr. Nach der Heirat, Gründung einer Familie und dem Umzug nach Dresden stellte die Stasi 1978 die Zusammenarbeit mit IM "Ines" wegen nicht mehr vorhandener Perspektive ein.

    Nach DLF-Recherchen ist Frau Weiße vor ihrer Berufung 1995 zur Richterin in der Bundesrepublik Frau Weiße von einem Richterwahlausschuss mit der nötigen Zweidrittelmehrheit evaluiert worden. Ihre Stasi-Akte habe angeblich vorgelegen, sie habe ihre Zusammenarbeit mit dem DDR-Geheimdienst auch eingeräumt. Das Brandenburger Justizministerium konnte jedoch auf Nachfrage bislang keine konkreten Auskünfte dazu geben.
    Die 59-jährige Richterin Irina Weiße war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.