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Olympische Spiele 1972
Genschers schwerste Stunden

Im In- und Ausland, von Vertretern vieler demokratischer Parteien wird zum Tode Hans-Dietrich Genschers das Lebenswerk gewürdigt. Doch auch ein dunkler, bedrückender Moment deutscher Geschichte ist mit seinem Namen verbunden – stattgefunden hat er 1972 bei den Olympischen Spielen.

Von Bastian Rudde | 01.04.2016
    Ein vermummter arabischer Terrorist zeigt sich am 05.09.1972 auf dem Balkon des israelischen Mannschaftsquartiers im Olympischen Dorf der Münchner Sommerspiele.
    Ein vermummter arabischer Terrorist zeigt sich am 05.09.1972 auf dem Balkon des israelischen Mannschaftsquartiers im Olympischen Dorf der Münchner Sommerspiele. (dpa / picture-alliance / Olympische Spiele)
    In seiner langen Politikerlaufbahn hat Hans-Dietrich Genscher viel miterlebt, mitgemacht, mitgestaltet: den Kalten Krieg, den Fall der Berliner Mauer, die deutsche Wiedervereinigung. Doch kaum etwas hat ihn so geprägt wie die Geiselnahme bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München: "Das war auch die schwerste Stunde meines Lebens, ganz gewiss meines politischen Lebens."
    Standleitung zur israelischen Ministerpräsidentin
    Es ist der Morgen des 5. September 1972. Im Olympischen Dorf nehmen Terroristen der palästinensischen Gruppe "Schwarzer September" elf Menschen aus der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln. Sie fordern unter anderem die Freilassung hunderter Palästinenser aus israelischen Gefängnissen. Genscher - damals Innenminister - verhandelt persönlich im Auftrag der Bundesregierung mit den Terroristen, bietet sich als Austauschgeisel an. "Er war sehr gefasst, sofern das überhaupt möglich war. Und er war sehr konzentriert", erinnert sich Walther Tröger, damals Bürgermeister des Olympischen Dorfes und bei den Verhandlungen stets an der Seite Genschers.
    Der hat in diesen Stunden, so Tröger, eine Art Standleitung zur israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir und zu Kanzler Willy Brandt. Tröger: "Direkt neben dem Terrorhaus war ein Telefonapparat. Da hat Genscher dann mit dem Bundeskanzler telefoniert und dann direkt mit Frau Meir. Das war für Genscher, glaube ich, auch die schwierigste Situation, mit der er fertig werden musste. Denn er hat ja die Bundesregierung vertreten und war insofern der wichtigste Entscheidungsträger mit dem Bundeskanzler."
    Ein ohnmächtiger Genscher
    Momente, in denen sich Genscher ohnmächtig fühlt, wie er später sagt: "Ohnmacht im Sinne, dass man eigentlich das, was notwendig wäre, gar nicht tun kann, oder dass es schwer ist, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden."
    Anders als sonst so oft in seinem langen politischen Leben findet Hans-Dietrich Genscher dieses Mal keinen Ausweg. Die Geiselnahme von München endet mit einem missglückten Befreiungsversuch. Ein Polizist und fünf der Terroristen werden getötet, keiner der elf Israelis überlebt die Geiselnahme. Der israelische Vorwurf, Deutschland habe 1972 vollkommen versagt, trifft auch Genscher.