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Olympische Spiele 2014
Polizei geht gegen Sotschi-Kritiker vor

In Russland geraten Kritiker der Olympischen Spiele in Sotschi zunehmend unter Druck. Umweltschützer wurden schon vor Gericht gestellt, jetzt ging die Polizei gegen Aktivisten aus der Volksgruppe der Tscherkessen vor, die sich bei der Planung des Sportereignisses übergangen fühlen.

Von Gesine Dornblüth | 15.12.2013
    Der Bolschoi-Eispalast im Olympiapark ragt über die Häuser am Stadtrand von Sotschi.
    Der Bolschoi-Eispalast im Olympiapark ragt über die Häuser am Stadtrand von Sotschi. (picture alliance / dpa/Sergei Ilnitsky)
    Die Polizisten waren freundlich, sie riefen vorher an. Es gäbe etwas Wichtiges zu besprechen, ob sie vorbei kommen könnten. Natürlich willigte Ibragim Jaganow ein.
    "Ich habe sie zu mir nach Hause eingeladen, das ist im Kaukasus so üblich. Sie waren zu sechst. In der Wohnung haben sie mir dann einen Durchsuchungsbefehl präsentiert. Sie haben alle Datenträger, Telefone und Computer beschlagnahmt, sogar den, auf dem mein Sohn Schularbeiten macht."
    Ibragim Jaganow lebt in Naltschik, einer etwa 250.000 Einwohner zählenden Stadt in der russischen Teilrepublik Kabardino-Balkarien im Nordkaukasus, rund 300 km Luftlinie von Sotschi entfernt. Jaganow leitet eine Organisation der tscherkessischen Minderheit, und er ist einer der schärfsten Kritiker der Olympischen Spiele in Sotschi.
    "Wir sind nicht gegen die Olympische Bewegung, wir sind gegen die Austragung in Sotschi in dieser Form. Dabei werden die Interessen der Tscherkessen, der angestammten Bevölkerung, ignoriert."
    Zeitgleich durchsuchte die Polizei am Freitag die Wohnungen noch etwa zehn weiterer tscherkessischer Aktivisten im Nordkaukasus. Angeblich fahndeten sie nach einem Terroristen, einem russischen Staatsbürger namens Tschernyschow. Er sei kürzlich von einem Terrortraining in Afghanistan zurückgekehrt und wolle Islamisten im Kaukasus werben. Die Behörden hätten Informationen, dass er sich in einer der betroffenen Wohnungen der Tscherkessen verberge. Absurd, meint Jaganow:
    "Ich hatte niemals irgendwelche Beziehungen zu Extremisten. Ich bin ein weltlicher Mensch, und meine gesamte gesellschaftliche Tätigkeit bewegt sich im Rahmen des Gesetzes."
    In Jaganows Wohnung finden sich keinerlei Hinweise auf irgendein religiöses Bekenntnis. Der 50-Jährige wurde noch am selben Tag ins rund 500 km entfernte Krasnodar gebracht und dort im Antiterrorzentrum verhört, ebenso, wie die übrigen Aktivisten. Jaganows Verhör dauerte viereinhalb Stunden.
    "Die Frage zu dem angeblich gesuchten Terroristen haben wir in zwei Minuten abgehandelt. Alle weiteren Fragen betrafen meine gesellschaftliche Tätigkeit. Ich bin überzeugt, dass sie sich diesen Tschernyschow ausgedacht haben. Die Sicherheitsorgane brauchten einen Vorwand für die Durchsuchungen und Festnahmen."
    Das Zentrum für Menschenrechte in Kabardino-Balkarien hat in einem Brief an die Generalstaatsanwaltschaft gegen das Vorgehen der Polizei protestiert. Der Leiter des Zentrums, Valerij Chataschukow, gleichfalls ein Tscherkesse, sagt, die Durchsuchungen seien politisch motiviert und sollten Menschen abschrecken, sich kritisch zu Sotschi zu äußern.
    "Viele Politiker machen es sich sehr einfach. Sie behaupten von jeder Kritik an Olympia, dahinter stünden Feinde Russlands, die Russland diskreditieren wollten. Es gäbe keine Probleme in Sotschi. Das stimmt natürlich nicht."
    Jaganow ist mittlerweile wieder zu Hause in Naltschik. Die beschlagnahmten Gegenstände soll er im Laufe der Woche zurückbekommen. Für ihn steht fest:
    "Die russischen Sicherheitskräfte stehen jetzt vor eine große Aufgabe: Für die Sicherheit während der Olympischen Spiele zu sorgen. Sie sind damit überfordert. Mit solchen Maßnahmen wie denen gegen uns erwecken sie den Anschein, sie hätten alles im Griff."