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Olympische Winterspiele 2026
Zukunftsvision oder Millionengrab?

Im Schweizer Kanton Graubünden träumen Politiker und Geschäftsleute von den Olympischen Winterspielen 2026. Die sollen dem lahmenden Tourismus auf die Sprünge helfen. Kommende Woche stimmen die Einwohner per Volksentscheid ab, ob sie mehr als 23 Millionen Euro in ein detailliertes Konzept investieren wollen. Der Streit ist groß.

Von Carsten Upadek | 04.02.2017
    Skigebiet in Arosa, Graubünden, in der Schweiz.
    Skigebiet in Arosa, Graubünden, in der Schweiz. (imago - Westend61)
    In einem Werbevideo fliegt der Schweizer Tourismus-Unternehmer Reto Gurtner durch die Luft. Im Hubschrauber geht es zum neusten Hotel-Ressort seines Imperiums bei der Gemeinde Laax. Von oben sieht man schneebedeckte Alpendörfer und atemberaubende Skipisten. Auf dem Boden der Tatsachen aber, sinken seit Jahren die Besucherzahlen, denn es schneit immer weniger und der Wechselkurs zum Schweizer Franken ist hoch:
    "Das können wir nicht kompensieren, weil wir haben halt teure Lebenshaltungskosten. Wir können da nur mit Innovation punkten."
    Große Hoffnungen in die Spiele
    Innovationen, Investitionen, Aufmerksamkeit – das verspricht sich Reto Gurtner von einer Bewerbung seines Heimatkantons Graubünden im Südosten der Schweiz für die Olympischen Winterspiele 2026.
    "Entscheidend sind die zehn Jahre davor. Die Vorbereitung bringt, dass der gesamte Kanton, die gesamte Region zusammenarbeitet. Das würde hier einen Schub geben und Investitionen prioritär in unsere Region umlenken."
    "Schweinerei!"
    Die Idee ist nicht neu in Graubünden: Seit 1980 sind sechs Olympia-Konzepte gescheitert, das letzte an einer Volksabstimmung 2013 – damals konzentriert um die Wintersport-Regionen Davos und St. Moritz. Nun sollte angeblich alles anders werden, erzählt Philipp Wilhelm, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei – als einzige gegen die Bewerbung.
    "Es ist kein neues Projekt. Es ist ein Projekt, das gescheitert ist, das anhängig wäre von starken Partnern, diese Partner gibt es aber nicht."
    Zürich wurde "hineingezogen"
    Unter Druck gesetzt, veröffentlichte die Landesregierung Graubünden am 10. Januar ihr Grobkonzept: Darin spielt die Stadt Zürich eine prominente Rolle als Olympia-Gastgeber samt olympischem Dorf, Arenen und Logistikzentrum. Der Haken an der Sache: Zürich will gar nicht. Die Stadt sei von Graubünden ohne Absprache mit hineingezogen worden, sagt Grünen-Stadtrat Marcel Bührig.
    "Also ich würde das, salopp gesagt, eine Schweinerei nennen. Es wird damit geworben und wir werden vorher nicht gefragt. Also das ist eigentlich eine politische Untat."
    Gigantismus, Korruption und Doping
    Zürich habe seine Lektion bei der Leichtathletik-EM 2014 gelernt. Trotz vorhandener Infrastruktur seien die Kosten aus dem Ruder gelaufen. "Das ist etwas, was bei den Olympischen Spielen noch viel extremer sein könnte, wenn man sich zum Beispiel die vergangenen Winterspiele in Sotschi anschaut, wo die Spiele in die Milliarden gegangen sind."
    33 Milliarden Euro sollen die gekostet haben. Die Olympischen Spiele und ihr Rechteinhaber, das IOC, stehen für viele für Gigantismus, dazu kommen Korruptions- und Dopingskandale. Folge: Bei der Vergabe der Winterspiele 2022 gingen dem Internationalen Olympischen Komitee die Kandidaten aus. Am Ende blieben Almaty in Kasachstan und Peking – keine gute Auswahl, bestätigt der Präsident des Welt-Ski-Verbandes und Schweizer IOC-Mitglied Gian Franco Kasper.
    "Man hat mit Befremden festgestellt, dass für 2022 fünf oder sechs Kandidaten vorhanden waren und die sich dann alle zurückgezogen haben oder durch Abstimmungen in der Bevölkerung nicht mehr fähig waren, weiterzumachen. Das hat die meiste Sorge ausgelöst. Und das will man für die Zukunft vermeiden."
    Gelingen soll das durch die IOC-Agenda 2020 und ein Strategiepapier, extra für die Winterspiele 2026. Inhalt beider Dokumente: Die Spiele sollen billiger werden, nachhaltiger - und dezentraler. Außerdem sei es nach dreimal Asien Zeit, dass die Winterspiele nach Hause kämen, findet der Schweizer Olympia-Boss Jürg Stahl. Dabei glaubt er auch den IOC-Präsidenten hinter sich.
    "Ich bin überzeugt – und da unterscheide ich mich nicht von Dr. Thomas Bach –, dass das Bestreben schon wieder da ist, in die Berge zu kommen zum Schnee, in unser Zentrum, in unser Herz. Ich habe das irgendwie so gespürt."
    Sotschi – Peking – Graubünden?
    Aber auch Innsbruck, Calgary und Stockholm prüfen eine Kandidatur. Mit dieser Konkurrenz bezweifelt Zürichs Grünen-Stadtrat Marcel Bührig, dass sich die neue Bescheidenheit durchsetzt:
    "Das IOC geht am Ende ja doch für den Ort, wo man am meisten Kosten investieren möchte, wenn man dann zum Beispiel sieht: 2014 Sotschi, 2022 Peking und 2026 eine abgelegene Schweizer Bergregion? Das wäre schon eher unwahrscheinlich."
    Im Kanton Graubünden im Südosten der Schweiz sind die Olympia-Befürworter optimistisch: Wenn das IOC die olympische Bewegung retten wolle, müssten solche Spiele möglich sein. Dafür gilt es aber erst einmal, die Volksabstimmung zu gewinnen mit dem Argument, so den Niedergang des Winter-Tourismus aufzuhalten. Jedoch, sagt Kritiker Philipp Wilhelm:
    "Keine anderen Ideen", das Berggebiet weiterzuentwickeln
    "Ich habe einfach das Gefühl, es gibt keine anderen Ideen im Kanton, wie man das Berggebiet weiterentwickeln könnte. Es kann nicht sein, dass wir jedes vierte Jahr wieder über so ein Projekt abstimmen."
    Falls das Plebiszit erfolgreich sein sollte, wartet ein Konkurrent im eigenen Land: Vier Kantone aus der Westschweiz haben sich zusammengetan und wollen sich gemeinsam für 2026 bewerben. Aus Sicht der Olympia-Befürworter hat es einen Vorteil, die Bewerbungskosten auf viele Schultern zu verteilen: So müssen die einzelnen Kantone ihre Bevölkerung nicht per Volksentscheid um Erlaubnis fragen.