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Oma, das will ich auch haben!

Der Bevölkerungsanteil der über 55-Jährigen nimmt in den Industrienationen rapide zu. Schon heute stellen sie mehr als ein Viertel der Bevölkerung. Aber nur wenige von ihnen sind auf Alterstechnik angewiesen, auf orthopädische Gehhilfen oder Telefone mit Riesentasten. Die meisten wollen genau die gleiche Technik wie die Jungen - ein Trend, den die Industrie zu verschlafen scheint.

Von Bernd Schuh | 17.04.2005
    Was ist alt? Wer ist jung? Wo ist die Grenze? Die Antwort fällt leicht. Es gibt sie nicht. Ob der 55jährige Frühpensionär bereits zum alten Eisen gezählt wird oder erst die gebrechliche Greisin im Rollstuhl mit Elektromotor - es ist schlicht Definitionssache. Gerade deshalb lohnt es sich, das gängige Seniorenklischee zu hinterfragen. Geprägt auch von der Werbung stellen sich beim Stichwort Senioren meist Assoziationen an Gesundheitstipps und Gedächtnistraining, an Krückstock und Blindenbinde, an Treppenlifte und Blutdruckmessgeräte oder Telefone mit bunten Riesentasten ein.


    " Ich brauche keinen größeren Knopf für den Senior. Senioren haben keine größeren Finger als die jungen Leute, das ist der größte Unsinn, der da behauptet wird. Größere Knöpfe sind einfach stigmatisiert mit einer bestimmten Behinderung,"

    regt sich Jürgen Neth immer noch auf, trotz jahrelanger Seniorenforschung.

    " In Deutschland ist es so, dass man Senioren wirklich lange Zeit - diesen Satz Senioren und Behinderte beispielsweise in einem Satz, das wird beiden Gruppen in keiner Weise gerecht, dass man Senioren definiert durch das letzte Stadium des Seniorenseins, das wirklich starke Eingeschränktsein, also Treppenliftbenutzer."

    Der Berliner Arbeitswissenschaftler hält es mit der Formel "55 plus", wenn er von Senioren spricht. Und diese Bevölkerungsgruppe der über 55-Jährigen macht bereits ein knappes Viertel aller Deutschen aus. In 25 Jahren wird sogar jeder dritte Deutsche über 60 sein. Deswegen heben Hersteller von Geronto- und Rehabilitationstechnik gern warnend den Zeigefinger und klagen Forschung ein, an "altersgerechter Technik". Doch was sie produzieren, geht am eigentlichen Seniorenmarkt völlig vorbei.

    " Von den Senioren, die hier draußen sind, unsere Senioren sind zwischen 55 und 93, und da ist kein einziger ein Treppenliftbenutzer, und das ist kein Zufall, dass wir nur die fittesten rausgesucht haben, sondern die Senioren, die draußen betrachtet werden, die Nutzer von Sanitätshausprodukten, das sind nur 5 bis 8 Prozent des gesamten Bevölkerungsanteils."

    Mehr als 20 Millionen Menschen, die nicht mehr oder gerade noch im Arbeitsleben stehen, die Geld haben und vielfältige Interessen, deren Kaufkraft sich nicht auf Hörgeräte, orthopädische Gehhilfen oder Badewanneneinsätze konzentriert. Und die immer mehr werden.

    " Und diese Senioren sind der letzte große verbleibende Wachstumsmarkt im Binnenbereich."

    Weswegen es Sinn macht, wenn Arbeitswissenschaftler wie Jürgen Neth sich Gedanken machen, welches Verhältnis die Senioren zu Technik haben, zu modernen technischen Produkten, die für einen Massenmarkt produziert sind und eine wachsende Wirtschaftskraft darstellen.

    Schon ein oberflächlicher Blick auf die Werbung lässt den Verdacht aufkommen, Produkte der Informations- und Kommunikationstechnik seien hauptsächlich auf junge Menschen zugeschnitten. SMS, MMS, Kamera und Nummernspeicher, Musicplayer und Kommunikationsgerät - allein das Handy ein schier undurchschaubares Multifunktionsgerät. Der PC - ein schon immer nur in Bruchteilen seiner Leistungsfähigkeit genutztes Arbeitsgerät. Das Internet - eine in ihrer Fülle verwirrende Welt von Information, Unterhaltung und Reklame. Selbst das Auto ist dank der reichlichen Elektronikausstattung mittlerweile zum fahrbaren Computer mutiert.

    Die Arbeitswissenschaftler interessieren Fragen wie: Können ältere Menschen mit Handy und Heimkino, mit Internet und iPod, mit Auto und PC ebenso gut umgehen wie Vertreter der jungen Generation? Und wie können solche Produkte verbessert werden, damit sie einen möglichst großen Käuferkreis ansprechen und eben auch das wachsende Segment der 55-plusler erfassen?

    " Handy habe ich vielleicht seit knapp zwei Jahren und ich benutze es nur für kurze Informationen, wenn ich mal unterwegs bin, aber es ist ein sehr gutes Kommunikationsmittel per SMS mit meinen Enkeltöchtern,"

    Ellen Gorisch ist Mitglied der Berliner SRG, das steht für "Senior Research Group", und ist eine Forschungsgruppe aus etwa 20 aktiven Senioren und weiteren 100 passiven Mitgliedern, die für Befragungen und Tests zur Verfügung stehen. Die SRG ist aus SENTHA, einem Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft hervorgegangen. Anders als bei SENTHA - die Abkürzung stand für "seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag" - wo die Senioren hauptsächlich als Testpersonen gebraucht wurden, forschen die SRGler quasi selbst.

    " Ich bin fast 70 Jahre alt und arbeitete zunächst hier in diesem Projekt SENTHA, das war diese interdisziplinäre Forschungsgeschichte, da war ich zunächst im Seniorenbeirat. Dieses Projekt ging über 6 Jahre, und überlappend haben wir uns überlegt, dass wir diese Arbeit fortsetzen wollten. Da ich von einem völlig technikfernen Beruf kommen, habe ich das Verlangen, mich so ein bisschen immer noch zu beteiligen und die Entwicklung der Technik verfolgen zu können. Deshalb finde ich das hier immer sehr spannend, auch wenn ich hinter den Männern zurückstehen muss und das ist eigentlich eine schöne Sache."

    Auch Gerhard Jeschke gehört zum Stammkreis der SRGler:

    " Weil in der Zeitung berichtet wurde. Ich habe mich dann entschlossen, da auch mitzumachen. Von Beruf bin ich Diplomingenieur und ich dachte, dass ich meine Erfahrungen hier aus der Sicht des Seniors mit einbringen könnte.."

    " Wir treffen uns monatlich etwa einmal, und dann ist eben die Hauptsache, dass wir eben Geräte testen, das sagt mir am meisten zu."

    Heute wird ein Recorder unter die Lupe genommen, der sich als "unglaublich einfach Schnittstelle" zwischen Mensch und Musik anpreist. Auf ihm lassen sich laut Werbung alte Bänder, Schallplatten, CDs kompakt in einem Gerät archivieren und bei Bedarf als CD ausgeben.

    Die Teilnehmer der Testrunde haben ganz unterschiedliche Vorbildung. Gemeinsam arbeiten sie sich durch die Bedienungsanleitung. Das Gerät wird seinem Anspruch nicht ganz gerecht, die Ausstattung mit Software ist unzureichend. Wenigstens das Auslesen einer CD klappt am Ende, man ist trotz Ärger über die nicht eingelösten Versprechungen der Herstellerfirma zufrieden.
    Die Gruppe agiert allerdings nicht als eine Art Stiftung Warentest. Bei der SRG geht es nicht darum, Geräte zu vergleichen und festzustellen, wo das Gerät gut oder schlecht ist, sondern darum, den eigentlichen Benutzungshindernissen auf den Grund zu gehen. Die Erfahrungen aus solchen Sitzungen setzt Jürgen Neth im eigenen Designbüro um und gibt sie an die Hersteller weiter. Mit etwas Kooperation und Interesse von Seiten der Industrie führt das im Idealfall zu Produkten, die auch von Älteren ohne Hemmungen und Schwierigkeiten bedient werden können.

    Aber trifft es überhaupt zu, dass Jüngere weniger Schwierigkeiten im Umgang mit Technik haben und wenn, woran liegt das?

    Die Kommunikationswissenschaftlerin Kirsten Schindler an der RWTH Aachen hat Studenten und Schüler nach der eigenen Einschätzung ihrer Technikkompetenz befragt.

    " Zum einen glauben alle der von uns befragten Gruppen, dass ihre Generationen technikkompetent sind und zwar kompetenter als ältere Personen."

    Die schonungslose Einschätzung der Jüngeren bezieht sich allerdings auf das, was sie unter Technik verstehen. Da geht es nicht um Elektrik im Haushalt, um Sanitäranlagen oder gar das Verständnis von Großtechnik wie der Kernenergie.

    Schindler: " Technik bedeutet im Grunde nur Informations- und Kommunikationstechnologien. Technik ist das Handy, Technik ist der Computer. Das ist sozusagen Technik. Das erleichtert den Alltag, macht Spaß, es ist einfach sehr präsent und ist angenehm mit Technik umzugehen."

    Auch dafür, dass es ihnen leichter fällt als den Älteren, haben die Jungen eine Erklärung.

    " Und zwar glauben sie, dass es daran liegt, dass sie mit Technik aufgewachsen sind, glauben dass ihre Lehrer und Eltern , Großeltern in einer Art techniklosen Zeit groß geworden sind und dadurch jetzt große Probleme haben sich mit Technik zu beschäftigen, also das ist das eine, die Generation der Jüngeren ist technisch kompetent, das gilt als Einschätzung übergreifend."

    Allerdings wird den Alten von den Jungen die Kompetenz für Technik nicht grundsätzlich abgesprochen. Ausnahmen sind erklärbar und bestätigen die Regel.

    " Es gibt zum Beispiel ein Beispiel, wo ein Studierender sagt, er kennt einen Fall, das ist der Großvater seiner Freundin, der damit überhaupt keine Probleme hat, der hat angefangen mit Onlinebanking, Computer, Drucker, Scanner, der geht damit relativ souverän um, und begründet das dann, na ja der ist ja auch Elektroingenieur gewesen. In seiner Einschätzung ist das Alter kein Ausschlusskriterium, es kann durch eine andere Kompetenz sozusagen ersetzt werden."

    Wenig ausgeprägt in der jungen Generation ist das Bedürfnis, Technik zu verstehen. Insbesondere die Schüler, also die jüngsten Teilnehmer der Befragung, zeichnen sich durch einen besonders pragmatischen, nutzungsorientierten Zugang zur Technik aus: die Geräte sollen in erster Linie funktionieren. Tun sie das nicht, oder nicht so, wie gewünscht, gehen die Jungen ganz anders vor als die ältere Generation.

    " Bedienungsanleitungen spielen weder bei Schülern noch bei Studierenden eine Rolle. Im Grunde sagen sie auch, Bedienungsanleitungen würde man ohnehin nicht verstehen, es würde also gar keinen Sinn machen sich damit auseinanderzusetzen. Und was sie tun, wenn sie Probleme haben, also erstmal dies Trial und Error, so ein intuitiver Zugang zu Technik, versuchen herauszufinden wie es funktioniert; wenn man es nicht herausfinden kann, fragt man jemand der es kann, erst zu Hause oder in der Verwandtschaft und dann auch Fachpersonal. Bedienungsanleitung ist tatsächlich erst der letzte Schritt. ...Das war für uns natürlich - wir bilden ja technische Redakteure aus - das war für uns etwas frustrierend, wenn die Produkte, die die technischen Redakteure herstellen, gar nicht wahrgenommen werden, aber es hat sich bei den Bedienungsanleitungen sehr viel getan."

    Dazu passen die komplementären Erfahrungen, die Neth und seine Mitstreiter in Berlin mit den Senioren in der SRG machen. Dort ist das Manual die Bibel für die Bedienung eines Geräts. Minutiös wird sie Schritt für Schritt durchgearbeitet, bei Fehlfunktionen als Ratgeber konsultiert. Neth:

    " Das Trial-and-Error-Prinzip , das kennen die einfach nicht. Im Gegenteil, wenn man früher als Kind an irgendwas rumgespielt hat, hat man ein paar auf die Finger gekriegt. Man hatte damals eine ganz andere Angst, en Fehler zu machen. Während bei den Jungen ist das eigentlich, Bedienungsanleitung beiseite legen und dann einfach probieren."

    Sind die Unterschiede in der Herangehensweise zwischen Jung und Alt wirklich altersbedingt? Oder spielen Erziehung und Erfahrungshintergrund eine größere Rolle? Eins lässt sich nicht leugnen: Rein biologisch betrachtet hat der Mensch mit 25 den Zenit überschritten, das Maximum an Leistungsfähigkeit erreicht. Fortan geht es nur noch bergab. Die Reaktion wird langsamer, das Gedächtnis schwächer, ebenso die Augen und das Gehör.

    " Lange Zeit, das ist auch ein interessantes Phänomen, können solche sich anbahnenden Defizite kompensiert werden,"

    sagt der Bonner Psychologe Georg Rudinger. An die Stelle nachlassender Körperfunktionen treten Erfahrung und Wissen, Übung, Routine, Überblick.

    " Das heißt, das Endprodukt der Leistung unterscheidet sich kaum. Man kann mit Erfahrung, anderen Strategien bestimmte Suchvorgänge abkürzen, so dass man genau so schnell zu einer Lösung kommt. Das ist ja selbst bei Fußballspielern so, auch ältere Torhüter können noch gut sein, weil sie Erfahrungsvorsprung haben, also bei Kahn könnte man langsam in Zweifel kommen, aber eine gewisse Zeitlang geht das. Reflexe nicht mehr, aber Stellungsspiel."

    Stark ausgeprägt sind nach den Erkenntnissen der Psychologen auch die individuellen Unterschiede und der Einfluss der Psyche.
    " Den größten Einfluss auf das, was man sich zutraut, was man noch macht, hat die Rückkoppelung dessen, wie fühle ich mich denn, also der subjektive Gesundheitsstatus, der muss nicht unbedingt mit dem objektiven, den ich fast molekularbiologisch feststellen kann, korrespondieren."

    Man ist so alt wie man sich fühlt, lautet die volkstümliche Übersetzung dieser psychologischen Erkenntnis. Und Georg Rudinger legt Wert auf die Feststellung, dass das grundsätzliche Nachlassen der Leistungsfähigkeit im Alter keineswegs das Vorurteil von der Fitness Jüngerer stützt.

    " Mein Lieblingsbeispiel ist immer: Sie gehen in die Mensa, und da sind ja in der Regel jüngere Leute, und man hat ja so die Idee, im Supermarkt, an der Kasse, es sind die älteren Leute, die vor sich hintrödeln, dann packen se erstmal ihre Ware ein und dann ziehen sie das Portemonnaie und dann fangen sie an das Geld zu zählen, man ist natürlich fokussiert darauf und sagt, ach schon wieder ein Älterer der das tut. Wenn Sie in die Mensa gehen, werden sie genau das gleiche Verhalten bei unendlich vielen Studenten sehn. Die können einfach nicht parallel prozessieren, sag ich mal. Sie tun erstmal alles aufs Tablett...und es bilden sich Schlangen. Obwohl es Leute sind, die sind ein Drittel so alt wie die Leute, über die man sich im Supermarkt aufregt. Ich selber spare dann auch nicht mit hämischen Bemerkungen bei den Jüngeren."

    Dass junge Menschen leistungsfähiger sind, bedeutet für Psychologen lediglich, dass sie sich zu höheren Leistungen trainieren lassen; nicht aber, dass sie es im Durchschnitt auch sind. Die Mär vom zittrigen langsamen Opa, der mit seinen dicken Fingern die kleinen Tasten am Handy nicht trifft, ist für das Gros der über 55 oder 60 jährigen einfach Quatsch. Neth:

    " Es sind weniger die nicht vorhandenen Fähigkeiten als die Prägungen, die die Generationen unterscheiden. Es ist nicht die Lesebrille, es ist nicht, dass man nicht mehr joggen kann, für welches Gerät muss man denn noch joggen können; die sind ja auch nicht alle superintelligent die Jungen, da sind ja auch Leute dabei, die nicht die allerhellsten sind, und die kommen trotzdem mit dem Handy klar. Es ist einfach diese Denkstrukturen die diese Generation hat, diese Nachkriegsgeneration, die sind relativ genügsam, ruhig, bescheiden und lassen auch gern mal was mit sich machen. Letztens sagte mir einer, warten Sie mal ab, bis die 68er Generation Senioren sind. Die werden anders auftreten. Die werden sagen, ihr macht das jetzt so wie wir das wollen, oder wir kaufen überhaupt nix mehr bei euch. Da bin ich ganz überzeugt davon, wer jetzt die Chance nicht ergreift, mit der Generation jetzt zu lernen, der wird ganz bittere Erfahrungen machen."


    Ein achtjähriges Mädchen telefoniert mit ihrem Handy
    Moderne Technik nur für die Jugend? (AP)
    Defizite im Umgang mit Technik sind oft Technikdefizite

    Für die Berliner Forschergruppe ist klar: Unterschiede zwischen Jung und Alt in der Bedienung von Technik sind weniger alters- als vielmehr sozialisationsbedingt. Und Defizite im Umgang mit Technik lassen sich nicht selten als Technikdefizite deuten. Sehr konkret haben Neth und seine Mitarbeiter an der TU die vermeintlichen Altersdefizite am Beispiel Handy ausgemacht. Als Grundfrage stellte sich dabei heraus: Welche Logik hat das Gerät, und mit welcher Logik geht der Nutzer heran?

    " Was wir immer feststellen ist: die Hemmschwelle, an ein Gerät ranzugehen, ist relativ groß. Gesetzt den Fall, Sie wollen eine Lautstärke verstellen, warum soll ich das mit einer Tastenkombination machen? Diese Leute kennen Drehregler, und wenn ich jetzt sage, ich helfe ihnen in ein Menü einzusteigen, indem ich Bedienelemente verwende, die bekannt sind. Beispielsweise haben wir an unserem Handy jetzt ein Drehrad, wenn ich einstelle, ich möchte jetzt hier telefonieren, dann werden nur die Tasten beleuchtet, die ich zum Telefonieren brauche, alle anderen sind dunkel. Wenn sie einen Brief schreiben wollen, hätten Sie gern das ganze Alphabet. Wenn ich jetzt hier drehe auf "SMS schreiben", dann werden die Tasten anders beleuchtet und dann habe ich das ganze Alphabet und die wichtigsten Sonderzeichen. Warum soll ich Tasten mehrfach belegen, wenn ich den Platz habe?"

    Indem die vorhandene Intuition direkt angesprochen wird, kann man das unnötige und mühsame Probieren und Rumklicken vermeiden, das Jüngere ungefragt akzeptieren. Das Vorführhandy mit dem Drehrad ist vorerst ein Designentwurf, bei dem die gängigen Bedienungsdefizite ausgeräumt sind.

    " Dann kennen Senioren nicht diesen Begriff der Menüsteuerung, dass man sagt: ich hab ein Display, da hab ich fünf Begriffe untereinander stehen und wenn ich durchscrolle, kommt der nächste. Das ist für Senioren kein bekanntes Darstellungsprinzip. Bis die merken, wenn die Durchscrollen, dass das nicht immer weitergeht, sondern dass der letzte oben wieder zum Vorschein kommt, erst nach vielen Schleifen merken die, ach, das ist eine Wiederholung.

    Da haben wir gesagt, wir machen ein Display, sie kennen das vom einarmigen Banditen, ich kann nachvollziehen, dass das auf so einer Walze abgebildet ist.....ich kann dann mithilfe von bekannten Assoziationen nachvollziehen, wie das Menü aufgebaut ist. Wir in den Arbeitswissenschaften sagen immer "Lernförderlichkeit". Wir wollen nicht den Benutzer entmündigen, sondern wir wollen ihm helfen, mit seinen Ressourcen maximal viel machen zu können. "

    Wenn das nach den Erkenntnissen der Berliner Seniorenforscher designte Handy demnächst auf den Markt kommt, werden die SRGler schon wieder beim nächsten Thema sein

    Neth:
    " Wir haben ganz aktuell ein Thema gewählt, das allen auf den Nägeln brennt, das sind die Fahrkartenautomaten"

    Jeschke:
    " Noch heute morgen habe ich in der U-Bahn erlebt, wie eine Frau versucht hat, mit dem Fahrkartenautomaten, offensichtlich keine Berlinerin, klarzukommen und von einer Seite zur andern rannte, bis dann ein Einheimischer versuchte, ihr behilflich zu sein, hat zwar auch nicht geklappt, aber mein Zug kam und ich musste dann wegfahren.
    Und deshalb ist auch eins der nächsten Themen, dass wir uns hier mal mit Fahrhartenautomaten befassen wollen."

    Nicht gerade besonders innovative Technik, sollte man meinen, und doch durch ihre sprichwörtliche Nutzerunfreundlichkeit unerfreulich aktuell. Schon vor über zehn Jahren haben die Bonner Verhaltensforscher um Georg Rudinger sich mit nutzerfreundlichen Fahrkartenautomaten im Öffentlichen Nahverkehr auseinandergesetzt:

    " Das war unsere Jungfernstudie, Altern und Technik, mit der wir in diesen ganzen Bereich mal eingestiegen sind, da haben wir in der Tat Fahrkartenautomaten untersucht, die ja sehr vielgestaltig sind, mit ihren Oberflächen, mit Netzplänen, die nichts mit den Verläufen der Buslinien zu tun haben, mit Tarifsystemen, die keiner durchschaut, und haben dann eben Vorschläge für eine einfachere Oberflächenstruktur gemacht, und haben das auch den Verkehrsverbünden vorgestellt, ist aber auch nicht umgesetzt worden."

    Längst sind die Automaten an Haltestellen installiert, mit jedem Wechsel des Tarifsystems darf sich der - ganz gleich ob junge oder alte - Benutzer an eine andere, neue Menüführung gewöhnen sich über nicht vorhandene Auswahlmöglichkeiten oder über deren schiere Fülle ärgern. Von den Erkenntnissen der Bonner wollte damals niemand etwas wissen.

    " Und heute weiß ich auch, wir haben vielleicht einen kleinen taktischen Fehler gemacht. Bei unseren Untersuchungen ist auch herausgekommen , dass Ältere wie sie nun mal so sind, ängstlich übervorsichtig, ich übergeneralisiere wieder, bevor die en falschen Fehler machen, dass die im Zweifel lieber die teuerste Fahrkarte lösen. Und als wir das gesagt haben, war natürlich klar, es gibt keinen Grund irgendwas zu verändern."

    Nicht nur die regionalen Verkehrsgesellschaften zeigten wenig Interesse an einer ernsthaften wissenschaftlichen Begleitung.

    " Analog sind wir dann auch irgendwann mal mit der Bundesbahn ins Geschäft gekommen. Oder eben nicht. Da wurden Touchscreen-Automaten die man ja heute überall sieht, probeweise nur mal am Frankfurter Bahnhof eingerichtet, das war der Feldversuch der Bundesbahn, da wurden wir gefragt, ob wir die Einführung begleiten können. Da haben wir gesagt, was sollen wir da begleiten, wir würden lieber "from scratch" mitmachen und sie beraten wie man die Oberfläche überhaupt gestaltet. Nein, die Oberfläche war gestaltet und wir sollten nur mal schauen, welche Schwierigkeiten die Leute haben. Das heißt also im Grunde überhaupt kein ernsthaftes Bestreben derjenigen, die die Geräte gestalten, also von vornherein auf die Bedürfnisse der Leute einzugehen."

    Nur ungern geben öffentliche Institutionen Geld für wissenschaftliche Begleitforschung, die Folgekosten nach sich zieht. Mit diesem Problem hat auch Jürgen Neth in Berlin bei seinem Fahrkartenautomatenprojekt zu kämpfen:

    " Es ist natürlich auch so, dass die aufgestellt sind, und wenn wir jetzt sagen, die sind alle eine Katastrophe, dann wird die Bahn natürlich vorsichtig sein zu sagen, ich bezahl euch dafür, dass ihr mir sagt, diese Automaten müssen alle weg oder ausgetauscht werden, und das Verrückte daran ist, dass die bisherigen Ergebnisse darauf hindeuten, dass die generationsübergreifend gleich schlecht mit diesen Automaten zurecht kommen, das gilt keineswegs nur für die Senioren -"

    Wieder einmal zeigt sich: vorgebliche Altersdefizite - "Alte Leute kommen mit den Automaten nicht zurecht" - entpuppen sich als reine Produktdefizite.

    Die Benutzungsqualität technischer Produkte zu verbessern ist letztlich das Ziel der Arbeit von Forschern wie Neth und Rudinger. Sie tun das zwar unter dem Vorzeichen der Seniorenforschung, letztlich aber kommt das Ergebnis allen Nutzergruppen zugute.

    " Man spricht ja jetzt von Design for all, das heißt also, dass man in der Technik Benutzeroberflächen so gestaltet, dass Ältere es verstehen, schadet den Jüngeren ja nicht, sondern es nützt ihnen sogar, das heißt selbst dort können noch mehr Komfort, fehlerfreie Bedienung gewährleistet sein, das haben unsere Experimente auch gezeigt."

    Dass Technikprodukte verbesserungsbedürftig sind, steht außer Frage. Eine Digitalkamera etwa, deren automatischer Blitz sich erst nach einer Tour durch die Menüs über acht Tastensprünge abschalten lässt, empfinden sicher auch Jungnutzer nicht als geglückten Entwurf. Wie kommt es, dass sie solche Produkte dennoch akzeptieren? Sind sie flexibler, toleranter? Schauen sie wirklich nur auf Marke und Design, wie ein beliebtes Vorurteil behauptet? Kirsten Schindlers Befragung von Aachener Schülern und Studenten spricht zumindest beim Technikfetisch Handy deutlich gegen dieses Klischee.

    " Wir haben danach gefragt, was für Motive den Kauf begründen. Viele haben gesagt, sie haben das erste Gerät von ihren Eltern bekommen, die das übrig hatten oder von jemand andern, das war dann das erste Gerät, und es ging darum SMS zu verschicken, zu telefonieren, und viele andere Funktionen der neueren Geräte spielen für die Schüler keine Rolle, es ist ihnen auch zu teuer, Fotos zu machen, ist gar nicht interessant für sie, es geht vor allem um basale Kommunikationsbedürfnisse, und dafür braucht man gar nicht das beste und neuste Gerät."

    Die Jungen scheinen also zufrieden, so lange die Hauptfunktionen eines Geräts ihren Dienst tun. Die Alten verlangen mehr. Sie bevorzugen Technik, deren Funktionalität ihrem eigenen Vorwissen und ihren Bedürfnissen näher kommt als die hippen trendy Neuheiten mit ihrer Überfülle an nie genutzten Möglichkeiten. Doch tun sich die Hersteller von Technik offenbar schwer, auf diese Bedürfnisse einzugehen. Entweder sie bieten überhaupt nichts für den Markt der agilen Alten, denen Durchschaubarkeit über Design geht, weil sie um ihre junge Kundschaft fürchten. Eine These, die sich bei der Entwicklung von Fahr- und Steuerhilfen für PKW bestätigen lässt.

    Rudinger:
    " Im Bereich Telematik zum Beispiel. Wir haben mal so eine Taxonomie entwickelt, was müsste eigentlich bei Telematik beachtet werden, damit sich bei Älteren kein Workload einstellt und kein Distraktor wird, also von der Fahraufgabe ablenkt. Und man muss folgenden Eindruck haben, dass die Autoindustrie gar nicht daran interessiert ist, für Ältere etwas anzubieten, weil sich das Auto dann für andere Generationen kaum noch verkauft, "

    Oder aber die Hersteller schießen übers Ziel hinaus und entwickeln Produkte - "Geeignet für Senioren, Behinderte, Kranke mit Anfallsleiden u.a." -, deren muffige Treppenliftausstrahlung von falsch verstandener Problematik zeugt und durch poppige Aufmachung überdeckt werden soll.

    Neth:
    " Kein Senior will in der U-Bahn sitzen mit einem Dreitastenhandy und jeder der neben ihm sitzt weiß, dass der en sehr eingeschränkten Freundeskreis hat und einer davon ist der Notarzt, ja. Also diese Blindenbindenprodukte, die wollen wir nicht."

    Die positive Vision der Berliner Arbeitswissenschaftler ist klar und einfach:

    " Wir werden erst dann zufrieden sein, wenn wir ein Handy haben, das für den Senior gut geeignet ist, und wo der Enkel sagt, Mensch Oma, das hätte ich aber auch gern."
    Reisende ziehen am 20. Mai 2003 im Hauptbahnhof in München an einem Automaten Fahrkarten
    Am Fahrkartenautomaten können auch jüngere Menschen verzweifeln. (AP)