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Omid Nouripour zur Wahl im Iran
"Iraner trauen sich offenbar, die Reformer zu wählen"

Nach den Parlamentswahlen im Iran gibt es Hoffnung auf einen politischen Wandel in dem Land. Die Bevölkerung verspüre eine riesige Sehnsucht, die internationale Isolation zu beenden, sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour im DLF. Es könne sein, dass die Menschen nun versuchen, die Hardliner aus dem Parlament zu vertreiben.

Omid Nouripour im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 27.02.2016
    Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) geht am 19.10.2015 zu einem Treffen des deutschen Außenministers mit dem Kooperationsrats der Arabischen Staaten des Golfs in Riad (Saudi-Arabien).
    Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour bei einem Besuch in Saudi-Arabien (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Es sei richtig gewesen, im Atomstreit auf eine Verhandlungslösung zu setzen, sagte Nouripour im DLF. Die Stimmung in dem Land sei derzeit hervorragend und die Regierung populär. Fraglich sei, ob es im Parlament auch eine kritische Masse gebe, die Präsident Hassan Rohani stütze, damit er seine Reformversprechen einlösen könne. Die hohe Wahlbeteiligung im Iran sei ambivalent, meinte Nouripour. Die Regierung könnte dies auch für ihre Propaganda nutzen und als Erfolg ihrer Tätigkeit darstellen.
    Derzeit werden die Stimmen ausgezählt. Nach neuen Angaben des Innenministeriums lag die Wahlbeteiligung bei 60 Prozent. Für die Hauptstadt Teheran sollen im Laufe des Tages erste Ergebnisse veröffentlicht werden. Inoffiziellen Hochrechnungen zufolge sollen Reformer und moderate Konservative Gewinne verzeichnen.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Wer wird die Nase vorn haben bei den Wahlen im Iran? Werden die Hardliner das Parlament weiter dominieren oder werden die Reformer beziehungsweise die Moderaten obsiegen? Nach dem Atomabkommen mit dem Iran und der Aufhebung der Sanktionen werden jetzt in Teheran die Weichen für die künftige Entwicklung gestellt.
    ((Bericht))
    Und am Telefon begrüße ich jetzt Omid Nouripour, er ist außenpolitischer Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, deutscher Politiker mit iranischen Wurzeln. Schönen guten Tag, Herr Nouripour!
    Omid Nouripour: Ich grüße Sie!
    Heckmann: Noch liegen ja die endgültigen Ergebnisse nicht vor. Aber wie optimistisch sind Sie, was das Wahlergebnis angeht?
    Nouripour: Na ja, das ist jetzt schon ein ambivalentes Ergebnis, was zu erwarten ist. Auf der einen Seite ist eine hohe Wahlbeteiligung immer wieder auch ein Indiz und eine Propagandabewegung quasi für das Regime, um zu sagen: Seht ihr, es ist alles gut, niemand ist unzufrieden. Auf der anderen Seite bedeutet eine hohe Wahlbeteiligung ja auch, dass die jungen Leute weiterhin sich getraut haben, Hoffnung zu fassen, um auch die Reformer und moderateren Kandidaten zu wählen. Wenn es zum Beispiel stimmt, dass bei der wahrscheinlich wichtigeren Wahl, nämlich um die des Expertenrates Mesbah Yazdi tatsächlich rausgeflogen ist – das ist der finsterste aller islamistischen Geistlichen im Land –, dann ist das per se eine supergute Nachricht!
    Heckmann: Ich wollte gerade sagen: Präsident Rohani ist ja das eine, ein Parlament, das nicht mehr durch Hardliner dominiert, ebenfalls. Aber ist das Ganze nicht mehr oder weniger unerheblich, denn der starke Mann ist und bleibt ja ohnehin erst mal zumindest der geistliche Führer Ali Chamenei.
    Nouripour: Das ist richtig, zumal ja auch der Wahlgang selbst ziemlich frei ist, zumindest für regionale Maßstäbe, aber die Selektion vorher der Kandidaten natürlich immens. Und sehr, sehr viele durften überhaupt gar nicht antreten, teilweise der Enkel des Revolutionsbegründers Khomeini oder andere, die schon mal im Parlament gesessen haben, die plötzlich nicht mehr für geeignet gelten … Also, es gab wirklich eine große Selektion vor der Elektion. Nur ist aber die Frage, ob es trotzdem eine kritische Masse gibt von Leuten, die bereit sind, Rohanis Kurs zu unterstützen. Das ist auch deswegen sehr wichtig, weil er sehr viele Wahlversprechen abgegeben hat, nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch was persönliche und politische Freiheiten betrifft. Und bisher hatte er die Ausrede, dass das Parlament ihm hier die Steine in den Weg legt. Wenn er eine kritische Masse im Parlament hat, fällt die Ausrede weg und dann kann man ihn tatsächlich auch bei den Worten packen, die er im Wahlkampf so von sich gegeben hat.
    Heckmann: Sie haben gerade diesen Expertenrat angesprochen, der ja den Nachfolger von Chamenei, dem geistlichen Führer dann wählen wird. Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit – Sie haben gerade schon gesagt, da ist möglicherweise ein Hardliner rausgefallen –, wie groß aber ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kräfte die Oberhand gewinnen könnten, die weiter auf Reformen setzen?
    "Es geht darum, dass die richtig brutalen Extremisten tatsächlich keine Mehrheit bekommen"
    Nouripour: Na ja, dass im Expertenrat Reformisten sitzen, ist relativ ungewöhnlich und wird wahrscheinlich nicht passieren. Die zentrale Frage aber bei diesem Parlament ist, was sie denn eigentlich tun werden, wenn es den jetzigen allmächtigen Revolutionsführer Chamenei nicht mehr geben sollte. Wenn der Mann verstirbt, soll dieses Parlament die Nachfolge bestimmen, und es ist überhaupt nicht klar, ob sie dann eine Person bestimmen oder ob sie das gesamte Prinzip, dass es einen Mann gibt vorne, der steht, tatsächlich aufweichen oder auflösen und dass es auf einmal eine Gruppe von Leuten gibt, die an seiner dann das Zepter in die Hand nehmen, was riesige Auswirkungen hätte für den gesamten Staatsapparat und für die Machtverhältnisse im Iran selbst. Und deshalb muss man einfach abwarten, wie dort die Mehrheitsverhältnisse sind. Es geht nicht darum, dass Reformer durchkommen, es geht darum, dass die richtig brutalen Extremisten tatsächlich keine Mehrheit bekommen.
    Heckmann: Herr Nouripour, vor wenigen Monaten war es ja erst zum Atomdeal gekommen mit dem Iran, anschließend wurden die Sanktionen erst gelockert, dann aufgehoben. Jetzt also die Wahl, bei der die Moderaten Zulauf erhalten könnten. Fühlen Sie sich im Nachhinein darin bestätigt, im Streit mit dem Iran auf eine Verhandlungslösung zu setzen?
    Nouripour: Das war absolut richtig, aber man darf sich keine Illusionen machen. Richtig war es allein deswegen schon, weil wenn wir kein Ergebnis mit dem Iran hinbekommen hätten, es keine Inspektion geben würde der Atomanlagen. Und das wäre der sicherste und schnellste Weg des Grauens einer Atombombe, weil die Zentrifugen einfach – und zwar in der Zahl, die die Iraner alleine bestimmt hätten – weitergelaufen wäre. Allein deswegen ist das Abkommen richtig. Die Illusion aber besteht darin, dass viele gedacht haben, na ja, danach lösen wir zusammen auch die regionalen Probleme, setzen uns zusammen und dann ist kein Problem mehr da. Das ist deswegen eine Illusion gewesen, weil es von vornherein klar war, dass, wenn die Sanktionen weg sind, die Iraner mehr Geld haben werden. Das werden sie für die ökonomische Entwicklung im Lande ausgeben, sie werden es auch ausgeben zum Beispiel dafür, dass sie die überalterte zivile Flugzeugflotte des Landes erneuern, das passiert auch gerade in diesem Augenblick. Aber natürlich wird auch Geld übrig bleiben für regionale Auseinandersetzungen, zum Beispiel für die Kriegskasse in Syrien. Sodass es immer wichtig ist, die immensen Risiken dieses Atomabkommens auch noch zu benennen. Aber im Iran selbst ist die Stimmung wirklich hervorragend gewesen, die Regierung hat eine unglaubliche Popularität seitdem und diese riesige Sehnsucht der Iraner, die internationale Isolation nach zig Jahren endlich zu beenden, ist jetzt auf dem Höhepunkt. Und deshalb kann es sein, dass viele Leute sich getraut haben, rauszugehen und doch noch zu versuchen, die Hardliner aus dem Parlament zu vertreiben, damit Rohani jetzt auch seine Wahlversprechen einlösen kann.
    Heckmann: Die Risiken, die Sie gerade angesprochen haben, Herr Nouripour, die spricht auch immer wieder Israels Ministerpräsidenten Netanjahu an, der sagt, der Westen mache einen schweren Fehler mit dem Atomdeal, Iran wolle Israel schließlich nach wie vor zerstören. Ist an diesem Einwand nicht was dran?
    "Ich freue mich über jede Sekunde, in der die Waffen schweigen"
    Nouripour: Noch mal: Es gibt Risiken in der Regionalpolitik, das ist keine Frage. Aber was Netanjahu noch nicht erklärt hat, bei allem Verständnis für die riesige Sorge Israels, was denn die Alternative ist zu einem Abkommen, bei dem Inspektionen wenigstens vorgesehen sind. Keine Inspektionen heißt: Zentrifugen laufen weiter, heißt der schnellste Weg des Iran zur Bombe! Und ich glaube nicht, dass das ein sinnvoller Weg wäre, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten.
    Heckmann: Blicken wir noch zum Schluss auf Syrien: Die Waffenruhe, die seit null Uhr Ortszeit gilt, scheint ja bisher einigermaßen zumindest zu halten. Gehen Sie davon aus, dass das so bleibt?
    Nouripour: Ich gehe ehrlich gesagt nicht davon aus, aber ich freue mich über jede Sekunde, in der die Waffen schweigen. Und ich hoffe, dass der Aufruf von Peter Maurer, dem Chef des Internationalen Roten Kreuzes, was wir gerade gehört haben, auch endlich Gehör findet und dass diese kurze, kleine Waffenpause, die doch mehr zumindest punktuell funktioniert, als ich das zumindest erwartet hätte, dass diese Pause genutzt wird, damit die vielen, vielen Abertausenden von Menschen, die umzingelt sind, jetzt humanitäre Hilfe bekommen. Ich kann keinem Syrer erklären, warum Deutschland mit Militärflugzeugen unterwegs ist in der Luft, um aufzuklären und auch anderen westlichen Staaten zu helfen, damit die Bomben abwerfen können, aber dass kein westlicher Staat imstande sein soll, Essenspakete abzuwerfen bei den Leuten, die gerade am Verhungern sind. Ich glaube, dass man diese Pause nun dafür nutzen sollte, ganz dringend, damit humanitäre Hilfe auch dort ankommt, wo sie gebraucht wird.
    Heckmann: Der außenpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag Omid Nouripour war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Nouripour, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Nouripour: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.