Freitag, 19. April 2024

Archiv

Online-Archiv für historische Punkfotos
Dia-Abend mit Dosenbier

Vor 40 Jahren entstand Punk. Jugendliche revoltierten mit lauter Musik, Nietenjacke und Irokese gegen bürgerliche Spießigkeit. Ein Foto-Online-Archiv in Hamburg dokumentiert die Vielfalt dieser Subkultur. Historische Fotos von Profis und Amateuren gewähren seltene Einblicke in den Alltag der Punks.

Von Juliane Reil | 29.11.2017
    Punk fotografiert Punk - Foto von den Chaostagen 1983
    Punk fotografiert Punk - Foto von den Chaostagen 1983 (Dirk Eisermann)
    Karl Nagel: "Mit 20 bist Du dafür da, alles in Unordnung zu bringen."
    Kamera-Klick. Zecke kotzt in die Fußgängerzone. Kamera-Klick. Von Links: Felge, Strahl und Carsten. Kamera-Klick. Rathausmarkt Hamburg, 1983 - Kröte klatscht Frank eine.
    Drei Fotoaufnahmen auf punkfoto.org. Vor zehn Jahren ins Leben gerufen von Karl Nagel in Hamburg. Der 56-Jährige, heute würdig ergraut, mit kurz geschorenen Haaren, aber immer noch mit Eisenkette und Sicherheitsnadel um den Hals, hat Punk von Anfang an miterlebt. Die Chaos-Tage in Hannover- ein überregionales Treffen von Punks in den 80er-Jahren - hat er mit initiiert.
    Karl Nagel: "Das ist ein Foto, das ist vor der Kornstraße aufgenommen. Das hat damals ein Fotograf vom Spiegel aufgenommen, Dirk Eisermann."
    Wir stehen im Flur von Nagels Wohnung. Die Wand von oben bis unten mit Fotos, Flyern, Zeichnungen und anderen Erinnerungen aus seiner Punkzeit tapeziert. Nagel führte Eisermann '83 sicher durch die ersten Chaostage. Zum Dank gab der ihm einen dicken Umschlag mit den damals entstandenen Fotos. Seitdem sammelt Nagel Fotodokumente der Punk-Ära. Nicht nur von Profis. Ihn interessieren vor allem private Bilder - ohne Posing - die seltenen Einblicke in den Alltag der Punks geben.
    Karl Nagel: "Ein Sofa, im Hintergrund eine tolle Wohnzimmergardine. Mutti mit Sohn, der da mit überkreuzten Beinen sitzt. Aber Mutti guckt ihren Sohn an und sie liebt ihn."
    Autorin: "Er mit Springer-Stiefeln und Irokesenschnitt."
    Karl Nagel: "Halber Irokesenschnitt in der Mitte, links und rechts davon ist trotzdem immer noch eine Menge Strubbelkram. Und solche Fotos kriegst natürlich nicht von professionellen Journalisten zu sehen."
    Die Sammlung von Nagel - auch für Nicht-Punker - absolut beeindruckend, weil sie die Vielfalt einer Subkultur abbildet. Gleichzeitig zeigt sie die Spannungen und Widersprüche der Punks zu ihrem bürgerlich-familiären Umfeld.
    Tragisch, komisch, beeindruckend
    Momentaufnahmen, bei denen Tragik und Komik nah beieinanderliegen. Das berührt. Auch, weil man durch Punkfoto manchmal etwas über die weiteren Lebensverläufe der Menschen auf den Bildern erfährt. Zum Beispiel über den jungen Punk, der sich neben Mutti auf dem Sofa fläzt. Heute wäre er vielleicht 50 oder älter.
    Karl Nagel: "Der Typ heißt übrigens Tarzan und ist mittlerweile auch tot."
    Punks beim "Chaos-Tag" in Hannover 1984
    Punks beim "Chaos-Tag" in Hannover 1984 (picture alliance / dpa / Christine Pfund)
    Punkfoto ist mehr als ein Archiv. Info-Börse und Kommunikations-Portal für Punker in einem. Via Punkfoto können sie mit alten Weggefährten wieder in Kontakt treten oder etwas über deren Verbleib erfahren. In seinem Bekanntenkreis, auf Facebook und Twitter startet Karl Nagel immer wieder Aufrufe, um neue Fotos zu finden. Als angemeldetes Mitglied kann man selbst Bilder auf Punkfoto hochladen und auch Kommentare hinterlassen.
    Karl Nagel: "Und dann schreibt jemand: 'Tarzan war einer der coolsten Punks, den ich kennengelernt habe. Das war 81 oder 82 in Düsseldorf. Er war kein versiffter Assi-Punk, sondern unheimlich straight und smart. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als wir uns gesehen haben' und so weiter.
    Trotzdem kurios, Punks entdecken nun auch die bürgerliche Institution eines Archivs für sich. Vielleicht ist das Altersmilde, die Karl Nagel aber nicht in Hinblick auf die Punk-Vergangenheit hat. Sie durch die Bildersammlung zu überhöhen, nicht sein Ziel, weil …
    Karl Nagel: "Es für mich mehr um Beobachtung geht, um Erfahrung. Punk ist supergeil und superscheiße, weil, was ich da an Scheißsachen erlebt habe und wie viel Leute gestorben sind, da kann ich nicht mit einer Nostalgie herangehen. Es war vieles richtig scheiße."
    Für Karl Nagel, der sich übrigens nach seinem Punk-Spitznamen nennt, ist Punk sein Leben. Seit über zehn Jahren stemmt der Webentwickler Punkfoto allein. Die Website ist kostenlos. Schon lange kann er sich das nicht mehr leisten und hat eine Crowdfunding-Initiative gestartet. Von ihr hängt ab, ob das Online-Archiv mit seinen Schätzen und Raritäten weiter bestehen kann.
    Die Website punkfoto.org steht kostenlos zur Verfügung. Auf der Website findet sich auch die Crowdfunding-Initiative von Karl Nagel. Im Gegenzug zur Spende bekommt man Foto-Abzüge, außerdem wird ein seltenes Original-Punk-Shirt von der englischen Punk-Designerin Vivienne Westwood verlost.