Freitag, 19. April 2024

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Online-Lehrerbewertung
"Nur als Beginn einer Feedback-Kultur zu empfehlen"

Dirk Mescher von der GEW plädiert für eine Feedback-Kultur im direkten Gespräch. Die Fragen einer Onlinebewertung seien zu starr und könnten höchstens als Anlass für Diskussionen dienen, sagte er im Dlf. Zudem sehe er die Anonymität nicht ausreichend gewährleistet.

Dirk Meschner im Gespräch mit Benedikt Schulz | 02.09.2019
Schüler einer fünften Klasse eines Gymnasiums benutzen im Unterricht einen Laptop
In einem Hamburger Pilotprojekt sollen Schülerinnen und Schüler ihre Lehrkräfte bewerten können (dpa / Daniel Reinhardt)
Benedikt Schulz: In Hamburg sollen Schülerinnen und Schüler also demnächst ihre Lehrkräfte bewerten können, anonym – ein Pilotprojekt, und das Ganze geht los erst mal mit einigen Schulen. Und wie funktioniert das Ganze, das muss man mal kurz erklären. Eine Online-Plattform stellt den Schülerinnen und Schülern Fragen, zum Beispiel solche: Fühle ich mich im Unterricht wohl? Und dann darf angekreuzt werden: trifft zu oder trifft überhaupt nicht zu. Die Lehrerinnen und Lehrer können dabei entscheiden, welche Fragen gestellt werden und welche nicht. Die Ergebnisse, die sind nur für sie bestimmt, und das ist insofern schon sehr wichtig, weil anonyme Online-Bewertung durchaus ja unangenehme Assoziationen wecken könnte, Stichwort AfD-Meldeportale. Das ist hier also nicht der Fall. Nichtsdestotrotz, das Projekt ist ja mindestens diskutabel, und diskutieren wollen wir darüber, und zwar mit Dirk Mescher, Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hamburg. Hallo Herr Mescher, schön, dass Sie da sind!
Dirk Mescher: Ja, schönen guten Tag nach Köln!
"Die Fragen sind sehr starr"
Schulz: Herr Mescher, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vertritt ja auch die Lehrerinnen und Lehrer in Hamburg. Schülerinnen und Schüler bewerten anonym Lehrkräfte online. Gut Idee oder nicht, was sagen Sie?
Mescher: Ja, das ist ein bisschen komplizierter. Zuerst haben wir uns auch ein bisschen erschreckt über diese Ankündigung des Senators Rabe, hier ein Bewertungsportal im Internet einzuführen, weil, wie Sie schon erwähnt haben, wir da sehr schlecht Erfahrungen mit gemacht haben. Andererseits ist es für uns auch ein wichtiges Thema, die Feedback-Kultur in den Schulen, in den Klassen über den Unterricht zu stärken. Ob das allerdings mit diesem Umweg über diese Digitalisierung gelingt, das mag ich doch bezweifeln letztendlich, denn die Fragen sind sehr starr, ersetzen auf keinen Fall das Gespräch im Unterricht, die Beziehungsarbeit, die Diskussion über den Unterricht, darüber direkt in Kontakt zu bleiben, sondern können höchstens einen Anhaltspunkte für die Lehrkräfte sein, dann darüber ins Gespräch zu gehen.
"Keine unabhängige wissenschaftliche Begleitung des Verfahrens"
Schulz: Nun ist das Ganze ja freiwillig. Würden Sie denn den Lehrerinnen und Lehrern in Hamburg empfehlen, daran teilzunehmen?
Mescher: Also auch das ist ein bisschen problematisch. Es ist natürlich erst mal selbstverständlich, dass das freiwillig ist. So soll es ja zumindest in der Pilotphase sein. Man muss dann auch sagen, darüber hinaus ist die Personalvertretung auch in der Mitbestimmung, wenn das Verfahren eingeführt werden soll. Da gibt es auch gerade Diskussionen darüber, wie das geschehen kann. Es ist natürlich auch so, dass verschiedene Lehrkräfte auch jetzt schon sozusagen mit Fragebögen-Feedbacks arbeiten mit ihrer Klasse. Insofern ist es auch nicht gänzlich etwas Neues, und die Lehrkräfte haben natürlich die Möglichkeit, jetzt bei diesem Fragebogen Fragen wegzulassen, welche zu streichen, besondere Schwerpunkte zu setzen. Das ist schon richtig, wenn sie das dann wollen, aber immer, wie gesagt, nur als Anlass zu Beginn einer Feedback-Kultur vielleicht, könnte man sagen, kann man das empfehlen, wenn die Leute das selber wollen.
Die Schwierigkeit besteht jetzt aus unserer Sicht ein bisschen darin, dass mit der wissenschaftlichen Begleitung ja das Institut für Bildungsmonitoring beauftragt ist. Das ist sozusagen ein stadteigenes Forschungsinstitut. Also es gibt da keineswegs eine unabhängige wissenschaftliche Beforschung darüber. Dieses Institut führt auch die Schulinspektion in Hamburg durch, die ja schon sozusagen dann Schulen benoten, und wir haben schon die Sorge, dass hier vernetzt wird, Schulinspektion mit der Aussage über den Unterrichtsgehalt und die Unterrichtsqualität einzelner Lehrkräfte. Das ist dann auch leicht zurückzuverfolgen, wenn man eine bestimmte Schule hat, und da sind wir uns nicht sicher, ob das wirklich gewährleistet ist, hier eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung des Verfahrens.
"Anonymität sehe ich noch nicht unbedingt gewährleistet"
Schulz: Es ist aber so, dass die Ergebnisse nur den Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung gestellt werden. Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, befürchten Sie aber, dass das genau nicht passiert, sondern dass die Behörde die Daten entweder bekommt oder zumindest daraus schließen kann, wer damit gemeint ist im Einzelnen und daraus Konsequenzen ziehen könnte. Habe ich das richtig verstanden?
Mescher: Ja, es gibt ja eine Pilotphase, in der das Verfahren ausprobiert werden soll, und es gibt diese wissenschaftliche Begleitung des Instituts, die sozusagen behördeneigen ist. Die müssen ja auch Daten analysieren sozusagen, das geht ja gar nicht anders, kennen sich gleichzeitig sehr gut in den Schulen aus, und da muss absolut natürlich Anonymität gewährleistet sein. Das sehe ich jetzt nach den ersten Berichten und Pressemitteilungen der Behörde noch nicht unbedingt gewährleistet.
Schulz: Was fürchten Sie denn für Konsequenzen?
Mescher: Es ist schon natürlich dann darstellbar, wenn sich nur ein Teil der Lehrkräfte beteiligt an diesen Pilotschulen. Wenn das verbunden wird mit der Schulinspektion, mit den Unterrichtsbesuchen, die in dem Rahmen stattfinden, dass es schon klar auszumachen ist, welche Lehrer da aus Sicht der Behörde Qualitätsprobleme haben, und auf die kann dann natürlich auch individuell Druck ausgeübt werden. Ob das nun im Einzelfall passieren wird - aber die Konstruktion dieser wissenschaftlichen Begleitung ist aus unserer Sich zumindest schwierig.
Feedback-Kultur im direkten Gespräch
Schulz: Sie haben gesprochen vom Beginn einer Feedback-Kultur, das kann nur der Beginn einer Feedback-Kultur sein. Dem entnehme ich so ein bisschen, dass es an Feedback-Kultur an Hamburger Schulen und wohl auch nicht nur da in deutschen Klassenzimmern grundsätzlich mangelt. Was sind denn da die Probleme und was sind denn da mögliche Wege, um Feedback-Kultur zu etablieren an deutschen Schulen?
Mescher: Es ist sicherlich so, dass es da mangelt, das denke ich schon. Es gibt natürlich auch einen gesellschaftspolitischen Hintergrund, also jede Menge Onlineverfahren kursieren ja über alle mögliche, Einkäufe, Urlaubsreisen, alle möglichen Dienstleistungen, anonym zu bewerten, und dahinter steckt natürlich auch eine Haltung, da selbst für nicht geradezustehen für die eigene Meinung und Sichtweise. Wobei man auch natürlich in Rede stellen muss, dass das ein Machtverhältnis ist, was in Schulen stattfindet - Lehrer und Schüler begegnen sich nicht immer auf Augenhöhe. Aber es ist wichtig, um qualitativ guten Unterricht zu machen, an diesem Verhältnis zu arbeiten und hier Augenhöhe herzustellen, so gut es geht. Das können die Lehrkräfte natürlich tun, indem sie das Gespräch mit den Schülern suchen, indem sie über ihren Unterricht sprechen, verschiedene Dinge zur Diskussion stellen und einladen dazu, dass sie auch kritisiert werden, das einüben mit ihren Klassen. Auch die Schüler müssen das lernen sozusagen und dann auch in diesem Rahmen erfahren, dass auch, wenn sie Kritik üben, das keine negativen Konsequenzen hat, sondern sie damit dazu beitragen, an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten, nämlich guten Unterricht für alle Kinder und Jugendlichen stärker zu machen und zu etablieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.