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Oper "Emma und Eginhard"
Eroberung der Freiheit

Das selten aufgeführte Singspiel "Emma und Eginhard" von Georg Philipp Telemann handelt von einer Liebesgeschichte am Hofe Karls des Großen, dessen Tochter einen Bürgerlichen liebt - ein Plädoyer gegen Standesdünkel und für die Liebesheirat. Nun neu inszeniert an der Berliner Staatsoper im Schillertheater von der Regisseurin Eva-Maria Höckmayr und unter musikalischer Leitung von René Jacobs.

Von Julia Spinola | 27.04.2015
    Die Staatsoper im Schillertheater Berlin, fotografiert am 28.04.2014.
    Die Staatsoper im Schillertheater Berlin, fotografiert am 28.04.2014. (picture alliance / dpa - Hauke-Christian Dittrich)
    Kaiser Karl der Große kehrt in vollem Ornat siegreich aus den Sachsenkriegen zurück. Im Hintergrund des aufwendigen Bühnenbildes von Nina von Essen lodern noch die Flammen, der Boden des Palastes ist mit Leichen bedeckt. Dann dreht sich die Bühne und wir befinden uns in der Gegenwart. Politiker von heute konferieren in einem prunkenden Sitzungssaal, den Kaminsims zieren kleine Flaggen von Europa, Deutschland und Berlin.
    Telemann schrieb seine selten gespielte Oper "Emma und Eginhard" 1728 zum fünfzigjährigen Bestehen des Hamburger Operntheaters am Gänsemarkt für ein gemischtes bürgerlich-aristokratisches Publikum. Daher spickte er sein Historiendrama mit Hinweisen auf die erwachende bürgerliche Emanzipationsbewegung. Das emotionale Zentrum seiner stilistisch ungemein vielfältigen Oper ist jedoch eine nachgerade romantische Liebesgeschichte: Emma, die Tochter Karls des Großen, macht dem bürgerlichen Eginhard Avancen, der am Hof als Schreiber dient - wohlwissend, dass diese aus Standesgründen verbotene Beziehung für beide den Tod bedeuten muss.
    Robin Johannsen erfüllt die hoch expressive Partie der Emma mit einem wunderbar lyrischen, warmen Soprantimbre und zeigt eine in Liebe hingerissene junge Frau, die ihren Eginhard nach der gemeinsam verbrachten Nacht Huckepack durch den Schnee hinausträgt, damit er keine Fußspuren hinterlasse. Die Szene wird jedoch von Karl beobachtet, der die beiden Liebenden zunächst zum Tode verurteilt, dann aber seinem mitfühlenden Vaterherz nachgibt und Gnade walten lässt. Am Ende siegt das bürgerliche Ideal einer standesübergreifenden Menschlichkeit über das aristokratische Prinzip des Geburtsadels. Nicht nur das hohe Paar Emma und Eginhard wird dadurch gerettet, auch die diversen Liebeshändel des niedrigen Personals der Oper werden so legitimiert.
    Die junge Regisseurin Eva-Maria Höckmayer erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Hofnarrs Steffen, einem spitzzüngigen Kritiker des Adels, der in ihrer Inszenierung zugleich als das Alter Ego des Kaisers auftritt. Auf der unablässig eingesetzten Drehbühne hat sie eine anspielungsreiche, immer wieder neu gerahmte Szenerie erfunden, in der die barocke Welt, ein bürgerliches Ambiente des 19. Jahrhunderts und unsere Gegenwart ineinander gespiegelt erscheinen. Steffen und der Kaiser treten mal als Beobachter eines historischen Geschehens an die Rampe oder ins Publikum, mal durchstreifen sie die rasch wechselnden Kulissen als Akteure.
    Die Vertreter des alten monarchischen Denkens tragen Perücken. Emma und Eginhard scheinen der Zeit Franz Schuberts entsprungen zu sein, in dessen Oper "Fierrabras" sie als Figuren ebenfalls auftreten. Und am Ende beklatscht ein im Bühnenhintergrund auftauchendes modernes Publikum das Happy End der bürgerlichen Gleichberechtigung. Das ist alles sehr bunt, liebevoll und unterhaltsam arrangiert, kippt jedoch zunehmend ins Kitschige und überfrachtet die Oper schließlich mit einer Überfülle an Einfällen, die sich gegenseitig relativieren.
    René Jacobs gelang am Pult seiner mit historischen Instrumenten besetzten Akademie für Alte Musik ein überzeugenderes Plädoyer für Telemann. Nach den noch etwas starr und unfrei wirkenden ersten Nummern der Oper, erweckten die Musiker die erstaunliche Ausdrucksfülle dieser Partitur mit ihren harmonischen Raffinessen und ihrer oft fluide strömenden Melodik zum Leben. Und auch die Sänger fanden, nach kleinen Manieriertheiten zu Beginn des Abends, beinahe durchweg zu einem natürlich fließenden, rhetorisch pointierten und vorbildlich textverständlichen Barockgesang.