Freitag, 19. April 2024

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Oper "Montezuma" in Lübeck
Anregung zum Nachdenken und weniger Friedrichs Propaganda

Friedrich der Große schrieb als König das Libretto zur Oper "Montezuma" und machte damit Politik. Ein Jahr nach der Uraufführung 1756 zieht Preußen in den Krieg gegen Österreich. Die Inszenierung am Theater Lübeck will nicht das Original abbilden: Der Oper wurden Texte über den Monarchen selbst hinzugefügt.

Von Elisabeth Richter | 27.01.2020
    Szene aus der Oper "Montezuma"
    Die Oper "Montezuma" vertonte der Komponist Carl Heinrich Graun (Jochen Quast)
    Montezuma ist gerade dabei Eupaforice zu heiraten, da dringen die Spanier unter Cortés in das Land ein. Montezuma empfängt sie freundlich, lädt sie zu seiner Hochzeit ein. Doch der listige Cortés nutzt die Gelegenheit, seine Truppen in die Stadt einzuschleusen. Montezuma wird gefangen genommen, verweigert, sich zu unterwerfen und wird hingerichtet. Die Azteken sterben im Gemetzel. Ein nihilistischer Schluss ohne das sonst übliche "glückliche Ende" der Barockoper.
    "Es ist erstmal ungewöhnlich, dass ein König ein Libretto schreibt. Ein Politiker sozusagen, der in dem Moment, wo er schreibt, auch europäische Politik macht, das hat man nicht so oft. Das wäre ja, wie wenn Frau Merkel jetzt auf einmal eine Wirtschaftskomödie schreibt", sagt Ingo Kerkhof, der Regisseur von Carl Heinrich Grauns Oper "Montezuma" in Lübeck.
    Leidenschaft Friedrichs des Großen für Kunst und Musik
    Vielleicht war alles Kalkül? Wer damals in die "Königliche Oper" Unter den Linden in Berlin ging, der wusste von der Leidenschaft Friedrichs des Großen für Kunst und Musik. Und wenn dieser ein Libretto schrieb und vertonen ließ, bei dem es um die Vernichtung eines guten Herrschers und seines Volkes geht, um Angriff und Verteidigung, dem war auch klar, dass der königliche Librettist seinem Publikum etwas mitteilen wollte, dass aktuelle Politik eine Rolle spielte.
    "Es geht um Preußen, es geht um den König von Preußen, es geht um die Frage, ob – in der Oper heißt es, Mexiko ist ein glückliches Land, weil meine Untertanen mich lieben, so sagt Montezuma -, ob das reicht, oder wie weit man sich wehrhaft machen muss?"
    "Das ganze Libretto ist ein Pamphlet, das ist Propaganda, das Libretto sagt, der gute König Montezuma bin ich, das ist auch ein aufklärerischer König, und der böse spanische Eroberer sind natürlich die Feinde, so wie meine Feinde auch die Österreicher sind jetzt, und wenn wir uns nicht wehrhaft machen, dann gehen wir unter."
    Zweite Ebene mit Texten von dem Dramatiker Heiner Müller
    Friedrich rechtfertigt so sein machtpolitisches Handeln: 1756, nur ein Jahr nach der Uraufführung von "Montezuma" zieht Preußen in den Krieg gegen Österreich. Ingo Kerkhof findet das Libretto zu geradlinig. Er hat eine zweite Ebene eingeführt mit Texten von dem Dramatiker Heiner Müller zum Leben Friedrichs des Großen.
    "Friedrich als Kind bei seinem Vater Friedrich Wilhelm, da geht’s um die Demütigungen, die ihm angetan werden, die den Intellektuellen damals angetan wurden. Dann sehen wir Friedrich mit seinem Freund Katte, seiner Schwester Wilhelmine, wir sehen den Tod von Katte."
    ... und Friedrich im Gespräch mit seinem Brieffreund Voltaire oder mit sich selbst.
    Es entsteht ein geschicktes Spiel mit verschiedenen Ebenen. Dialoge und Musikszenen fließen virtuos ineinander. Die Sängerin des Montezuma – damals eine Kastratenpartie – ist gleichzeitig Friedrich. Oder Eupaforice, Montezumas Braut, wird zu Katte, Friedrichs Freund und vermutlich Geliebter. Cortés mutiert zum Soldatenkönig Friedrich Wilhelm, dem brutalen Vater Friedrichs II., aber auch zur Schwester Wilhelmine. Dazu kommen Schauspieler.
    "Dadurch, dass wir die Dialoge eingeführt haben, verschiebt sich der Schwerpunkt. Es wird eine Oper über Friedrich den Großen."
    Keine Abbildung des Originals
    Friedrich tritt gleich vierfach auf: als Kind, als junger Mann und alter Fritz und als Flötist. Sie kommunizieren auch miteinander. Anne Neuser hat einen cleveren Einheitsbühnenraum geschaffen, ein Garben-Feld aus Reet, also Schilfrohr. Davor sitzt einmal die Königliche Familie am Gartentisch, der Vater betrinkt sich und quält seinen Sohn, zerbricht ihm die geliebte Flöte und amüsiert sich noch über den verschreckten Sohn. Da sitzt der alte Fritz sinnierend im Sessel oder stolziert herum. Der jugendliche Fritz und sein Freund Katte, beziehungsweise Montezuma und Eupaforice tauschen Zärtlichkeiten aus. Da legen die sich wehrenden Azteken rote Kriegsbemalung auf.
    Das Konzept ist eigenwillig und will auch nicht Carl Heinrich Grauns Oper "Montezuma" original abbilden. Es wirft ein Licht auf Politiker-Machenschaften und -Kalkül, auch auf mögliche Gewissenskonflikte von Herrschenden. Friedrich der Große schrieb, dass er den Krieg wider Willen und auf Kosten der Humanität führen müsse.
    "Das ist die Frage, was ist das für ein Muss, er verkauft es als Verteidigungskrieg, wir reden jetzt vom Siebenjährigen Krieg, und faktisch ist es ein Angriffskrieg, er zieht in Sachsen ein, um, wie er selber sagt, einer Koalition, die sich zusammenballt, entgegenzutreten."
    Am Schluss erlaubt sich das Team um Regisseur Ingo Kerkhof eine Pirouette zu viel. Montezuma ist bereits hingerichtet, die Azteken sind niedergemetzelt. Die Stadt brennt. Eupaforice hat sie im Rachewahn anstecken lassen, bevor sie sich selbst das Leben nimmt. Da tritt die Dienerin Erissena aus der Szene heraus, wendet sich ans Publikum und erzählt, dass Eupaforice das Lübecker Opernhaus samt seines Personals ebenfalls in die Luft gesprengt habe. Diese Volte zum berühmten provokanten Ausspruch von Pierre Boulez gegen eingerostete Strukturen bringt keinen Mehrwert. Regie und Musik haben die inneren und äußeren Konflikte klar gezeigt.
    Anregung zum Nachdenken
    Grauns psychologisch vielschichtige Musik lag beim stilkundigen und espritvollen Dirigenten Takahiro Nagasaki und dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck in besten Händen. Das gesamte Sänger-Ensemble präsentierte sich auf sehr hohem Niveau: virtuos und mit rachsüchtigem Impetus Evmorfia Metaxaki als Eupaforice, atemberaubend die Koloraturen von Emma McNairy als Erissena und Andrea Stadel als Eroberer Cortés, eindrücklich mit Momenten verinnerlichter Intensität sang Julie-Marie Sundal den Montezuma. Diese musikalisch und szenisch gelunge Produktion regt zum Nachdenken an. Und das ist viel.