Donnerstag, 25. April 2024

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Oper über Walter Benjamin
Philosoph auf der Bühne

Weißer Anzug, Schnauzbart, Nickelbrille: Gleich doppelt erscheint die Figur Walter Benjamin bei der Uraufführung von Peter Ruzickas neuem Musiktheater in der Hamburgischen Staatoper. Musikalisch entfernt sich der Komponist mit "Benjamin" erstaunlich weit von seiner intellektuellen, analytischen Tonsprache.

Von Elisabeth Richter | 04.06.2018
    Szenenfoto aus 'Benjamin' an der Staatsoper Hamburg
    Das berührende Schicksal Walter Benjamins, aufbereitet in sieben Lebensstationen (Staatsoper Hamburg / Bernd Uhlig)
    Walter Benjamin schrieb selbst einmal, dass er in seinem Denken extreme, scheinbar unvereinbare Positionen vertrete. Er beschäftigte sich etwa mit Literatur, Kunst oder Metaphysik einerseits, aber andererseits auch mit der Wirkung von Drogen, mit Mode oder Prostitution. Oder: er dachte über das Jüdisch-Messianische genauso nach wie über den (kommunistischen) dialektischen Materialismus.
    Protagonist als Doppelfigur
    Zwei Seelen, ach, hatte Walter Benjamin wohl in seiner Brust. Da war es ein kluger Schachzug, dass Yona Kim, die Librettistin und Regisseurin von Peter Ruzickas neuem Musiktheater "Benjamin" den Protagonisten als Doppelfigur auftreten ließ, als Sänger und als Schauspieler. Beide sind identisch gekleidet und erinnern an den historischen Walter Benjamin: weißer Anzug, Schnauzbart, runde Nickelbrille.
    Der Schauspieler bringt auch Originalzitate von Walter Benjamin, der Sänger zeigt Emotionen, vor allem Verzweiflung. Beide Seiten dieser einen Person ringen miteinander - manchmal im wahrsten Sinne des Wortes. Einmal stehen sie Rücken an Rücken, die Arme ineinander verhakt, sie bilden in ihren Extremen eine Einheit.
    Benjamins letzte Lebenswochen
    Die sieben Stationen dieses Musiktheaters werfen Schlaglichter auf Aspekte des Lebens von Walter Benjamin. Sie schließen wichtige Wegbegleiter ein, darunter die Philosophen-Kollegin Hannah Arendt, Bertholt Brecht, den Religionshistoriker Gershom Sholem, die Geliebte und Kommunistin Asja Lacis.
    Heike Scheele hat einen Einheitsbühnenraum gebaut, der Warteraum für Flüchtlinge, Kinderzimmer, Pyrenäenwald oder öffentlicher Platz wird. Die Situationen fließen ineinander und verschachteln sich. Ausgangspunkt sind die letzten Lebenswochen des Philosophen, dem flashartig Erinnerungen kommen. Kindheitstraumata verfolgen ihn. Die Geliebte Asja drängt Benjamin zum marxistischen Denken, Gershom Sholem will ihn nach Palästina locken.
    In der siebten und letzten Station - wie am Anfang in den Pyrenäen - verdichtet sich Walter Benjamins Wunsch, dem Getriebensein ein Ende zu machen, immer mehr. "Das Messer des Fleischers wäre eine Erlösung" heißt es im Text.
    Berührendes Lebensschicksal
    Peter Ruzickas Musik geht hier stark in weiche, tonale, fast kitschige Regionen. Dann wird der Klang gleißend, ein Trompetensolo zeichnet Konturen in den hellen Tonteppich. Gelegentlich rumort das Schlagwerk im Untergrund. Überhaupt hat sich Ruzicka in seinem Musiktheater über Walter Benjamin erstaunlich weit von seiner intellektuellen, analytischen Tonsprache - wie etwa in seiner Oper "Celan" - entfernt, auch wenn es daraus mit einer sehr langen Chorpassage ein Zitat gibt.
    Sängerisch war bei dieser Uraufführung ein exzellentes Ensemble versammelt, voran Bariton Dietrich Henschel als ausdrucksstarke Titelfigur, genauso facettenreich sein Alter-Ego, der Schauspieler Günter Schaupp. Dorottya Lang gestaltete Hannah Arendt mit dunkel-eindringlichem Mezzosopran, atemberaubend perfekt die halsbrecherisch-erregten Koloraturen von Lini Gong als Agitatorin Asja Lacis. Die anspruchsvolle Partitur servierte das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung des Komponisten souverän. Ruzicka untermalt mit seiner Musik eher atmosphärisch das Geschehen, zuweilen durchaus mit Reverenzen an große Komponisten-Kollegen. Das Stilprofil ist wenig einheitlich. Doch das Lebensschicksal des großen Denkers Walter Benjamin berührt stark.