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"Opera for Sale"
Das Kapital-Monster in der Stadt

Die Immobilienpreise kennen nur eine Richtung - sie steigen und steigen. Doch was geschieht, wenn die Mieten selbst für Kultureinrichtungen zu hoch werden? Ein kleines Berliner Musiktheater spielt es durch: In der "Opera for Sale" fällt das Kapital-Monster in die Stadt ein.

Von Oliver Kranz | 13.03.2020
In Berlin-Neukölln haben Bewohner ein Banner mit der Aufschrift "Milieuschutz" an den Balkon ihrer Wohnung gehangen.
Protest gegen Verdrängung: Viele Mieter befürchten, wegen Eigenbedarfs ihre Wohnung verlassen zu müssen. (Imago / Müller-Stauffenberg)
Ein Baugerüst steht auf der Spielfläche – links daneben ein Keyboarder und ein Saxofonist. Darsteller in neonfarbenen Westen begrüßen das Publikum: "Wir sind hier übrigens im Herzstück der zukünftigen 'Angel Dust Opera Neukölln'. Das hier ist die ehemalige Studiobühne…"
"Wir sagen, Berlin wurde komplett verkauft und auch die Neuköllner Oper war ein gern gesehenes Investitionsobjekt, wo jetzt die Oper der Zukunft gespielt wird", erklärt der Regisseur und Textautor Felix Krakau. "Die Geschichte, die wir erzählen, handelt von drei 'Angel Dust Stage Entertainment' Bühnenmitarbeitern, die quasi selbst von Verdrängung betroffen waren, die sich nicht mehr leisten können, in Berlin zu leben und die dann auf den schmutzigen Deal von 'Angel Dust Stage Entertainment' eingegangen sind, die gefragt haben: wollt ihr Teil dieses Projekts sein? Ihr könnt hier auch wohnen."
Zusammenarbeit mit Journalistenkollektiv
Die Drei haben die Aufgabe, das Publikum zu begrüßen und auf die Qualitäten des neuen Eigentümers hinzuweisen. Der, heißt es, wolle das Gebäude umbauen, zugleich aber den Charme der alten Neuköllner Oper bewahren. Am Baugerüst flimmern bunte Lichter. Die drei tanzen wie ein Showballett. Und das soll nur ein Vorgeschmack sein. 200 Musiker sollen nach dem Umbau im Orchestergraben Platz haben. Der neue Eigentümer investiert, erwartet aber auch eine Rendite.
Felix Krakau: "Wir haben zusammengearbeitet mit einem Journalistenkollektiv, die geforscht haben, wem gehört die Stadt? Und das klingt erst einmal wie eine absurde Frage und tatsächlich sind die Eigentumsverhältnisse in Berlin gar nicht so klar. Dieses Rechercheergebnis war Ausgang der Stückentwicklung."
Lou: "...die Menschheit hatte sich gerade erst von der totalen Sonnenfinsternis erholt, als sich der Himmel abermals verdunkelte und plötzlich das Kapital über Berlin herfiel…"
Milieuschutz ohne Wirkung
Satire pur: Das Kapital wird im Stück als Monster beschrieben, das nach der Jahrtausendwende über die Stadt herfällt. Im Stück tritt an dieser Stelle ein Beamter der Stadtverwaltung auf, der behauptet, die Lage unter Kontrolle zu haben. Er legt Milieuschutzgebiete fest.
Felix Krakau: "Was wir spannend fanden, ist: durch diese Überhöhung und durch die Fiktionalisierung Realität als etwas Verhandelbares darzustellen. Wo wir gedacht haben, da wird es theatral. Diese Realität, die wir zeichnen, die ist eine konstruierte."
Denn in Wirklichkeit stiegen die Mieten in Berlin trotz der Einrichtung von Milieuschutzgebieten enorm. Im Stück berichtet ein Opernmitarbeiter, dass ein alter Vermieter seine Wohnung an einen Investor verkauft. An dieser Stelle gleitet die Inszenierung zu sehr in Sentimentalität ab. Stark ist sie vor allem, wenn sie satirisch übertreibt. Es treten Immobilienbesitzer auf, die wie Hyänen über den verzweifelten Mieter herfallen.
"Opera for Sale" als Schreckensszenario
Felix Krakau: "Im besten Fall wird das Publikum darauf zurückgeworfen, sich zu fragen, will ich, dass das so wird? Will ich, dass die Realität in 30 Jahren so aussieht? Und wenn nicht, was könnte ich dagegen tun?"
Und die Botschaft kommt an. "Opera for Sale" ist ein satirisches Musical, das ein aufrüttelndes Schreckensszenario entwirft. Wenn die Mieten weiter steigen, könnten die Innenstädte bald menschenleer sein.