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Opernfestspiele in Finnland
Neue Töne in Savonlinna

100 Jahre finnische Unabhängigkeit, 50 Jahre Opernfestival seit der Wiederbelebung 1967 und 30 Jahre internationale Gastspiele: Die berühmten Opernfestspiele im finnischen Savonlinna haben in diesem Jahr einiges zu feiern und zu bieten.

Von Hildburg Heider | 10.07.2017
    Johanna Rusanen-Kartano (Mutter,l) und Ville Rusanen (Kullervo) während einer Probe zu Aulis Sallinen's Oper "Kullervo" bei den Opernfestspielen in Savonlinna.
    Johanna Rusanen-Kartano (Mutter,l) und Ville Rusanen (Kullervo) während einer Probe zu Aulis Sallinen's Oper "Kullervo" bei den Opernfestspielen in Savonlinna. (dpa /picture alliance/Jussi Nukari)
    Wer zu dieser Zeit von Osten her in die Stadt Savonlinna fährt, sieht linkerhand die markanten drei Türme der Olavinlinna, der mittelalterlichen Olafsburg, in der nicht endenwollenden Sommerhelle. Am vergangenen Samstag wurde die Wasserburg - Finnlands beliebteste Sommeropernbühne - selbst zur Protagonistin: in Aulis Sallinens musikalischer Chronik "Die Burg im Wasser".
    "Komischerweise gab es keine Werke, die jemand über Olavinlinna geschrieben hätte. Und jetzt haben wir das endlich dank Aulis Sallinen, und das ist natürlich eine Riesensache für uns, für die Opernfestspiele, für diese Region, für diese Stadt, für Finnland, für alle."
    Als der künstlerische Leiter der Festspiele Jorma Silvasti 2014 sein Amt angetreten hatte, gab er zur Feier der finnischen Unabhängigkeit eine Oper in Auftrag. Er fragte an beim renommierten Komponisten Aulis Sallinen. Doch für den über 80-Jährigen kam eine große Oper nicht mehr infrage. Sallinen erinnerte sich aber an eine Gedichtsammlung, die ihm 1975 nach der Uraufführung seiner ersten Oper in der Olafsburg der Dichter Lassi Nummi zugesandt hatte: "Die Burg im Wasser." Daraus entwickelt Sallinen ohne chronologische Reihenfolge 12 Episoden der Burggeschichte von der Renaissance bis zur Gegenwart heraus, Heiteres und Tragisches, lose verknüpft, erzählt in einer sparsam instrumentierten, farbigen und lakonischen Klangsprache, zeitlos schön.
    Sallinen: "Unnötige Noten in der Partitur - das ist schrecklich! "Mit den Jahren habe ich immer mehr begonnen klar und einfach zu schreiben und eine gute Resultat zu bekommen, das ist nicht einfach."
    "Die Natur ist immer sehr wichtig für mich gewesen"
    Wasser glitzert in Harfenglissandi, Streicherkantilenen malen dunkle Waldschatten auf Granitfelsen, von Schlagzeug und Klavier in Szene gesetzt. So beginnt Aulis Sallinens opus 106, in sagenumwobener Vorzeit. Noch stand in der grünen Wildnis Ostfinnlands keine Burg, die Menschen lebten in Frieden.
    Sallinen: "Die Natur ist sehr wichtig für mich immer gewesen. Und in diesem Stück der Anfang und das Ende spricht von der finnischen Natur. Das erzählt etwas auch von mir. Natur Anfang - Natur Ende. Was gibt es Wichtigeres? Eine reine Natur."
    Immer wieder in ihrer 500-jährigen Geschichte wurde die Burg zum Zankapfel zwischen Schweden und Russen, den ehemaligen Herren Finnlands.
    Sallinen: "In diesem Zusammenhang Olavinlinna ist sehr wichtig gewesen in seiner Zeit. Und das ist auch ein Symbol der Freiheit und des Willens zu kämpfen für die Selbständigkeit."
    Finnland war im 19. Jahrhundert russisches Großfürstentum, doch es besaß Privilegien, die nicht einmal die russischen Untertanen genossen, wie das Recht auf Eigentum oder eine eigene Armee. Dann versuchten die Russen das Streben der Finnen nach mehr Autonomie zu unterdrücken. Doch vergeblich: am 6. Dezember 1917 kam es zur historischen Unabhängigkeitserklärung. Festspieldirektor Jorma Silvasti meint dazu:
    Silvasti: "Unabhängig zu sein, eigener Staat, eigene Rechte, eigene Freiheit, das ist alles, was ein Mensch natürlich will. Und ich glaube, in Ostfinnland man versteht, was das bedeutet frei zu sein und unabhängig. Und Kultur, sei es Theater, Oper, Musik - da gibts ja keine Grenzen, und das ist für mich ein herrliches Mittel zu feiern, ohne zu politisch zu sein."
    Auch wenn in diesem Jahr keine bunten Plakate wie früher auf die Festspiele hinweisen - stattdessen schmale Fähnchen mit fetten Sponsorlogos und magerem Schriftzug der Festspiele - machen sich allabendlich über Tausend Zuschauer auf den Weg zur Olafsburg. Erlesene, vorwiegend finnische Stimmen begeistern das sachverständige Publikum. Für den Bariton Tommi Hakala ist Sallinens neues Werk "Die Burg im Wasser" das fünfte, an dem er mitwirkt.
    Hakala: "Und die Besonderheit Nummer eins dabei ist: ich habe noch geschafft eine Uraufführung von Aulis mitzusingen, und das für mich persönlich bedeutet sehr viel."
    18 Monate Arbeit an "Die Burg im Wasser"
    Sallinen: "Ein großes Erlebnis! An diesem Stück habe ich 18 Monate gearbeitet ganz allein, und das Resultat ist eine Menge Papier. Jetzt ist es wirklich lebendig geworden."
    Doch es ging weiter an diesem Sallinen-Tag: mit der Wiederaufnahme seiner Oper "Kullervo", die im Jahr 2014 zum ersten Mal in der Olafsburg gezeigt wurde. Der Stoff geht zurück auf das finnische Nationalepos Kalevala und das Drama des Dichters Aleksis Kivi.
    Sallinen: "Obgleich Kullervo dem "Kalevala" entnommen ist, finde ich, dass es mit den Jahren - je mehr das Stück aufgeführt wird -mehr und mehr international wird. In Amerika zum Beispiel war das aufgeführt in Los Angeles. Man hat sogleich verstanden, dass diese Geschichte kann irgendwo in Amerika auf den Straßen von Los Angeles passieren."
    Die Mitwirkenden der umjubelten Aufführung erhielten von Frauen in traditioneller Tracht dicke Birkenbüschel, wie sie nach Mittsommer für das Saunaritual geschnitten werden. Nach der Kullervo-Vorstellung sitzt Aulis Sallinen mit solch einem Birkenstrauß allein auf einer Parkbank, mit Blick auf die drei Burgtürme und die weißen Plastikschwäne, die neuerdings im Wassergraben die Burg bewachen.