Freitag, 19. April 2024

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Opernstream aus Wiesbaden
MET-Stars im Konzert

Seit über einem Jahr ist die New Yorker Metropolitan Opera geschlossen. Deshalb schickt die MET ihre Sängerinnen und Sänger nach Europa: Unter dem Motto "MET Stars live in concert" treten sie in verschiedenen europäischen Kultureinrichtungen auf. Jetzt waren vier im Staatstheater Wiesbaden zu Gast.

Von Ursula Böhmer | 10.05.2021
Ein Sänger steht auf einer barocken Treppe, direkt neben ihm ein Kronleuchter mit brennenden Kerzen. Alles ist in bläuliches Licht getaucht.
Große Oper: Bariton Michael Volle im stimmungsvoll beleuchteten Staatstheater Wiesbaden. (Jürgen Hausmann / Met Opera)
Mein Abend im Staatstheater Wiesbaden beginnt mit einem Corona-Schnelltest – ohne den darf hier keiner rein. Danach muss ich draußen warten, 15 Minuten. Vor den Arkaden des Theaters steht ein riesiger Übertragungswagen der Produktionsfirma "Odeon Entertainment". Die wird den Abend mit Kamera-Team und Tontechnikern heute fürs Internet aufzeichnen – in enger Abstimmung mit einem Regisseur, der in New York sitzt, erklärt Herstellungsleiter Simon Zielke:
"Der gibt den Kameraleuten und uns die genauen Anweisungen, wie welcher Kameramann welches Bild von den Sängern machen soll – die komplette Komposition des ganzen Konzerts läuft von New York aus, der Kopf des ganzen Künstlerischen sitzt in New York und wir sind quasi das umsetzende Glied hier, die alles für ihn im Konzert umsetzen. Das fängt bei der Bau-Bühne an, geht über die Bühnenkonstruktion, das Licht-Equipment, verschiedenste Licht-Stimmungen und geht über die komplette Bandbreite."
Tatsächlich sieht das Foyer des Staatstheaters Wiesbaden heute mehr nach Film-Set aus: Schienen liegen ringsum auf dem Boden, für die Kamerafahrten. An der Theke, wo sonst der Pausen-Sekt ausgeschenkt wird, hantieren Tontechniker an Mischpulten.

Wagner mit Preußenkrone

"Wagnerians in Concert" ist der Abend übertitelt – und für die singenden Wagnerianer bietet das Foyer mit seinen schwungvollen Treppenaufgängen, dem neo-barocken Deckenschmuck samt Königskrone, preußischem Adler und rotem Baldachin das perfekte Ambiente. Auf den Treppen können sie sich ansingen – und trotzdem genug Abstand halten. Vier fantastische Stimmenkaliber, die regelmäßig in der New Yorker MET singen, sind nach Wiesbaden gekommen – darunter der deutsche Bariton Michael Volle.
"Ich muss sagen, als wir am Mittwoch hier anreisten, und uns wirklich herzlichst in die Arme schlossen, das war schon ein sehr emotionaler Moment! Es war so schön, sich wieder zu spüren, als Kollegen zusammen Musik zu machen, auch wenn es in großen Anführungszeichen 'nur' mit Klavier ist. Wobei dieser mir bis gestern unbekannte Craig Terry von der Chicago Opera ein so wunderbarer Kollege am Klavier ist! Man ist einfach nur glücklich, dass man Musik zusammen machen kann!"
Ein Mann mit einem schwarzen T-Shirt sitzt auf einem gepolsterten Stuhl, um seine Schultern trägt er einen grauen Pullover.
Michael Volle singt regelmäßig an der New Yorker Metropolitan Opera. (imago / tagesspiegel / Doris Spiekermann)
Zumal Michael Volle im Corona-Jahr zahlreiche Engagements weggebrochen sind. Zwar kam er mit seinen Rücklagen gut über die Runden und manche Opern- und Konzerthäuser haben ihm auch Ausfallhonorare bezahlt, aber…
"Da war man auch ziemlich angewiesen auf das Wohlwollen der einzelnen Opernhäusern, was sehr unterschiedlich ausfiel. Außerdem sind es dann Brutto-Ausfallhonorare, wo dann der Staat noch mal 50 Prozent nimmt. Und dann kommen noch Agenturprovisionen, ist ja klar, so läuft es. Also, es ist schon eine Misere in vielerlei Hinsicht und die Lage ist nach wie vor äußerst brenzlig!"
Nicht wenige von Volles Kolleginnen und Kollegen haben bereits das Handtuch geworfen. Auch Andreas Schager sieht das mit Sorge. Der Heldentenor ist der Zweite im Viererbunde der "Wagnerians in Concert" in Wiesbaden.
"Vor allem aus der freischaffenden Künstler-Szene wird es wohl ein gutes Drittel nicht mehr geben! Es wird viele Sänger einfach nicht mehr geben, weil – ist klar – wenn 100 Prozent aller Einnahmen wegbrechen, dann geht es gar nicht anders! Sie müssen sich einfach etwas anderes suchen in dieser Zeit!"

Live-Oper in Madrid – Stille in New York

Immerhin bekommt Andreas Schager, der Ensemblemitglied an der Staatsoper in Berlin ist, noch sein Gehalt. Und Anfang des Jahres hat er sogar den "Siegfried" in Wagners "Ring"-Tetralogie gesungen – live mit Publikum, im Teatro Real Madrid:
"Madrid hat die Theater offen gelassen und spielen seit einem Jahr vor 67 Prozent Auslastung – das sind knapp über 1000 Leute im Großen Haus. Und es funktioniert wunderbar dort, weil sie haben wirklich Geld in die Hand genommen: Sie haben dort ein komplett neues Lüftungssystem eingebaut, das 25 Mal in der Stunde die gesamte Luft im Zuschauerraum gewechselt wird. Das heißt, sie ist dann wie in einem OP-Saal."
Ein Mann mit blondem Haar, einem dunkelblauen Sakko und einem weißen Hemd blickt aufmerksam in die Kamera. Er sitzt vor einer weiß gestrichenen Mauer, mit den Armen lehnt er sich auf seine Oberschenkel.
Der Tenor Andreas Schager ist Ensemblemitglied an der Staatsoper Berlin. (David Jerusalem)
Von Live-Aufführungen kann die New Yorker MET derzeit nur träumen – zumal amerikanische Opern- und Konzerthäuser überwiegend privat finanziert werden, über den Ticketverkauf und Sponsoring.
"Wir in Europa haben ja das Glück unter Anführungszeichen, dass die Theater großteils noch sehr, sehr großzügig von der öffentlichen Hand subventioniert werden. Das sind zwischen 40 und 60 oder 70 Prozent. Das fällt ja in Amerika komplett weg! Das ist ja das Problem. Und jetzt kann ich mir schon vorstellen, dass es einfach wahnsinnig schwer wird, so ein riesen Flaggschiff wie die Metropolitan Opera komplett ohne Einnahmen, auf die sie angewiesen sind, einfach durch diese Pandemie-Zeit zu manövrieren!"
Metropolitan Opera in der Coronakrise
Etwa 150 Millionen Doller habe die Metropolitan Opera seit Beginn der Corona-Pandemie verloren, sagte ihr Generalintendant Peter Gelb im Dlf. Das privat finanzierte Opernhaus müsse fast ausschließlich auf Spenden setzen.
Etwa 150 Millionen Dollar an Einnahmen sind der MET im ersten Corona-Jahr verloren gegangen. Chor- und Orchester-Mitgliedern wurden nur noch die Kranken- und Instrumentenversicherungen bezahlt. Und damit das "Flaggschiff" nach den Corona-Stürmen wieder auf Kurs kommt, sollen ihre Gehälter nun auch noch kräftig gekürzt werden – um etwa dreißig Prozent.

Die MET in Klöstern, Museen und Hofreitschulen

Damit wenigstens etwas Geld in die Kassen kommt, schickt der New Yorker Musentempel seit vergangenem Sommer sozusagen seine Priesterinnen und Priester ins weltweite Netz: Gesangs-Stars wie Jonas Kaufmann, Renée Fleming oder Anna Netrebko waren schon dabei – ließen sich in Klöstern, Museen oder Hofreitschulen filmen. Im Foyer des Staatstheaters Wiesbaden sind neben Andreas Schager und Michael Volle noch die Sopranistinnen Elza van den Heever und Christine Goerke zu erleben. Für 20 Dollar Ticketpreis können sich Opern-Fans in das halb-szenische Internet-Film-Event dazuschalten. Eine Win-Win-Situation – vor allem für die Sänger, die nach langer Zeit des notgedrungenen Schweigens endlich mal wieder ihre Stimmen erheben:
"Man darf ja nicht vergessen, dass der ganze Kultursektor ein auch riesiger Wirtschaftssektor ist! Also, es gab viele Studien – zum Beispiel zur Wiener Staatsoper gab es eine interessante Studie, dass jeder Steuer-Euro, der an die Wiener Staatsoper fließt, 5,5-fach zurückkommt – einfach durch die Umweg-Rentabilität! Wir sind ja keine Bittsteller, die Künstler, sondern wir sind ein großer Wirtschaftsfaktor und können da auch mit breiter Brust hier stehen und das auch sagen, dass wir gesellschaftlich sehr, sehr viel beitragen!"