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Opportunist oder Genie?

Curzio Malaparte war Faschist und Mussolini-Gegner, als Starjournalist und Kriegsberichterstatter war er in Salons ebenso präsent wie auf Schlachtfeldern. Er gab vielen ein zwielichtiges Bild ab. Dennoch war er eine fesselnde Erscheinung, in dessen Biografie sich viel vom Unheil des Zwanzigsten Jahrhunderts spiegelt. "Zwischen Erdbeben. Streifzüge eines europäischen Exzentrikers" heißt die Sammlung von Reportagen Malapartes, die Jobst Welge in der Anderen Bibliothek des Eichborn Verlags herausgebracht hat.

Von Eberhard Falcke | 08.10.2007
    Er wusste beizeiten, was er wollte. Bereits als 15-Jähriger notierte der Jüngling, der damals noch Curzio Suckert hieß:
    "Der Ruhm! Der Ruhm ist das einzige Glück, der einzige Reichtum."

    Das war im Jahr 1913, kurz bevor die Kämpfe und Verbrechen des Zwanzigsten Jahrhunderts losbrachen. Bei der Wahl seines durch die Bonapartes inspirierten Schriftstellernamens griff er zugleich ins Helden- wie ins Antihelden-Register. Schon ganz am Anfang seiner Karriere bezichtigte ihn der Kommunist Antonio Gramsci des "zügellosen Arrivismus" und traute ihm um des Erfolges willen jede Ruchlosigkeit zu. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges warf man ihm vor, dass er, der ehemalige Faschist, sich nun plötzlich auf die Seite der Alliierten schlug. Der Vorwurf des Opportunismus begleitete Malaparte sein Leben lang mit solcher Hartnäckigkeit, dass er sich darüber lustig machte, indem er seine Gegner wissen ließ:

    "Ich kann stets anders. Gott helfe mir!"

    Doch so wankelmütig, wie es den Buchhaltern der Parteilichkeit immer erscheinen mochte, war er gar nicht. Worum ging es bei seinem ersten publizistischen Scoop? In dieser furiosen Streitschrift attackierte er die Kaiser, Könige und Generäle Europas. Gestützt auf seine Erfahrungen als junger Leutnant im Ersten Weltkrieg beschuldigte er sie, die männliche Jugend ihrer Länder aus reinem Eigennutz in den Tod geschickt zu haben. Er begrüßte die kollektivistische Revolution in Russland ebenso wie er sich in Italien eine Revolution aus dem Geist des Individualismus erhoffte. Nach seinem Parteieintritt galt er bald als die "brillanteste Feder des Faschismus". Dennoch vertrat er nicht den üblichen rechten Anti-Kommunismus.

    Vielmehr überwarf er sich mit Mussolini, dessen Bündnis mit Hochfinanz, Industrie und herrschenden Schichten er als Verrat am "integralen" Faschismus ansah.

    Auch sein großer Essay "Die Technik des Staatsstreichs", mit dem er 1931 international berühmt wurde, war kein Zeugnis von Opportunismus. In diesem Lehrbuch für Putschisten und Revolutionäre analysierte er die russische Oktoberrevolution und Mussolinis Machtergreifung. Den nationalsozialistischen Terror gegen kommunistische Arbeiter verurteilte er. Und über Hitler bemerkte er mit fast freudianischem Tiefblick:

    "Es ist etwas Trübes, Zweideutiges und krankhaft Sexuelles in der opportunistischen Taktik Hitlers und seiner Abneigung gegen die revolutionäre Gewalt, in seinem Hass gegen jede Form von Freiheit und persönlicher Würde. Wie alle Diktatoren liebt Hitler nur die, die er verachten kann. Sein Ehrgeiz ist es, eines Tages das ganze deutsche Volk im Namen der Freiheit, des Ruhmes und der Macht Deutschlands verderben, demütigen und knechten zu können."

    Solche Gedanken und Erfahrungen der zwanziger und dreißiger Jahre stellen die Schlüsselmomente für Malapartes Entwicklung dar. Wer diesen Mann, sein Werk und seine Existenz begreifen will, muss den roten Faden verfolgen, der von dort ausgeht. Andernfalls bleibt man in der Vielzahl von Klischees stecken, mit der seine Figur über und über verklebt ist.

    Natürlich war es richtig, die Wiederentdeckung Malapartes mit seinen beiden großen Romanen zu beginnen. Sie sind seine wichtigsten Werke. Doch der nächste Schritt ist schwach ausgefallen. "Zwischen Erdbeben. Streifzüge eines europäischen Exzentrikers" ist ein Band mit Reportagen aus den zwanziger bis fünfziger Jahren betitelt, der nun in zeitlicher Nähe zum 50. Todestag Malapartes erschienen ist. Der Herausgeber Jobst Welge hat zwar einiges an hilfreichen Informationen in seine Begleittexte gesteckt, aber insgesamt gesehen hat er bei der Auswahl der Texte aufs falsche Pferd gesetzt. Welge zeigt den gebildeten, in Maßen originellen, den kapriziösen, gelegentlich effekthascherischen, in vieler Hinsicht allerdings lediglich zeitverhafteten Berichterstatter und Feuilletonisten. Von einer Deutschlandreise wurde vermeldet:

    "Alles, was im Rheinland echt deutsch ist, ist nicht gotisch, sondern romanisch. Karl der Große und alle Karolingerkönige und Roland und die Paladine sind romanisch; in ihnen zeigt sich der Rundbogen, nicht der Spitzbogen."

    Derlei ist einfach nicht das, was an Malaparte interessiert. Wer die Hintergründe nicht kennt, muss sich bei der Lektüre dieses Bandes trotz einiger interessanter Seiten fragen: Was ist eigentlich dran, an dem Mann?

    Die wichtigsten Grundlagen für Malapartes Schreiben waren, ungeachtet aller Kapriolen, sein politisches Denken und seine zeitgenössischen Erfahrungen. Sein Bedürfnis nach Ruhm und die Auseinandersetzung mit seiner Zeit äußerte sich bei ihm auf sehr eigene Art in den permanenten rhetorischen Revolten eines ewigen Frondeurs. Malaparte liebte Inszenierungen, im Persönlichen ebenso wie in seinen Schriften. Seine Methode bestand darin, alles in szenischen Bildern zu arrangieren, in denen er selbst meist eine Hauptrolle spielte, als Handelnder und Erzähler.

    Wünschenswert wäre eine Textsammlung, in der dieser Malaparte in seiner Eigenschaft als hochinteressanter, höchst außergewöhnlicher Zeitgenosse erkennbar wird. Erst daraus ließe sich wirklich Entscheidendes erfahren, sowohl über den Mann als auch über die Zeit.

    Curzio Malaparte: Zwischen Erdbeben. Streifzüge eines europäischen Exzentrikers. Zusammengestellt und mit einleitenden Texten versehen von Jobst Welge. Aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 364 Seiten, Euro 30,-.