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Opportunisten am Hof der Herrscher

Im organisierten Sport versammeln sich stets die Staatstreuen und größten Opportunisten, das lässt sich auch in der arabischen Revolution gut beobachten, die seit zwei Monaten die Welt in Atem hält.

Von Jens Weinreich | 06.03.2011
    Zum Beispiel Tunesiens gewesener NOK-Präsident Slim Chiboub, der viele Jahre auch dem Exekutivkomitee des Fußball-Weltverbandes (FIFA) angehörte. Slim Chiboub, 52 Jahre alt, ist Schwiegersohn des gestürzten Diktators Ben Ali, verheiratet mit Dorsaf, der ältesten Tochter Ben Alis aus erster Ehe. Natürlich häufte Chiboub märchenhafte Reichtümer an, herrschte über ein Firmenkonglomerat mit Immobilien in allerlei Ländern.

    Wo immer etwas zu kassieren war, nicht nur in Tunesien, Slim Chiboub war zur Stelle. So erhielt er während der deutschen Bewerbung für die Fußball-WM 2006 auch 300.000 Dollar von der Vermarktungsagentur CWL aus dem Reich des Rechtehändlers Leo Kirch. An der Aktion beteiligt: Franz Beckenbauer-Intimus Fedor Radmann und CWL-Geschäftsführer Günter Netzer, der auch andere FIFA-nahe Spitzbuben mit dubiosen Geldzahlungen bedachte.

    Chiboub sollte sich um die Stimme des damaligen tunesischen FIFA-Exkomitglieds Slim Aloulou kümmern, dessen Sitz er ein Jahr später übernahm. Slim Aloulou wurde übrigens im vergangenen Herbst sogar von der stets unglaublich nachsichtigen so genannten FIFA-Ethikkomission wegen Korruption für zwei Jahre aus dem Verkehr gezogen.

    Unmittelbar nach dem Sturz seines Schwiegervaters Ben Ali gab Slim Chiboub Bloomberg ein kurzes Telefoninterview mit absurden Inhalt: Er behauptete, nichts mit Korruption zu tun zu haben, jener Teil des Ben-Ali-Clans, dem er angehöre, sei sauber - Verbrecher seien nur die Trabelsis. In Tunesien allerdings kennt man die Wahrheit. Über den Verbleib Slim Chiboubs gibt es keine bestätigten Informationen. Die Webseite des tunesischen NOK ist lahm gelegt. Chiboub, so legen es zahlreiche Videos im Internet nah, wurde Ende Januar verhaftet. Angeblich, so eine gut informierte Quelle, soll der langjährige Präsident des Fußballklubs L'Espérance Tunis seine Ausreise nach Saudi-Arabien verhandelt haben - und dafür die Standorte einiger hundert Munitionsdepots im Großraum Tunis verraten haben. Sein sehr spezielles Herrschaftswissen, das den revolutionären Kräften nützte.

    Bleiben wir kurz beim Fußball: Mohammed Raouraoua, kürzlich in Khartoum ins FIFA-Exekutivkomitee gewählt, hat sich vor allem durch seine Nähe zu Diktator Bouteflika für dieses hohe und fürstlich bezahlte Ehrenamt qualifiziert. Raouraoua ist Präsident des algerischen Verbandes - ihm werden, natürlich, etliche Korruptionsdelikte vorgeworfen.

    Über den organisierten Fußball in Libyen muss man gar nicht erst reden - denn der ist fest in der Hand des blutrünstigen Gaddafi-Clans, wie der gesamte olympische Sport. NOK-Präsident Libyens ist der älteste Sohn Gaddafis. Ein anderer Sohn und der Massenmörder höchstselbst verfügen seit Jahrzehnten über beste Kontakte zur FIFA und dessen Präsidenten Joseph Blatter.

    Soweit die Ganoven - interessanter ist eher die andere Seite: Gemäß James Dorsey, der den bemerkenswerten Blog Mideastsoccer betreibt, haben Blogger und Inhaber von Fußball-Webseiten großen Anteil daran, die Welt über die blutigen Vorgänge in der Hafenstadt Bengasi aufgeklärt zu haben. Auch in Kairo waren es Anfang Februar Fußballfans, die an der Seite der Aufständischen kämpften: Auf dem Tharir-Platz verteidigten Ultras der Klubs Al-Ahly und Zamalek die ägyptische Revolution. Währenddessen die Funktionäre des Verbandes bis zuletzt zum Diktator Mubarak hielten. Auch Ägypten hat ein FIFA-Exekutivmitglied: Hany Abo Rida, Verbands-Vize, Parlamentsabgeordneter und Sportausschuss-Chef in Ägypten - bisher. Und natürlich mit Korruptionsvorwürfen jedweder Art belastet.

    Aus dem nordafrikanisch-arabischen Raum kommen derzeit elf IOC-Mitglieder, zwei Präsidenten olympischer Weltverbände - Prinzessin Haya im Reiten und der korruptionserprobte Ägypter Hassan Moustafa im Handball - und einige Dutzend Exekutivmitglieder in Weltverbänden. Die meisten sind Blaublüter, wie etwa Haya, die jordanische Prinzessin und heutige Zweitfrau des Herrschers von Dubai, wie die Prinzen Feisal von Jordanien, Nawaf Abdulaziz (Saudi-Arabien), Tamim Al-Thani (Katar) - oder der mächtigste arabische Sportfürst: Scheich Ahmad Al-Fahad Al-Sabah aus Kuwait, auch Präsident des Olympic Council of Asia.

    Al-Sabah gilt als einer der korruptesten und best vernetzten Funktionäre des Weltsports. Er unterhält traditionell beste Beziehungen etwa zum IOC-Vize und DOSB-Präsidenten Thomas Bach, Chef der deutsch-arabischen Wirtschaftskammer Ghorfa. In einem Interview der Zeitung Main-Post lobte der Lobbyist die Verhältnisse in Kuwait, wo es "ein anerkanntes Parlament, durchaus Pressefreiheit und mehr wirtschaftliche Gerechtigkeit" gebe.

    Manch einer aus der Kaste der arabischen Sportfürsten wird womöglich von revolutionären Kräften verjagt werden. Ausgang völlig offen. An diesem Wochenende trifft sich zum Beispiel die Union der 26 arabischen Fußballverbände in Jeddah, um auch über die explosive Lage und den Machterhalt zu debattieren. Die Araber haben sich mit ihren Petro-Dollars Schlüsselpositionen erkauft und unlängst ja nicht nur die Fußball-WM 2022 nach Katar geholt, sondern auch Prinz Ali von Jordanien, Bruder der IOC-Mitglieder Haya und Feisal, zum FIFA-Vizepräsidenten gekürt. Das soll nicht alles gewesen sein - für die Olympischen Sommerspiele 2020 gelten Katar und Dubai als im wahrsten Wortsinne heiße Anwärter.