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Opposition in Ägypten
Kritiker dürfen nur schweigen

Im Frühjahr wurde Ägyptens Präsident Al-Sisi wiedergewählt. Angeblich mit 97 Prozent der Stimmen. Doch die Gegner der Regierung zeichnen ein anderes Bild: Tausende Aktivisten, Menschenrechtsanwälte und politische Oppositionelle sitzen im Gefängnis – Kritiker der Regierung fürchten um ihr Leben.

Von Anna Osius | 16.06.2018
    Ein Wandbild des Street-Art-Künstlers Ammar Abo Bakr in der Bustan-Straße in Kairo, gegenüber Goethe-Institut, aufgenommen am 23.05.2015. Wenn der Street-Art-Künstler Ammar Abo Bakr aufbricht, um in Kairo graue Wände zu bemalen, dann meist abends.
    Oppositionelle riskieren in Ägypten Leib und Leben (dpa / picture alliance / Gregor Mayer)
    • Hamzem Abdel Azim, langjähriger politischer Aktivist
    • Wael Abbas, bekannter Publizist und Blogger
    • Shady El Ghazaly Harb, politischer Aktivist
    • Shadi Abu Zaid, ein junger satirischer Video-Blogger
    • Ismail Iskanderani, Journalist
    • Haytham Mohamadeen, ein linker Bürgerrechtanwalt
    Sie alle wurden in den vergangenen Wochen in Ägypten verhaftet. Tausende Aktivisten, Menschenrechtsanwälte und politische Oppositionelle sitzen landesweit im Gefängnis.
    Eine, die all das aus nächster Nähe erlebt hat, ist Mahienour El-Massry. Die junge Anwältin und bekannte Menschenrechtsaktivistin kämpft seit Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings vor sieben Jahren für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in Ägypten. Ein schwerer Kampf, sagt sie:
    "Die Situation momentan in Ägypten ist sehr schwierig, vor allem seit al-Sisi die Präsidentschaft zum zweiten Mal gewonnen hat. Viele von uns Aktivisten sitzen im Gefängnis, manche haben ihr Leben verloren, viele sind ins Ausland geflohen. Das Problem ist, dass viele Ägypter jede Hoffnung auf Veränderung verloren haben."
    Die 32-Jährige war selbst dreimal im Gefängnis, erzählt sie, insgesamt fast zwei Jahre lang. Erst vor wenigen Monaten kam sie wieder auf freien Fuß. Hinter Gittern habe sie das Grauen erlebt.
    Porträt der jungen Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Mahienour El-Massry
    Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Mahienour El-Massry (Deutschlandradio / Anna Osius)
    "Ich bin über den Punkt hinweg, Angst zuhaben. Ich habe mit das Schlimmste gesehen, was vorstellbar ist. Und es gibt keine Alternative: Wenn ich schweige, könnte mir das Gleiche auch passieren. Es gibt keinen Weg zurück. Das ist das Gute und das Schlechte bei einer Revolution: Es gibt keinen Weg zurück."
    "Das alte Regime kommt zurück"
    Doch wohin führt Ägyptens Weg? Der starke Mann im Staat ist und bleibt Präsident Abdel-Fatah al-Sisi. Im Frühjahr wurde er wiedergewählt – bei einer Wahl ohne ernst zu nehmende Konkurrenz, nachdem mehrere namhafte Gegenkandidaten ihre Kandidatur zurückgezogen hatten. Der bekannte Politiker und Neffe des ehemaligen Staatspräsidenten Sadat, Mohammed Anwar Sadat, begründete seinen Rückzug: Er habe Sorge, dass seine Mitarbeiter sonst Repressionen fürchten müssten. Mahinoiur sagt: Ägypten erlebe eine Diktatur. Das alte Regime komme zurück. Doch auch wenn al-Sisis Beliebtheit schwinde, gebe es in Augen der Europäer und der USA derzeit keine Alternative
    Der Präsident der Arabischen Republik Ägypten, Abdelfattah Al-Sisi, spricht am 02.03.2017 im Ittihadiya-Palast in Kairo (Ägypten) während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel. Foto: Soeren Stache/dpa | Verwendung weltweit
    Präsident Abdel-Fatah al-Sisi ist und bleibt der starke Mann im Staat (dpa)
    "Sisi spielt immer die gleiche Karte, im Inland und Ausland: Flüchtlinge – und seinen Kampf gegen den Terrorismus. Ja, es gibt Terrorismus in Ägypten – aber das System schafft es nicht, diesen erfolgreich zu bekämpfen. Stattdessen versucht die Staatsmacht, die friedliche Opposition zum Schweigen zu bringen, sie wollen keine öffentlichen Räume, und ich denke, dass ist leider die beste Umgebung für Terrorismus, um zu gedeihen."
    Präsident al-Sisi ist auf Plakaten mit dem Slogan zu sehen: Der Kampf gegen den Terror sei ein Menschenrecht. Unsere Interviewanfrage an die zuständigen Behörden der ägyptischen Regierung blieb bis zur Ausstrahlung dieses Beitrags unbeantwortet. Präsident al-Sisi selbst erklärte beim Besuch von Angela Merkel im vergangenen Jahr in Kairo:
    "Was die Menschenrechtsfrage betrifft, weiß ich, dass sich alle Gäste aus Europa mit dieser Frage beschäftigen. Aber sie können versichert sein, wir sind sehr bemüht um die Menschenrechte. Wir versuchen bei der Bekämpfung des Terrors einen Ausgleich zwischen den Menschenrechten und den Sicherheitsmaßnahmen zu bewahren."
    Aber ist das der Fall? Regierungsgegner kritisieren: Die Terrorbekämpfung werde in Ägypten als Vorwand genommen, jegliche politische Opposition zum Schweigen zu bringen. Shady El Ghazaly Harb ist einer der Aktivsten, die kürzlich verhaftet wurden. Der bekannte Gründer einer liberalen Partei war eine der führenden Stimmen im sogenannten Arabischen Frühling vor sieben Jahren. Der Vorwurf gegen ihn lautet jetzt: Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Verbreitung von Falschnachrichten über Ägypten.
    Porträt von Shady El Ghazaly
    Shady El Ghazaly übte scharfe Kritik an der Regierung und wurde verhaftet (Deutschlandradio / Anna Osius)
    Dabei hatte sich Harb in Interviews kritisch und distanzierend über die in Ägypten als Terrororganisation eingestufte Muslimbruderschaft geäußert. Nur wenige Wochen vor seiner Verhaftung führte das ARD-Studio Kairo noch ein Interview mit ihm – und da übte Shady scharfe Kritik an der Regierung:
    "Viele meiner Freunde sitzen im Gefängnis unter dem Vorwand, Mitglied einer verbotenen Vereinigung zu sein. Das sind die typischen Anschuldigungen. Auch ich kann jederzeit in Untersuchungshaft genommen werden – und viele Aktivsten sitzen schon seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft ohne Anklage. Das ist der übliche Weg, uns Aktivsten zu bestrafen. Aber ich bin bereit, den Preis zu zahlen. Natürlich habe ich Angst, aber die Angst hindert mich nicht, dass zu tun, was richtig ist."
    Regierung weist Foltervorwürfe zurück
    Nur wenige Wochen nach dem Interview wurde Shady El Ghazaly Harb verhaftet. Er sitzt nun in Untersuchungshaft.
    Auch Foltervorwürfe werden in Ägypten immer wieder laut. Aida Seif al-Dawla leitet das Nadeem-Zentrum für die Betreuung von Folteropfern in Ägypten. Kürzlich erhielt sie den Menschenrechtspreis von Amnesty International.
    "Niemals zuvor waren Folter und staatliche Gewalt in Ägypten so brutal und gnadenlos wie seit 2013. Was wir seitdem gesehen haben, ist jenseits aller Vorstellungskraft. Es ist Gewalt der Gewalt wegen und Brutalität um der Brutalität willen. Mit Schlägen und Tritten fängt es an. Dann kommen Elektroschocks, Gefangene erhalten Stromstöße in die Zunge, die Zehen oder die Geschlechtsteile. Manche werden an den Armen aufgehängt. Andere werden vergewaltigt."
    Die Regierung weist diese Vorwürfe zurück. Es gebe lediglich Einzelfälle. Einzelfälle, über die viele Menschenrechtsaktivisten aus ihrem Bekanntenkreis berichten können. Auch die ständige Überwachung habe zugenommen, berichtet die Aktivistin Mahienour – ihre Telefonate würden abgehört, SMS mitgelesen, kontrolliert, mit wem sie sich trifft. Sie macht trotzdem weiter – spricht weiter öffentlich. Ihr geht es, sagt sie, vor allem um eines: Freiheit in Ägypten.