Donnerstag, 25. April 2024

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Orchester im Graben

Köhler: Es gibt Meldungen aus wenigen Worten, die ganze Lawinen lostreten können. "Der Bayerische Rundfunk löst sein Rundfunkorchester auf" - das ist so eine. Mit dem Opernkritiker und Musikjournalisten Reinhard Brebeck von der Süddeutschen Zeitung möchte ich darüber reden; es heißt, die beschlossene unzureichende Gebührenerhöhung führe die Geschäftsleitung dazu, das Rundfunkorchester aufzulösen. Chor und Sinfonieorchester bleiben bestehen, 70 Musiker sind betroffen. Wird da ganz leise auch mit Einverständnis der Intendanz des Bayerischen Rundfunks ins Musikleben eingegriffen und ein Orchester abgewickelt?

Der Münchner Musikjournalist Reinhard Brembeck im Gespräch | 04.10.2004
    Brembeck: Der Fall ist relativ kompliziert. Auf der einen Seite geht es natürlich um die Gebührenerhöhung und es ist kein Zufall, dass die Gerüchte beziehungsweise der Beschluss, es gibt ja wohl einen Direktoriumsbeschluss von letzter Woche, dieses Orchester aufzulösen, jetzt fällt, denn noch in dieser Woche glaube ich, werden sich die Ministerpräsidenten zusammensetzen und darüber befinden, wie diese Gebührenerhöhung aussieht. Es ist also ein Erpressungsversuch in Richtung Ministerpräsidenten: Gebt uns genug Geld, damit wir unser Orchester nicht zumachen müssen. Das gleiche gab es ja wohl auch beim WDR, wo sie jetzt gedroht haben, sie würden ihre Zuschüsse an Bayreuth einstreichen.

    Köhler: Ist diese Begründung glaubhaft? Sie sprechen sehr wertend von Erpressungsversuch. Wir müssen kurz aufklären: Die Gebührenerhöhung, die die Ministerpräsidenten beschließen wollen, fällt geringer aus, als die KEF, die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs, ermittelt hat.

    Brembeck: Ja und sie fällt noch deutlich viel geringer aus, als der Eigenbedarf, den ARD und ZDF ja mit über zwei Euro angegeben haben. Sie haben natürlich ein Problem wie alle heutzutage, die steigenden Kosten, vor allem, was die Pensionen angeht, Material und so weiter. Dafür braucht man ein Druckmittel, dass auch möglichst viel Geld zusammenkommt, dass die Rundfunkanstalten auf der anderen Seite möglichst wenig abschaffen, schließen und ihren freien Mitarbeitern wegnehmen müssen und dafür eignet sich ein solches Orchester natürlich besonders. Andererseits weiß jeder, dass die Gebühren dafür nicht ausreichen werden. Man wird über kurz oder lang eben zu solchen harten Maßnahmen greifen und das hat sich schon dahingehend gezeigt, dass es einen früheren Direktoriumsbeschluss gab, wo gesagt wurde, in zehn Jahren soll es nur noch ein Orchester beim Bayerischen Rundfunk geben. Die ganze Entwicklung ist nichts Neues, man verschärft nur die Gangart und sagt, wir machen es nicht erst in zehn Jahren, sondern möglichst jetzt.

    Köhler: Von welchem Rang ist der Klangkörper?

    Brembeck: Er hat sich in den letzten Jahren in München sehr gut etabliert, sie haben viel neue Musik gespielt, viele Dinge, die das Sinfonieorchester, das Aushängeschild des Rundfunks, nicht gemacht hat. Sie haben ein eigenes Publikum und eine gute Akzeptanz, gehören wirklich zum Münchener Musikleben dazu, auch wenn sie nicht mit der Staatsoper, mit dem BR-eigenen Sinfonieorchester und auch nicht mit den Münchener Philharmonikern konkurrieren können.

    Köhler: Der Bayerische Rundfunk ist damit aber der erste öffentlich-rechtliche Sender, der sein Orchester auflöst.

    Brembeck: Es gab schon zuvor Fusionen, ich glaube im Saarland wurde etwas mit dem SWR angedacht, es gab kleinere Sachen. Das ist die erste wirklich große Aktion in diese Richtung, es ist dazu noch der Bayerische Rundfunk in der Musikstadt München, das Signal nach außen ist verheerend und deshalb gibt es wohl auch diese sehr unzulässige, fast schon unzuverlässige Pressearbeit durch den Rundfunk, dass man das nicht richtig bestätigt und alles im Dunklen lässt. Man hat einen Versuchsballon gestartet, zielt damit in erster Linie auf Stoiber, der überhaupt keine Gebührenerhöhung wollte, wie er verkündet hat, und versucht da in die Richtung Druck zu machen, will es sich aber nicht so ganz offen aufs Panier schreiben lassen "wir machen dieses Orchester zu", es wird eher als Andeutung rausgelassen. Ich glaube trotzdem, dass der Hintergrund sehr ernst ist.

    Köhler: Die gleiche Erfahrung haben wir gemacht beim Versuch, bei Intendanz, Presse, Orchestervorstand, Musikern oder ähnlichen durchzukommen. Da scheint geradezu ein richtiger Maulkorb verhängt worden zu sein. Macht sich die Anstalt vielleicht etwas zu bereitwillig zum Vollstrecker von Sparbeschlüssen?

    Brembeck: Die Sparbeschlüsse werden ja von diesen Leuten selbst gefällt, es gibt ja nun keine Auflage von der Politik, es muss so und so eingespart werden. Es ist ihre Entscheidung, wie sie diese Einsparungen reinbringen. Wenn nun entschieden wird, wir machen das, indem wir ein Orchester zumachen, zeigt das auch, dass im Führungsgremium des Bayerischen Rundfunks nicht wirklich jemand da ist, dem diese Sache am Herzen liegt, dem diese Traditionseinrichtung nun wirklich wichtig ist. Dazu kommt auch, dass es anscheinend sehr schwierig sein dürfte, dieses Orchester abzuwickeln aufgrund bestehender Verträge. Also ist es eine sehr zweischneidige Angelegenheit.

    Köhler: Glauben Sie, dass diese Art der Herzlosigkeit Nachahmer findet, dass das weitergeht?

    Brembeck: Natürlich. Berlin hat sich schon abgezeichnet, da haben gerade die Berliner Symphoniker Konkurs anmelden müssen, hier in München wurde den Münchener Symphonikern der städtische Zuschuss gestrichen, denen bleibt quasi nur noch der staatliche. Flierl, der Kultursenator in Berlin, hat schon angekündigt, er möchte noch zwei weitere Orchester zur Fusion bringen. Das geht also weiter. Und wenn natürlich eine ARD-Anstalt wie München da Vorreiter spielt und das so leichtfertig macht bei einem Orchester, das eine Auslastung und Publikum hat und angenommen ist, wenn man da so einfach hingeht und sagt "ja, pah, euch brauch ´mer nicht", dann ist das verheerend.