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Orchester-Zusammenarbeit
Leipzig meets Boston

160 Musiker, zwei Top-Orchester: Mit einem gemeinsamen Konzert in Boston beendeten das Gewandhausorchester Leipzig und das Boston Symphony Orchestra das Deutschlandjahr 2019 in den USA. Die Zusammenarbeit der beiden Klangkörper geht jedoch weiter - der Austausch bereichert beide.

Von Claus Fischer | 04.11.2019
    Gewandhausorchester Leipzig und das Boston Symphony Orchestra in der Symphony Hall in Boston.
    Das Konzert in Boston war der bisherige Höhepunkt in der Zusammenarbeit der beiden Orchester (Deutschlandradio / Claus Fischer)
    "Wir machen hier etwas Einmaliges!"
    Mark Volpe, Intendant von Boston Symphony:
    "Dieses besondere Konzert wird in die Geschichte des Gewandhauses und des Gewandhausorchesters genau so eingehen wie in die Geschichte von Boston Symphony."
    Andreas Schulz, Gewandhausdirektor in Leipzig:
    "Und ich denke mal, das hinterlässt seine Spuren. In zehn bis fünfzehn Jahren wird man davon sprechen, was da Besonders zwischen diesen beiden Orchestern."
    Dieselbe Musik, sehr unterschiedliche Identität
    "Politik, meine Damen und Herren ist, funktioniert selten so gut wie die Zusammenarbeit dieser beiden Orchester."
    Sagt Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident:
    "Aber wenn wir die Demokratie bewahren und stärken wollen, dann müssen wir immer von einander lernen und uns gegenseitig unterstützen!"
    "Wir spielen dieselbe Musik. Aber die Identität beider Orchester ist sehr unterschiedlich."
    Sagt Andris Nelsons, Gewandhauskapellmeister in Leipzig und Chefdirigent von Boston Symphony.
    "So ist das heute ein wichtiger Schritt, der uns ermuntert, immer weitere Schritte gemeinsam zu gehen."
    "Es waren hochinteressante Proben mit einem zunächst durchaus nervösen Andris Nelsons"
    Erzählt Andreas Schulz:
    "Man hat sich geschüttelt und gefunden auf der Bühne: "Wer sitzt wo?" Wir haben wirklich fantastische Proben gehabt, die musikalische Zusammenarbeit hat allen Musikerinnen und Musikern unheimlich viel Spaß gemacht, man hat eine Spielfreude erlebt, die war sehr bemerkenswert!"
    Bostoner übernehmen Leipziger Angewohnheiten
    Beide Orchester sind in ihrem Charakter sehr unterschiedlich. Das Gewandhausorchester hat einen sehr warmen, zum Teil abgedunkelten Klang, Stichwort "Mahagoni". Der Klang von Boston Symphony ist dagegen obertonreicher, prägnanter, ja "amerikanischer". Das Programm des ersten gemeinsamen Auftritts war ungewöhnlich - und es trug den klanglichen Unterschieden Rechnung. Im Zentrum standen zwei Werke des 20. Jahrhunderts, das äußert opulente "Festliche Präludium" für Orgel und Orchester von Richard Strauss und die Tondichtung "Verklärte Nacht" von Arnold Schönberg. Dirigent Andris Nelsons war verblüfft, wie schnell sich die Musiker aufeinander einstellen konnten.
    "Die kamen auf die Bühne und haben sofort ganz konzentriert einander zugehört! Das war faszinierend. Vor allem bei den Streichern. Wenn ich die Augen zugemacht habe, dann habe ich nicht unterscheiden können, ob gerade der Gewandhauskonzertmeister Frank Michael Erben oder die Konzertmeisterin von Boston Symphony Cathy French den Ton angegeben hat!"
    "Ich glaube, die versuchen sich schon bei uns ein bisschen mit einzufühlen."
    Sagt Katharina Dargel, Bratschistin im Gewandhausorchester und stellt amüsiert fest, dass ihre Kollegen von Boston Symphony bei den Proben einige Leipziger Gepflogenheiten übernommen haben.
    "Sei es beim Einstimmen, sei es, dass hier in Boston eigentlich nur der Konzertmeister Striche macht und der Bibliothekar das dann für alle einträgt, jetzt schreiben plötzlich alle. Oder zum Beispiel wurde angesagt, dass doch diese nette Angewohnheit der Leipziger, einander die Hand zu geben zur Begrüßung und Verabschiedung übernommen werden soll - also, ich find das ganz großartig."
    Vertraglich geregelte Kooperation
    Das Konzert am vergangenen Donnerstag war der bisherige Höhepunkt in der Zusammenarbeit beider Orchester. Vor gut anderthalb Jahren, im Februar 2018 haben Gewandhausdirektor Andreas Schulz und der Bostoner Intendant Mark Volpe den Kooperationsvertrag unterzeichnet.
    "Das war gut für uns beide!"
    Sagt Volpe.
    "Boston ist, wie Leipzig, eine sehr geschichtsbewusste Stadt, es gibt enorm viele akademisch gebildete Menschen hier. Unser erster Chefdirigent nach der Orchestergründung war vorher Konzertmeister im Gewandhausorchester. Unsere Symphony Hall wurde nach dem Vorbild des damaligen Leipziger Gewandhauses errichtet. Alles schön und wichtig! Aber die Protagonisten von damals sind längst tot. Mir kommt es darauf an, dass unser heutiges Publikum lebendiger Teil dieser Geschichte ist. Und tatsächlich ist das Gewandhausorchester heute bei unserem Publikum viel bekannter als noch vor fünf Jahren!"
    V.l.n.r. Claus Fischer, Intendant Mark Volpe, Peter Korfmacher (Kulturchef Leipziger Volkszeitung) und Gewandhausdirektor Andreas Schulz
    Glücklich über die Zusammenarbeit: Intendant Mark Volpe, Peter Korfmacher und Gewandhausdirektor Andreas Schulz (Deutschlandradio / Claus Fischer)
    Die Bilanz dieser Kooperation kann ich mir eigentlich nicht schöner wünschen, auch nicht schöner vorstellen als da, wo wir zurzeit stehen."
    Sagt auch Gewandhausdirektor Andreas Schulz.
    "Wir haben alleine sieben Auftragswerke initiiert, davon sind drei schon uraufgeführt worden. Wir haben einen intensiven Austausch, dass unsere Mendelssohn-Akademisten jeweils im Sommer in Tanglewood sind. Wir sind bereits in der dritten Runde des Austausches der Musiker von Boston Symphony und dem Gewandhausorchester, was hoch erfolgreich läuft."
    Der Flötisten-Tausch
    Sechs Musiker haben in den letzten anderthalb Jahren am Austauschprogramm teilgenommen. Derzeit ist Manfred Ludwig, Flötist im Gewandhausorchester für drei Monate in Boston.
    "Der Unterschied, der mir wirklich als Erstes aufgefallen ist, ist die Bewegung. Hier wird sich viel weniger bewegt als bei uns. Das hat einen ganz profanen Grund. Dass hier gelehrt wird, man soll sich nicht bewegen und mit dem Rücken an der Lehne sitzen. Und bei uns heißt es immer: Du darfst dich auf keinen Fall anlehnen, weil das wirkt, als wäre man nicht dabei, also als wäre man irgendwie zu faul zum Spielen."
    Manfred Ludwig freut sich besonders auf die weihnachtlichen "Boston Pops" im Dezember, denn das Repertoire anglo-amerikanischer "Light music" ist beim Gewandhausorchester unbekannt. Umgekehrt freut sich Clint Foreman, Flötist bei Boston Symphony und derzeit auf Austausch in Leipzig auf Einsätze bei Bach-Kantaten in der Thomaskirche - für ihn ein neues und spannendes Feld. Er hat übrigens die gleiche Beobachtung gemacht wie sein Leipziger.
    "Also im Gewandhausorchester hat man wesentlich mehr Bewegungsfreiheit! Und das hat zur Folge, dass die musikalischen Phrasen vielleicht etwas eleganter rüberkommen. Für mich ist das sehr spannend zu sehen, wie sich die Kollegen bewegen, bei uns in Boston dagegen sitzt man sehr still."
    Eine gemeinsame Strauss-Tournee
    Nach Clint Foreman und Manfred Ludwig werden in den nächsten drei Jahren noch etliche weitere Mitglieder beider Orchester die Pulte tauschen. Dann läuft der Kooperationsvertrag aus. Aber beide Intendanten rechnen schon jetzt mit einer Verlängerung, angespornt auch durch den stetig steigenden Zuspruch des Publikums bei den "Boston-Wochen" in Leipzig und den "Leipzig Weeks in Boston". Die nächste große gemeinsame Aktion ist auch bereits geplant.
    "Wir haben vor im Mai 22 auf großer Strauss-Tournee gemeinsam mit beiden Orchestern zu sein."
    Sagt Gewandhausdirektor Andreas Schulz.