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Organisierte Sterbehilfe
"Verbot wäre ein richtiges Signal"

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Christiane Woopen, befürwortet im Deutschlandfunk ein Verbot der organisierten Sterbehilfe, wie es auch die Union fordert. In tragischen Fällen sollten Ärzte dennoch nach ihrem Gewissen entscheiden und die Sterbehilfe nach bestimmten Kriterien ausführen dürfen.

Christiane Woopen im Gespräch mit Michael Köhler | 11.01.2014
    Frau mit halblangen, dunkelblonden Harren, grauem Jacket, sprechend, bis zum Ellenbogen zu sehen, vor blauem Hintergrund
    Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Christiane Woopen. (dpa/picture alliance/Wolfgang Kumm)
    Michael Köhler: Die Unions-Fraktion innerhalb der Großen Koalitionsregierung setzt sich für ein Verbot der Sterbehilfe ein, genauer gesagt der organisierten Sterbehilfe, und will das gesetzlich regeln. Ich habe mit der Medizinethikerin, Ärztin und Philosophin Christiane Woopen darüber gesprochen - sie ist Vorsitzende des Deutschen Ethikrates - und sie gefragt: Besteht in Deutschland in dieser Sache Regelungsbedarf?
    Christiane Woopen: Aus meiner Sicht besteht gesetzlicher Regelungsbedarf bei allen Formen der organisierten Begleitung bei der Selbsttötung. Wichtig ist in dem Zusammenhang, mit den Begriffen scharf zu bleiben, denn Sterbehilfe, Sterbebegleitung und so weiter, da geht so viel durcheinander. Im Moment wird ja nach meinem Eindruck jedenfalls ausschließlich darüber gesprochen, wie man mit organisierten Formen von Beihilfe zur Selbsttötung verfährt.
    Köhler: Das ist ein weiterer Begriff, der nicht nur das Erwerbsmäßige umfasst, sondern alle Formen von organisiert. Also auch Vereine?
    Woopen: Ja. Vereine, Institutionen, die sich damit befassen, sind davon umfasst. Man muss einmal unterscheiden, ob damit eine Gewinnabsicht verbunden ist, oder keine Gewinnabsicht, und dann muss man aber noch - und da wird es wirklich schwierig - unterscheiden: Geht es um die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung oder um nicht ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung. Wenn jetzt eine ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung möglicherweise irgendwie mal berufsrechtlich erlaubt würde - das ist ja auch noch mal ein schwieriger Bereich -, dann müsste man zum Beispiel abgrenzen: Wäre das dann auch eine organisierte Form von Suizidbeihilfe. Also hier muss man genau hingucken.
    Köhler: Unsere Moderne fußt auf Freiheit, auf Liberalität, auf Staatsferne, ja auf Freiheit von Fesseln der Fremdbestimmung, dass wir frei sind von Fürst, Staat, König, Kirche, Kaiser, unser Leben zu führen und in die Hand zu nehmen. Was spricht denn dagegen, dass wir nicht auch diese letzten Dinge in die Hand nehmen?
    Woopen: Man muss jetzt genau schauen, wie weit die Reichweite von Selbstbestimmung reicht. Wir sprechen ja nicht über ein Verbot der Selbsttötung. Das heißt: Derjenige, der sich selber töten möchte, der kann das tun, und da wird auch kein Versuch unternommen derzeit in Deutschland, das unter Strafe zu stellen oder zu verbieten. Das gab es in der Geschichte mal, aber darüber reden wir im Moment ja gar nicht. Wir sprechen ja darüber, dass jemand anders dafür in Anspruch genommen wird, einen dabei zu unterstützen, und da hört die Reichweite zur Selbstbestimmung jedenfalls schon mal auf, oder stößt an Grenzen. Der andere muss das ja freiwillig tun. Ich habe ja keinen Anspruch darauf, dass jemand anders mich dabei unterstützt. Ich glaube, dass dieses Recht auf die Gestaltung des eigenen Lebens auch an seinem Ende ein sehr hochrangiges Recht ist, dass aber auf der anderen Seite der Schutz des Lebens auch ein sehr hochrangiges Anliegen ist, und hier sind Selbstbestimmung und Lebensschutz in einem so schwierigen Konfliktverhältnis, dass wir sehr genau hingucken müssen, wie wir damit umgehen. Wir müssen vor allen Dingen auch nachdenken über Suizidprävention, darüber, wie wir mit Menschen umgehen möchten, die einen Todeswunsch haben.
    Köhler: Das ist ja ein wichtiges Anliegen dieses Vorstoßes, nicht nur zu sagen, wir machen negatives Verbotsrecht, sondern wir machen auch eine Stärkung von Palliativmedizin, von Hospizwegen und so weiter.
    Woopen: Ja. Unser erstes Anliegen muss es sein, einen Suizidwunsch so zu behandeln, dass er sich wieder zu einem Lebenswunsch wandelt, oder dass man Wege findet, mit diesem Todeswunsch angemessen umzugehen. Trotzdem müssen wir natürlich einen Todeswunsch sehr, sehr ernst nehmen und können nicht einfach alle Möglichkeiten unterbinden, einen solchen Wunsch auch angemessen zu begleiten.
    Köhler: Welche Position nimmt der Ethikrat ein, oder nehmen Sie als Ärztin und Philosophin ein?
    Woopen: Ich würde gerne tatsächlich zwei Antworten darauf geben. Der Deutsche Ethikrat hat im September 2012 sich dazu geäußert und eine Regulierung der organisierten, und zwar aller Formen organisierter Suizidbeihilfe empfohlen. Er hat eine breite gesellschaftliche Debatte angemahnt. Dass im Ethikrat unterschiedliche Auffassungen dann über den letztlichen Regulierungsvorschlag entstehen würden, wenn wir uns nun intensiv damit auseinandersetzen, scheint ja nun klar zu sein, würde dann eine intensive Diskussion erfordern.
    Ich persönlich bin der Auffassung, dass ein Verbot aller Formen organisierter Suizidbeihilfe ein richtiges Signal ist, weil wir es vermeiden müssen, wirklich meiner persönlichen Auffassung nach, ein Signal in die Gesellschaft zu senden, dass sich selber zu töten ein Normalfall ist. Ich glaube, dass es aber wichtig ist, die Menschen, die einen Suizidwunsch haben, nicht alleine zu lassen. Mehr als jeder dritte Arzt in Deutschland ist schon darum gebeten worden. Sogar 50 Prozent der Hausärzte sind schon mit einem solchen Wunsch konfrontiert worden. Das heißt, wir brauchen einmal eine Ausbildung, damit überhaupt umzugehen, mit diesen Menschen dann auch seitens der Ärzte angemessen umzugehen, und ich wünsche mir, dass die Ärzteschaft ihren Ärzten die Gewissensfreiheit so weit gestattet, dass es einem Arzt möglich ist, nach ganz bestimmten Kriterien eine solche Suizidbeihilfe auch ausführen zu können. Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung sagen nur, dass die Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe ist. Ich finde, dass man es bei dieser Aussage belassen kann. Ich möchte also nicht gerne, dass diese Beihilfe zum Suizid eine Art von Normalfall wird; das wäre das falsche Signal. Ich wünsche mir aber, dass tragische Ausnahmefälle in die Gewissensfreiheit des Arztes gegeben werden.
    Köhler: Sterbehilfe ist kein Normalfall - die Medizinethikerin, Ärztin, Philosophin Christiane Woopen, Vorsitzende des Ethikrats, bei uns in "Kultur heute".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.