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"Organisierte Unverantwortlichkeit"

Im Oktober 2008 haben der Deutsche Olympische Sportbund und das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISP) ein Forschungsprojekt zum Thema "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" ausgeschrieben. Nun ist es zu einem ersten Eklat gekommen. Der renommierte Doping-Experte Gerhard Treutlein trat aus dem wissenschaftlichen Beirat aus.

Von Grit Hartmann | 22.04.2010
    Am Anfang vom Rückzug des Heidelberger Pädagogikprofessors Gerhard Treutlein stand die Verärgerung über die erste Beiratssitzung für das Projekt zur Dopinggeschichte. Kürzlich ging ihm das Protokoll dieses Treffens zu. Zu seiner Überraschung fand sich darin eine Notiz zu seiner angeblich fehlenden Kooperationsbereitschaft. "Nichts dran", sagt Treutlein, der selbst Autor mehrerer Bücher zur westdeutschen Dopinghistorie ist.
    Weit über diesen Anlass hinaus reicht allerdings die Begründung, die der Professor für seinen definitiven Abschied vom Projekt in Briefen an die Deutsche Gesellschaft für Sportwissenschaft und an das Bundesinstitut sowie an sämtliche Beiratsmitglieder geliefert hat. Bearbeitet wird das Forschungsprojekt von Wissenschaftlern der Universität Münster und der Berliner Humboldt-Universität. Demnach bezweifelt Treutlein, dass bei diesem Projekt überhaupt Neues herauskommen kann. Mehr noch: Er bezweifelt, dass vorbehaltlose Aufklärung erwünscht ist. Treutleins Schreiben liegt dem Deutschlandfunk vor.

    Der Beirat soll nur einmal im Jahr tagen. Die ihm zugeschriebene Steuerung, so folgert Treutlein, liege deshalb de facto beim Sportdachverband DOSB und beim Bundesinstitut, das eine nachgeordnete Behörde des Bundesinnenministeriums ist. Damit fehle die nötige Neutralität. Denn beide Institutionen seien in Sachen Doping belastet.

    Treutlein verweist auf die bis heute geheimen Erkenntnisse zahlreicher Antidoping-Kommissionen des Sports seit den 70er-Jahren und auf vom Bundesinstitut geförderte Dopingstudien bei westdeutschen Athleten. Fraglich ist, ob Unterlagen dazu geöffnet werden, ob also die Auftraggeber bereit sind, ihre eigene Historie untersuchen zu lassen.

    Die vorliegenden Anträge für das Forschungsprojekt bestärken solche Zweifel. Sie ließen, meint Treutlein, erwarten, dass es beim bisherigen Umgang von Politik und Sport mit der Dopingproblematik bleiben soll, nämlich, so formuliert der Professor, bei "organisierter Unverantwortlichkeit".

    Treutleins Rückzug ist nur das jüngste Signal dafür, dass dieses Forschungsprojekt vor allem sportpolitischer PR dienen könnte: Der DOSB schrieb es aus, als er wegen der Integration ostdeutscher Dopingtrainer in der Kritik stand. Inhaltsleere Geständnisse einiger dieser Trainer deklarierte er dann zum Teil des Projektes. Dubios auch die Vergabe - sie erfolgte trotz negativer Gutachten zu den Anträgen aus Berlin und Münster.