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Orgelkultur in Deutschland
Weckruf durch die UNESCO

Deutschland ist zwar Orgelland, doch drohe diese Kultur zu erodieren, meint Claus Fischer. Die Aufnahme der deutschen Orgeltradition in das immaterielle Welterbe der UNESCO sei ein Appell, diese besondere Kultur zu erhalten und zukunftsfähig zu machen. Ein Kommentar.

Von Claus Fischer | 11.12.2017
    Blick auf die Silbermann-Orgel im Dom zu Freiberg (Sachsen). Seit 1714 klingt das barocke Meisterwerk Gottfried Silbermanns nahezu unverändert und zählt heute zu den wertvollsten und bedeutendsten Instrumenten der Welt.
    Blick auf die Silbermann-Orgel im Dom Freiberg (Sachsen). Bis zum kleinsten Nagel ist fast noch alles Original. Seit 1714 klingt das barocke Meisterwerk Gottfried Silbermanns nahezu unverändert (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Deutschland ist das Orgelland, das zeigt schon die Statistik. Es gibt über 50.000 Instrumente. Die meisten von ihnen stehen in Kirchen, etliche aber auch in Konzertsälen, Schulen und Hochschulen. 400 Handwerksbetriebe mit insgesamt rund 2.000 Mitarbeitern bauen Orgeln für die ganze Welt. Nirgendwo sind in den letzten Jahrhunderten so viele Kompositionen für die Orgel entstanden wie in Deutschland - dafür stehen Namen wie Dietrich Buxtehude, Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy oder Max Reger. Rund 3.500 hauptamtliche Organisten und Kirchenmusiker pflegen dieses Erbe, dazu kommen mehrere 10.000 ehrenamtlich tätige Organisten.
    Jede Orgel ist ein eigenständiges Kunstwerk - zugeschnitten auf den jeweiligen Kirchenraum oder Konzertsaal. Jede Orgel enthält ein singuläres Gemisch von Registern, im Fachjargon spricht man von "Disposition". Wie jeder Mensch anders disponiert ist, hat auch jede Orgel ihren individuellen, unverwechselbaren Klang.
    Viele Orgeln in Thüringen warten noch auf Instandsetzung
    Ebenso reich wie das Orgelrepertoire ist der Bestand an historischen Instrumenten, der auf uns gekommen ist. Meister wie Arp Schnitger in Norddeutschland, Gottfried Silbermann in Sachsen oder Johann Nepomuk Holzhey in Oberschwaben haben Orgeln geschaffen, die Fachleute und Liebhaber aus aller Welt nach Deutschland locken. Viele dieser Instrumente wurden in den letzten Jahren saniert, sind in einem ordentlichen Zustand. Allerdings gibt es auch noch eine Menge zu tun - gerade im ländlichen Raum. In Thüringen etwa findet man zahlreiche Instrumente aus dem 18. Jahrhundert, die noch auf ihre Instandsetzung warten - und das Geld dafür fehlt.
    Doch allein der Antrag, die deutsche Orgelkultur in die Welterbeliste aufzunehmen, hat schon Bemerkenswertes bewirkt. So stellte Kulturstaatsministerin Monika Grütters innerhalb der letzten drei Jahre insgesamt zehn Millionen Euro für die am stärksten bedrohten Instrumente bereit. Dieses Geld wäre nicht geflossen, wenn Deutschland den Antrag an die UNESCO nicht gestellt hätte. Es besteht nun also die berechtigte Hoffnung, in Zukunft mit noch mehr Geld von Seiten des Bundes für die Erhaltung des Bestandes rechnen zu können.
    Die Orgel gilt vielfach als uncool
    Und das ist auch dringend nötig, denn die Orgelkultur in Deutschland droht zu erodieren. Kirchengemeinden werden zusammengelegt, Kirchengebäude aufgegeben und anderer Nutzung zugeführt. Oft werden die Orgeln ins Ausland verkauft, im schlimmsten Fall verschrottet. Wo die Kirche aber nicht mehr im Dorf steht, die religiöse Praxis nicht mehr zum Alltag gehört, verschwindet der Zugang zur Orgel. Wo junge Menschen dem Instrument nicht begegnen, können sie auch nicht mehr von ihm angezogen werden, geschweige denn den Wunsch haben, es zu erlernen. Dazu kommen allgemein veränderte Musikhörgewohnheiten der jüngeren Generation. Die Orgel gilt vielfach als uncool, als altmodisch, immer öfter wird im Gottesdienst zum Beispiel die Gitarre bevorzugt.
    Michael Gerhard Kaufmann, der den Antrag an die UNESCO verfasst hat, spricht denn auch von einem Weckruf - einem Weckruf an alle, denen die Orgel am Herzen liegt. Es wäre zu wünschen, dass dieser Weckruf gehört wird - von kirchlichen Finanzverwaltern, von Konzertveranstaltern, von Programmverantwortlichen in den Medien und last but not least von Musikpädagogen.
    Appell an die Verantwortung
    Die Aufnahme der deutschen Orgeltradition in das immaterielle Welterbe der UNESCO beinhaltet ein Appell an die Verantwortung aller, die guten Willens sind. Es gilt, diese besondere Kultur nicht nur zu erhalten, sondern sie gleichermaßen zukunftsfähig zu machen.
    Übrigens - wann waren Sie eigentlich zum letzten Mal in einem Orgelkonzert?