Donnerstag, 28. März 2024

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Orgelwerke von Max Reger
Dramatisch aufbrausend oder melancholisch resignativ

Die Orgelwerke von Max Reger sind zumeist alles andere als leichte Kost. Der Niederländer Cor van Wageningen gehört zu den Organisten, die sich seit vielen Jahren für Regers Schaffen einsetzen. Er hat nun zwei der letzten Werke für Orgel eingespielt.

Von Klaus Gehrke | 03.04.2016
    Porträt des Komponisten Max Reger
    Porträt des Komponisten Max Reger (imago / Leemage)
    Als Interpret der Klassiker Beethoven, Brahms oder Bach genoss der Pianist und Organist Reger zeitlebens großes Ansehen; ging es aber um seine eigenen Werke, so erfuhr er häufig zum Teil schroffe Ablehnung. In seiner oberpfälzischen Geburtsstadt Weiden beispielsweise fürchtete der Pfarrer, Reger könne die Orgel der Pfarrkirche ruinieren und forderte seine Suspendierung vom Organistendienst; 1902 schrieb er erbost über die ähnliche Intervention eines Pfarrers in München:
    "Nun ist mir bedeutet worden, ich dürfte nicht mehr spielen, da dadurch, dass ich spielte, die Leute zu sehr in ihrer Andacht gestört würden; kein Mensch könnte mehr beten! – Famos!"
    Orgelwerk größten Stils
    Zur gefälligen Untermalung frommer Gebete taugen gerade Regers große Orgelkompositionen kaum; dazu gehören auch Fantasie und Fuge d-Moll op. 135b, die im Februar 1916 entstanden und die Cor van Wageningen an der großen Walcker-Orgel der Martinikerk im niederländischen Doesburg eingespielt hat. Gewidmet ist das über 20 Minuten lange Stück dem Kollegen "Richard Strauss in besonderer Verehrung". Dem Simrock-Verlag kündigte Reger es an als "ein Orgelwerk größten Styls, aber nicht zu lang". Doch diese Meinung schien der Verleger offensichtlich nicht zu teilen, denn für die letztlich veröffentlichte Fassung strich Reger vier komplette Seiten aus der Fantasie und Fuge heraus – für Cor van Wageningen völlig unverständlich, wie er im Booklet der CD schreibt:
    "Als Hörer habe ich persönlich von der Originalfassung einen überwältigenden Eindruck bekommen, wie ihn die gekürzte Version nie auf mich gemacht hat. Wer die beiden Formen des Werkes unvoreingenommen miteinander vergleicht, kann die Tatsache, dass es – aus welchen Gründen auch immer – zu Kürzungen kommen musste, nur mit Bitterkeit zur Kenntnis nehmen."
    Möglicherweise, so mutmaßt van Wageningen, war auch der Organist und Thomaskantor Karl Straube mitverantwortlich für Regers einschneidende Bearbeitung. Immerhin trafen sich die beiden wenige Wochen vor Regers plötzlichem Tod im Mai 1916 in Leipzig; neben anderem dürften der Komponist und der versierte Interpret auch über die Fantasie und Fuge in d-Moll gesprochen haben. In beiden Teilen geht Reger bis an die Grenzen der Tonalität; und die groß angelegte Doppelfuge ist als zweimaliges riesiges Crescendo vom zartesten Pianissimo bis zum donnernden Fortissimo konzipiert. Hier muss der Interpret nicht nur alle möglichen Register ziehen, sondern auch Finger- und Fußfertigkeit beweisen.
    Monumentales Instrument
    Regers letzte Orgelkomposition spielt Cor van Wageningen an der großen Walcker-Orgel der Martinikerk in Doesburg. Das Instrument mit 75 Registern, vier Manualen und Pedal wurde 1916 von der Ludwigsburger Firma ursprünglich für die Nieuwe Zuiderkerk in Rotterdam gebaut. Nach deren Schließung 1968 kam die imposante Orgel in die Martinikerk im gelderländischen Doesburg. Sie passt sehr gut zu Regers Orgelwerken; der Komponist kannte und schätzte die Instrumente der Ludwigsburger Firma. Während seiner Zeit in Wiesbaden spielte er oft und gern an der Walcker-Orgel der Marktkirche. Cor van Wageningen, der in Arnheim studiert und mehrere internationale Wettbewerbe gewonnen hat, machte sich zunächst als Interpret barocker Werke einen Namen, widmete sich jedoch ab 1988 zunehmend dem romantischen Repertoire und vor allem dem von Max Reger. Aus dessen Orgelschaffen hat Wageningen für das Label Toccata Records eine Reihe mit ‚repräsentativen Werken‘ eingespielt. Auf der nun erschienenen fünften CD finden sich neben der ungekürzten Fassung von Fantasie und Fuge op. 135b noch die neun Stücke für Orgel op. 129. Sie bilden einen deutlichen Kontrast zu dem anderen Werk.
    Gelungener Beitrag zum Reger-Jahr
    Für Regers Verhältnisse fast aphoristisch kurz, dabei oft ernst und manchmal geradezu melancholisch-resignativ, wirken die neun Orgelstücke op. 129, aus denen Cor van Wageningen die Nr. 5 ‚Capriccio‘ spielte. Sie entstanden während eines Urlaubsaufenthaltes im pommerschen Ostseebad Kolberg im Sommer 1913. Van Wageningen beschreibt sie im Booklet folgendermaßen:
    "Was dem op.129 besonderen Reiz verleiht, ist das ganze Fehlen himmelstürmender Pathetik. Stattdessen wird der Kenner bezaubert durch eine resignierend anmutende Atmosphäre von Reflexion, von Sich-Erinnern und nachdenklichem stillen Zurückblicken. Irgendwo hat man das alles schon in früheren Werken gehört, aber noch nie war die Diktion so verhalten und souverän!"
    Bis auf eines stehen alle Stücke in Moll; rhythmisch untypisch für Reger ist das Intermezzo op. 129, 7 in einem 7/4-Takt. Dramatisch aufbrausend auf der einen Seite, melancholisch resignativ auf der anderen: so präsentiert Max Reger sich in seinen letzten Orgelwerken. Den unterschiedlichen Stimmungen spürt Cor van Wageningen sensibel und kraftvoll zugleich nach. Für die neun Orgelstücke wählt er zum Teil deutlich langsamere Tempi, die jedoch gut zu deren düsterer Stimmung passen. Für mich ist diese Einspielung ein überaus gelungener Beitrag zum aktuellen Reger-Gedenkjahr.
    Max Reger
    Repräsentative Orgelwerke 5: 1913-1916
    Toccata Records
    Bestellnummer: TRR 9605
    EAN: 8718868154187