Donnerstag, 18. April 2024

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Orientalistin Ulrike Freitag
"Saudi-Arabien hat Bedrohung durch IS erkannt"

Der Aufstieg der IS-Terrormiliz im Irak und in Syrien wurde auch durch finanzielle Unterstützung aus Saudi-Arabien ermöglicht. Doch inzwischen hat man in dem Land umgedacht, erläutert die Berliner Orientalistin Ulrike Freitag: Riad habe die eigene Bedrohung durch die Dschihadisten erkannt, sagte die Wissenschaftlerin im DLF.

Ulrike Freitag im Gespräch mit Jasper Barenberg | 01.12.2015
    König Salman ist von Untergebenen umgeben. Alle tragen traditionelle rot-weiße Kopfbedeckungen.
    Der saudische König und Premierminister Salman ibn Abd al-Aziz. (picture alliance/dpa/Saudi Press Agency)
    In der Vergangenheit habe Saudi-Arabien alle sunnitischen Gruppen direkt oder indirekt unterstützt, die Schiiten bekämpften - und damit eben auch den IS -, erläuterte Freitag. Hintergrund sei die Erzfeindschaft zwischen dem sunnitisch geprägten Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran. Doch seit etwa einem Jahr gebe es zumindest von staatlicher Seite keine Hilfe Riads für den den IS mehr.
    Der Grund - so Freitag: Saudi-Arabien habe erkannt, dass die Terrormiliz inzwischen auch eine Bedrohung für den eigenen Staat darstelle. Denn der IS verfüge auch in Teilen der saudischen Bevölkerung über große Popularität. Zudem gebe es Anzeichen, dass dschihadistische Gruppen in Saudi-Arabien aktiv werden wollten. Das Land stehe schon seit längerem wegen seiner Kooperation mit den USA und des luxuriösen Lebensstils des saudischen Herrscherhauses in der Kritik religiöser Fundamentalisten, sagte Freitag.
    Eine offizielle Abkehr Riads vom IS würde aber nicht den vollständigen Stopp von dessen Finanzierung durch saudische Quellen bedeuten, erläuterte die Orientalistin. Es gebe weiterhin Kräfte in dem Land, die Wege zur Unterstützung der Dschihadisten fänden.
    Freitag fügte hinzu, der Machtkampf in der Region zwischen Saudi-Arabien und dem Iran bilde in gewisser Weise eine Lebensversicherung für den IS. Deshalb müsse der Westen auf beide Länder einwirken und versuchen, eine nicht konfessionsgebundene Lösung für den Syrien-Konflikt zu finden.

    Das Interview in kompletter Länge:
    Jasper Barenberg: Eine Woche schwelt der heftige Streit zwischen Moskau und Ankara inzwischen und zeigt nach dem Abschuss des russischen Kampfjets vor allem eines: Wenn es um den gemeinsamen Kampf gegen die Terrororganisation IS geht, mag die Weltgemeinschaft so einig sein wie lange nicht mehr. Doch so schnell neue Koalitionen entstehen, so schnell können auch gefährliche Spannungen wachsen, denn die vielen Beteiligten verfolgen eigene und oft sehr unterschiedliche Interessen. Das gilt auch mit Blick auf ein Ende der Gewalt in Syrien. Das gilt für das Ziel, den sogenannten Islamischen Staat militärisch zu bekämpfen. Das gilt für das übergeordnete und langfristige Ziel, einen politischen Ausweg aus dem syrischen Bürgerkrieg zu bekommen.
    Der wiederum ist auch das Ergebnis einer erbitterten Rivalität zwischen zwei wichtigen Regionalmächten, dem schiitischen Iran auf der einen und dem sunnitischen Saudi-Arabien auf der anderen Seite.
    Über die Rolle gerade des saudischen Königshauses im Kampf gegen den IS und auf dem Weg zu einer Friedenslösung in Syrien können wir in den nächsten Minuten mit der Historikerin und Islam-Wissenschaftlerin Ulrike Freitag sprechen, der Direktorin des Zentrums moderner Orient in Berlin. Schönen guten Morgen.
    Ulrike Freitag: Guten Morgen.
    Barenberg: Frau Freitag, für viele gießt Saudi-Arabien ja seit Jahren Öl ins Feuer des syrischen Bürgerkrieges, hat dadurch auch den Aufstieg der IS-Terroristen erst befördert, ist für die blutige Bedrohung der Bewegung mitverantwortlich. Ist das eigentlich ein zutreffendes Bild?
    Freitag: Ich fürchte, das ist ein zutreffendes Bild, weil für Saudi-Arabien Iran gewissermaßen der Erzfeind in der Region ist, und alle sunnitischen, dschihadistischen Gruppen, welche Schiiten bekämpfen - und dadurch zeichnet sich der Islamische Staat ja insbesondere aus -, werden von Saudi-Arabien oder wurden jedenfalls von Saudi-Arabien lange direkt oder indirekt unterstützt.
    Staatlicherseits ist das inzwischen schon seit einem guten, mindestens einem guten Jahr, möglicherweise länger nicht mehr der Fall, weil man verstanden hat, dass der IS auch intern eine massive Bedrohung darstellt, aber dennoch gibt es eine breite Popularität von Gruppen wie dem IS in der saudischen Bevölkerung.
    "IS ist in ideologischer Form ein Produkt Saudi-Arabiens"
    Barenberg: Mit anderen Worten: Der religiöse Fanatismus des Islamischen Staates, der sich so nennt, seine Gewalt, ist ein saudisches Exportprodukt?
    Freitag: In ideologischer Form jedenfalls, denn es finden sich sehr viele Gemeinsamkeiten in dem unmittelbaren Bezug oder angeblichen Bezug auf die Frühzeit des Islam, auch in vielen Details der Religionsauslegung, etwa was Fragen wie Kleidung oder auch Verhalten in der Öffentlichkeit anbelangt, vor allem aber diese absolut antischiitische Position, die ja auch Saudi-Arabien dazu veranlasst, den unmittelbaren Abgang von Baschar al-Assad zu fordern, der ja nun durch Iran unterstützt wird.
    Barenberg: Wenn Sie sagen, dass Saudi-Arabien den Iran vor allem als Erzfeind betrachtet und diese beiden Staaten miteinander ringen um Einfluss in der Region, und dann sagen, aus diesem Grund hat Saudi-Arabien Terrororganisationen, sunnitische Terrororganisationen unterstützt, direkt oder indirekt, dann haben Sie gesagt, das war so und das hat sich geändert. Wie ist diese Entwicklung auch aus innenpolitischer Sicht Saudi-Arabiens denn zu erklären? Welchen Anlass hat Saudi-Arabien, an seiner Haltung etwas zu ändern?
    Freitag: Na ja. Saudi-Arabien ist ja schon relativ kurz nach dem 11. September seinerseits ins Fadenkreuz von dschihadistischen Gruppen geraten, insbesondere Afghanistan-Rückkehrern, die die Allianz Saudi-Arabiens gerade mit den USA kritisierten, die die massive Diskrepanz zwischen der puritanischen Interpretation des Islam und dem doch recht luxuriösen Lebensstil des Königshauses, um es vornehm zu formulieren, kritisiert haben und sagten, dies ist kein echter islamischer Staat. Dazu gehören dann auch Fragen wie diejenige nach der Monarchie und andere. Insofern hat es in Saudi-Arabien selbst intern in dieser Zeit, damals meistens auf El-Kaida zurückgeführt, Anschläge gegen die Staatsmacht gegeben und es gibt auch jetzt Zeichen, dass es dschihadistische Gruppen gibt, die gerne in Saudi-Arabien aktiv würden.
    Gleichzeitig sieht aber Saudi-Arabien auch seine eigenen Schiiten als eine Herausforderung und bekämpft diese ebenfalls mit gnadenloser Härte.
    "Es ist insgesamt wieder eine stärker religiöse Linie eingekehrt"
    Barenberg: Da hatten ja einige die Hoffnung, dass sich das mit dem neuen König Salman möglicherweise ändern würde. Jetzt heißt es aber, dass auch dort unter seiner Herrschaft jetzt wahhabitische Hardliner im Aufwind sind und die Schiiten als Ungläubige beschimpft und bekämpft werden. Ist das so?
    Freitag: Das ist so, wobei es natürlich staatlicherseits dann schon auch immer wieder beschwichtigende Gesten gibt. Das muss man durchaus sagen. Nach den Anschlägen auf Moscheen hat es dann auch immer wieder offizielle Statements gegeben, die das verdammt haben. Aber es ist insgesamt doch eine stärker religiöse Linie wieder eingekehrt. Das hört man aus unterschiedlichen Regionen. Es ist auch so, dass ja unter dem neuen König überhaupt erst der Krieg im Jemen begonnen hat, der sich auch im Wesentlichen gegen die Hothis, eine schiitische Gruppe, die eine, wenn auch stark übertriebene Unterstützung vom Iran erfährt, begonnen hat. Das heißt, auch hier sieht man die ganz klar antischiitische Ausrichtung der saudischen Politik.
    Barenberg: All das spielt jetzt auch eine Rolle bei den Verhandlungen in Wien, wo viele Beteiligte an einem Tisch sitzen, um eine politische Lösung für den Bürgerkrieg in Syrien, aber auch die Konflikte in der ganzen Region zu suchen. Trauen Sie Saudi-Arabien zu, aus den Erfahrungen, die Sie geschildert haben, jetzt vom Brandstifter zum kooperativen Partner zu werden in diesem Prozess?
    Freitag: Es hat in der saudischen Außenpolitik traditionell tatsächlich Realpolitik auch immer eine Rolle gespielt. Wenn man sagt, Saudi-Arabien unterstützt beispielsweise dschihadistischen Terror, muss man sich immer klarmachen, das ist nicht unbedingt immer Staatspolitik.
    Es gibt aber staatsnahe Kräfte, die dann finanzielle Wege finden, solche Unterstützung zu leisten. Insofern halte ich es durchaus für möglich, dass Saudi-Arabien hier etwas realistischer wird.
    Ich glaube aber, es wird sehr schwierig, nicht nur einen punktuellen Realismus zu finden, sondern tatsächlich so etwas wie eine gewisse Entspannung dieses konfessionellen Gegensatzes, der im Augenblick doch sehr dominierend ist in der saudischen Außenpolitik.
    "Der Westen sollte auf Saudi-Arabien und Iran mäßigend einwirken"
    Barenberg: Und wenn diese Rivalität auch anhalten wird zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, können wir dann sagen, dass dieser Machtkampf in der Region im Moment so etwas wie eine Lebensversicherung ist für den Islamischen Staat, für diese Terrororganisation?
    Freitag: In gewisser Weise ja, wobei das Absurde ja ist, dass in Syrien selber Assads Kräfte den Islamischen Staat nicht unbedingt primär bekämpft haben. Es gibt hier dann auch wieder ganz merkwürdige Allianzen, kann man nicht sagen. Das wäre stark übertrieben, denn der Islamische Staat hat ja auch das syrische Staatsgebiet massiv beschnitten oder das vom Staat kontrollierte Gebiet massiv beschnitten. Aber es gibt doch so etwas wie gewisse, wie soll ich sagen, Tolerierungen.
    Insofern halte ich es immer für möglich, dass Realpolitik sich durchsetzen kann, aber ich glaube, insgesamt wäre eine wichtige Aufgabe des Westens, auf beide Seiten, Iran und Saudi-Arabien mäßigend einzuwirken und zu versuchen, in irgendeiner Form eine nicht konfessionsgebundene Lösung für Syrien zu finden.
    "Es gibt politischen Dialog"
    Barenberg: Hat der Westen, hat die Europäische Union, haben die USA denn die Mittel in der Hand dafür? Die USA haben ihre Rolle verändert in der Region. Sie erscheinen mehr als Spielball denn als Strippenzieher inzwischen. Und auch Deutschland pflegt ja Beziehungen zu einem Land mit Saudi-Arabien, das vor allem durch öffentliche Auspeitschungen, Enthauptungen und diesen intoleranten fanatischen Islam bekannt ist.
    Freitag: Na ja. Es gibt politischen Dialog. Es gibt Waffenverkäufe, die durchaus nicht unbedeutsam sind, wenn man sich überlegt, dass Saudi-Arabien direkt im Jemen Krieg führt und indirekt in Syrien wahrscheinlich auch in der einen oder anderen Form beteiligt ist.
    Insofern, denke ich, gibt es Möglichkeiten. Sie haben sicher in den letzten Jahren, zumindest was die USA anbelangt, massiv abgenommen. Saudi-Arabien hat auch, glaube ich, einen echten Angstmoment erlebt mit dem iranisch-amerikanischen Atomabkommen oder internationalen Atomabkommen, was aber jetzt durch die USA maßgeblich mitverhandelt wurde. Insofern gibt es sicher keine unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten.
    Ich denke aber, es gibt durchaus die Möglichkeit, dies stärker zu thematisieren, als es bisher der Fall war.
    Barenberg: ... sagt Ulrike Freitag, die Direktorin des Zentrums moderner Orient in Berlin. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Freitag: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.