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Orphan Drugs
Krankenkassen fordern Prüfung von Zusatznutzen

Orphan Drugs, so nennt man Medikamente, die für extrem seltene Krankheiten entwickelt werden. Normalerweise dürfen Hersteller den Preis eines Medikaments nicht alleine bestimmen, doch für Orphan Drugs gilt eine Sonderregelung. Da der Preis meist enorm hoch ist, fordern Krankenkassen nun die genaue Überprüfung ihres Zusatznutzens.

Von Stefan Maas | 11.02.2016
    Ein Arzt füllt eine Infusion nach.
    Bei den Arzneimitteln gegen seltene Krankheiten kann der Hersteller selbst einen Preis ansetzen. Das führt zu erheblichen Kosten für das Gesundheitssystem, kritisieren die Krankenkassen. (imago/stock&people/Westend61)
    "Früher war mein Leben nicht so beschwerdefrei wie es heute ist", erzählt Sabine Biermann. Die 52-Jährige hat Morbus Gaucher, eine Stoffwechselerkrankung, die dazu führt, dass bestimmte Fette in Organen, im Gehirn und im Knochenmark abgelagert werden. Die Krankheit ist extrem selten. Betroffen davon ist weniger als einer von 2.000 Menschen.
    Über zehn Jahre litt Sabine Biermann unter Schmerzen und ständiger Müdigkeit. Als sie die Therapie begann, stellte sie fest, dass bereits nach drei, vier Infusionen, also bereits nach wenigen Wochen mein Leben vollkommen sich veränderte."
    Geholfen hat ihr ein Medikament, das speziell für ihre Krankheit entwickelt wurde. Dass es eines gibt, ist nicht selbstverständlich, denn die Entwicklung eines Medikamentes kostet viel Geld, je mehr Menschen die Pharmafirma mit einem neuen Produkt erreichen kann, umso größer die Chance, dass sie in die Forschung investiert, sagt Norbert Gerbsch, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des BPI, des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie:
    "Jemand, der eine Investition finanzieren muss aus unternehmerischer Sicht, muss sich überlegen, gibt es eine Chance, diesen Aufwand in irgendeiner Form wieder zu refinanzieren."
    Hersteller können selbst über Preis von Orphan Drugs entscheiden
    Deswegen seien Erleichterungen und steuerliche Anreize für die Entwicklung von Arzneien gegen seltene Krankheiten begrüßenswert. Zwangsabschläge und Diskussionen über Festbeträge für solche Medikamente gefährdeten die Versorgung der betroffenen Menschen und stünden der Forschung im Weg.
    Seit 2011 ist gesetzlich geregelt, dass der Hersteller den Preis eines Medikaments nicht alleine bestimmen kann. Der Nutzen des Medikaments wird bewertet und auf dieser Grundlage wird der Preis mit den Krankenkassen verhandelt. Allerdings gibt es eine Sonderregelung für die sogenannten "Orphan Drugs", jene, die auf seltene Krankheiten zielen und sich nicht mit vorhandenen Therapien vergleichen lassen.
    Eine Krankheit gilt in der Europäischen Union als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. Hier kann der Hersteller einen Preis ansetzen. Und der ist meist enorm hoch. Das führt zu erheblichen Kosten für das Gesundheitssystem, argumentieren etwa die Krankenkassen.
    "Das sind zum Teil Arzneimittel, die in der Tat mit beträchtlichen Jahrestherapiekosten einhergehen", sagt Pharma-Industrie-Vertreter Norbert Gerbsch. Doch es gehe nur um wenige Fälle:
    "Also die Befürchtung, die zuweilen scheinbar so wahrgenommen wird, das sei eine Entwicklung, die die Finanzierbarkeit der GKV in gewisser Weise bedrohen oder einschränken würde, das können wir nicht sehen."
    Fast 50 Prozent der Orphan Drugs haben einen "nicht qualifizierbaren" Zusatznutzen
    Die Krankenkassen monieren, dass der Zusatznutzen, den diese Medikamente bringen, oft nicht groß genug ist, um die hohen Kosten zu rechtfertigen. Wenn ein Medikament in der EU zugelassen worden ist, wird davon ausgegangen, dass es irgendeinen Zusatznutzen hat. Im Januar meldeten die gesetzlichen Krankenkassen, dass der gemeinsame Bundesausschuss, der die Wirksamkeit begutachten soll, bei 47 Prozent der Arzneimittel gegen seltene Krankheiten einen "nicht qualifizierbaren" Zusatznutzen festgestellt hat.
    Die wissenschaftliche Datenbasis sei nicht groß genug, um das Ausmaß des Zusatznutzens bewerten zu können. Deshalb fordern die Kassen die Möglichkeit, genauer zu prüfen, sagt Ann Marini, die stellvertretende GKV-Sprecherin. Dabei sei es gar nicht grundsätzlich um die Zulassung gegangen:
    "Sondern wir haben gesagt, aus der Patientenperspektive zum Stichwort Sicherheit müsste der gemeinsame Bundesausschuss doch die Möglichkeit haben, wenn es Hinweise, wenn es Zweifel gibt, doch auch eine vollumfängliche Prüfung des Zusatznutzens vorzunehmen. Nicht permanent und nicht bei allen Arzneimitteln, sondern dann, wenn es Hinweise gibt. Das ist heute nicht möglich."
    Deshalb sei eine Gesetzesänderung notwendig, um Patienten besser schützen zu können, wenn etwa neben einem Zusatznutzen auch schwere Nebenwirkungen gemeldet würden.