Samstag, 20. April 2024

Archiv


Orpheus in der Sonne. Gedichte

Liebe als Passion - der Titel einer Untersuchung, die der Systemdenker Niklas Luhmann einst zynischen Alt' 68ern auf den Leib schrieb: ein kühles Katalogisieren historischer Gefühls-Bestände, ein Spaziergang durch die Lebens-Mittel Abteilung Leidenschaft , ein metatheoretisches Konzept, das Sicherung in unsicherer Zeit verspricht - all das wäre wohl kaum nach den Vorstellungen von Wolf Wondratschek. Liebe als Passion, das ist - folgt man dem Dichter aus München - nach wie vor ein Zustand aus Sich- Verzehren und Verlieren, ein schmerzendes Vexierbild, in dem sich rätselhafte Frauen und zerstörerisch begehrende Männer hoffnungslos ineinander verkeilen - eine Synästhesie aus blitzenden Messern und fernen Schreien, ein unausweichlicher Geschlechterkampf-kurz eine alte, uralte Geschichte, die sich nur in Poesie erzählen lässt. Eine Poesie allerdings aus urmännlicher Sicht:

Werner Köhne | 16.06.2003
    ' Da sitzen Männer vor einem Haus Und trinken und träumen vom Töten. Sie sehen Frauen im Vorübergehen erröten Und spucken aus.

    Sie töten für ihre Ehre Und tanzen, wenn sie trauern - Als ob der Tod ohne schrecken wäre Über den eingestürzten Mauern Ihrer Einsamkeit. Nicht das Leben ist die Zeit Der Liebe, Liebende verlieren sich;

    Kaum dass sie einander nahe spüren, sind sie Fremde - und gehen unversöhnlich Wege, die in Labyrinthe führen.'

    Von Casanova weiß man, dass er die Frauen einfach liebte, von Don Juan ist die düsterste Variante der Liebe überliefert, das Zerstören im Einssein. Wolf Wondrascheks Zugriff auf das Zentrum männlichen Sehnens wird gespeist aus unterschiedlichen Quellen: ein wenig Hemmingway´ sches Einsamkeitspathos ist dabei, früh kindliche Erfahrungen in den fünfziger Jahren fließen ein, konkret eine sexuelle Initiation, als ihm eine Nachbarin beim Apfelauflesen ihr Hinterteil zeigt und der Knabe dabei aus der Enge und Frivolität deutscher Verhältnisse in den Taumel des 'Ganz Anderen' fällt; später - nach den Wirren der kleindeutschen Kulturrevolution von 68 - wählt der Vorzeigepoet dieser Zeit für seine Passion eine spanisch- mexikanische Topographie, er wird der Regisseur eines Films, der fortan in seinem eigenen Kopf gegeben wird. In der Hauptrolle tritt Carmen auf:

    Da tauchte Carmen auf- und ich vergaß zum ersten Mal beim Lesen, dass ich in einem Buch las. Da war sie lachte kratzte biss. Aufrüherisch, unvernünftig lebend: Ich sah, wie sie ohne Erbarmen ihre Liebhaber betrog. Sie hatte mehr Realität als die Prügel, die ich bezog, als ich auf dem Höhepunkt meiner Pupertät meinen Eltern beim Abendbrot die Erkenntnis auftischte: meine Geburt sei nach bürgerlichen Maßstäben völlig überflüssig gewesen.

    Mit 'Carmen' begegnen wir in den Gedichten vielen namenlosen Männern: Fischern, gestrandeten Spielern - manchmal wohl auch Opernsängern und Torreros - immer aber sind es "alter egos" eines ruhelosen nach Sinn und Bewährung suchenden deutschen Kleinbürgers.

    Carmen - das berühmte Langzeitgedicht, das Wondratschek 1986 veröffentlichte und mit dem Altemativtitel "Ich bin das Arschloch der achtziger Jahre" die gebührende Aufmerksamkeit sicherte - Carmen ist ein feuchter Traum aus früher Jugend 'Carmen' taucht wieder auf als "lady in black" und feenhafte Janis Joplin auf Reisen, sie steht plötzlich mitten in einer Siebziger Jahre- WG und setzt sich - zum Schrecken aller Versicherungsnehmer und Emanzen - das Messer an den Hals - und schließlich überdauert sie ihre Zerstörung durch die Zeit, indem sie ihren Körper im Alter noch einmal als stumme stolze Masse versammelt-^ Carmen wird der große Einwand gegen alle Beziehungsrhetorik auf Sparflamme , gegen das Ende der großen Gefühle. Sie ist Körper und Schatten, siegreiche Verliererin, betrogene Betrügerin, standhafte Verschwenderin ihrer selbst - sie und nur sie läßt eine Ahnung davon entstehen, was diese alten Worte eigentlich bedeuten: Liebe, Sonne, Meer, Verlassenheit, Augenblick. Ewigkeit.

    In seinem letzten Gedicht "Orpheus in der Sonne" wendet sich das lyrische Ich mit dem antiken Sänger und Höllenbesucher , noch einmal zurück und wird des jungen Fischers gewahr , in dessen inneres Bild und Begehren er einst einzutauchen suchte . Nach all den Jahren selbst innerlich erloschen nimmt er an dem Namenlosen, der sich in der Sonne lümmelt, all die Zeichen wahr, die für das bewusstlose Erkennen der Welt, die Dialektik von Sein und Zeit und den stummen Schrei der Liebe stehen:

    Das Land gehört der Sonne. Das ist es, was er weiß. Das ist alles was er weiß. Und das keiner entkommt. Er ist verrückt, sagen die Frauen. Er hat recht, denken die Männer. Alles auf der Welt ist lächerlich, nur die Sonne nicht.

    Er ist schön, weil er jung ist. Er wird lieben, ohne Bedauern, denn Mehr hat keiner als einen Körper. Und keiner mehr als sieben Jahre. Dann gehört die Welt einem anderen. Kein Verbrechen und keine Weisheit Werden daran je etwas ändern.

    Ausrufezeichen, Punkt. - Phanta rhei. Derlei Ewigkeitsmetaphern mag mancher goutieren. Dabei gelingen Wondratschek die stärksten Bilder da, wo sie enggeführt werden - jenseits von 'Tequila sunrise' :

    Wir protzen mit Träumen Die wir nicht leben, und beneiden unsere Phantasie, der wir nie nachgeben.

    Es ist zum Kotzen, und das schon seit ewigen Zeiten. Komm lass` uns die Augen schließen Und aufhören zu streiten.

    Verlierer sind wir alle. Wer liebt, verliert die Macht. Auf Wiedersehn, Geliebte, bis tief in die Nacht.