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Orpheus Institut kauft Sammlung
Ton Koopmans Privatbibliothek zieht um nach Gent

Etwa 45.000 Bücher und andere Medien umfasst die Bibliothek des Dirigenten, Cembalisten und Organisten Ton Koopman, darunter sehr wertvolle Werke. Musiker und Komponisten können diese künftig für die Forschung nutzen – denn das Orpheus Institut in Gent hat die bedeutende Sammlung gekauft.

Von Andrea Braun | 29.06.2020
    Der Organist Ton Koopman steht am 14.06.2014 zu Beginn seines Konzertes in der Kreuzkirche Suhl in Thüringen vor der Eilert-Köhler-Orgel.
    Ton Koopmans Bibliothek wird an ihrem neuen Standort auch digitalisiert - und steht damit Forschern weltweit zur Verfügung (picture alliance / Michael Reichel)
    "Es ist eine sehr vielseitige Bibliothek, nicht nur gemacht für Musik, aber auch gemacht von einem Liebhaber von Büchern, wie ich bin, der Sachen zufälligerweise sah, und wenn ich könnte das kaufen, habe ich es gekauft, weil ich es einfach schön fand. Aber natürlich die Basis ist über Musik, Musiknoten, Manuskripte, Drucke, aber auch viel Traktaten, weil ich liebe zu wissen, wie man spielen muss, wie man darüber gedacht hat."
    Erklärt Ton Koopman. So hat der niederländische Dirigent und Tastenvirtuose über die Jahre fast 45.000 Medien zusammengetragen. Das älteste Manuskript seiner Sammlung stammt aus dem 14. Jahrhundert, dann gibt es etwa 8.000 weitere Schriften aus der Zeit vor 1800, aber auch aktuelle Bücher, Noten und Sekundärliteratur. Und diese Sammlung nutzt nicht nur er selbst ständig, sondern er stellt sie auch anderen Musikern zur Verfügung, oder den Studenten, die er an der Universität Leiden trotz seiner 75 Jahre noch unterrichtet.
    Die Sammlung wächst – und braucht Platz
    Aber so eine Bibliothek ist recht aufwändig in der Pflege. Nicht nur zeitlich, sondern auch finanziell. Und sie braucht Platz – der im Hause Koopman langsam knapp wird. Sechs Räume stehen da voller Bücherregale, selbst zwei Nebengebäude im Garten sind inzwischen voller Bücher, die Verwaltungsmitarbeiter seiner Ensembles sitzen zwischen Büchern, sie türmen sich in seinem eigenen Büro. Und ja: Es werden natürlich noch immer mehr – denn die Kauflust verlässt ihn nicht.
    Dazu kommt Koopmans Sorge, seiner Familie möglicherweise eines Tages eine Last aufzubürden – aber vor allem ist der Dirigent der Meinung, ein solcher Wissensschatz sollte möglichst vielen Menschen zur Verfügung stehen. Und so suchte er schon seit einiger Zeit nach einer Möglichkeit, die Bibliothek komplett zu verkaufen.
    "Ich war eine Zeit lang mit der Universitätsbibliothek in Zürich in Verhandlung, weil die sagen, ja, wir sind interessiert, das zu kaufen. Aber kann es bei dir bleiben, bist du es nicht mehr brauchst. Das war eine gute Lösung. Aber das ist dann doch nicht weitergegangen. Und dann hat sich plötzlich das Orpheus Institut in Gent gemeldet und hat gesagt: Ja, das wäre genau eine Bibliothek, wie wir die brauchen, aber wir brauchen die auch nun, weil das soll genutzt werden von Studenten in Gent."
    Bereicherung für die Forschung
    In diesem Orpheus Institut, an dem Koopman im Rahmen seiner Lehrtätigkeit auch selbst regelmäßig Doktoranden unterrichtet, forschen vor allem Musiker und Komponisten – aus der Perspektive ausübender Musiker. Bei Konzerten, Symposien und Workshops stellen sie ihre Erkenntnisse auch immer wieder der Öffentlichkeit vor.
    Dort gibt es natürlich schon eine Bibliothek, die aber nur aus etwa 8.000 Bänden besteht. Die Ton Koopman–Sammlung, die das Institut nun Dank eines großzügigen Mäzens kaufen konnte und die künftig in einem speziell dafür umgebauten Gartenhaus aus dem 18. Jahrhundert residieren wird, ist also eine echte Bereicherung für die Forscher in Gent. Über die Kaufsumme schweigen sich Käufer und Verkäufer zwar aus – Niederländer sprechen aus Prinzip nicht gerne über Geld, – aber Peter Dejans, Direktor des Orpheus Institut schwärmt:
    "Es ist nicht nur wichtig für uns für Forschungsgründe, aber auch als kulturelle Erbe für die nächste Generation ist es wichtig, dass das zusammen bleibt und irgendwo hier in the Low countries, in Holland und Flandern."
    Dabei geht es ihm nicht nur um die Bücher an sich:
    "Wir werden diese Bibliothek benützen als Forschungstool. Der wichtigste Aspekt ist, dass Ton Koopman in zahlreichen Bücher sehr viel Annotationen gemacht hat, und Kreuzverweisungen zwischen verschiedenen Bücher, dass er seine eigene Gedanken, Interpretation, Kreativität in diese Annotationen gelegt hat. Daher sehe ich diese Bibliothek nicht nur als eine Sammlung, aber auch eine Wissenslandkarte sozusagen, wo er Verknüpfungen gesehen hat, denen er deutlich macht durch seine Verweise. Das heißt, wir haben schon ein Material, das bearbeitet wurde, und von einem ganz prominente Musiker, der nicht nur viel Erfahrung, aber auch viel Expertise hat."
    Schritt in die Digitalisierung
    Dazu haben Koopman und seine Bibliothekarin über die Jahrzehnte viele Bücher mit einem Index versehen, so dass man auch in historischen Traktaten nach bestimmten Stichworten suchen kann.
    Vom Barock zur Klassik - Ton Koopman und das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin
    Der Niederländer Ton Koopman gilt als Alte-Musik-Spezialist, doch neben dem Barock interessiert ihn schon lange auch die Musik der Klassik.
    In Gent wird die Sammlung nun in den nächsten Jahren auch digitalisiert werden – inklusive der Anmerkungen und der Indices in den Büchern – und damit Musikern auf der ganzen Welt zur Verfügung stehen. Aber nicht nur Musikern, betont Dejans:
    "Jeder ist willkommen! Und ich denke, es gibt auch unheimlich viel Material für Musikwissenschaftler, aber auch für Theologen und Historiker. Ich bin davon überzeugt, dass Hunderte Doktoratsarbeiten gemacht werden können, von verschiedenen Disziplinen."
    Kommende Woche wird bei Ton Koopman nun das Umzugsunternehmen vor der Tür stehen. Und der Abschied von all seinen Büchern, mit denen er Jahrzehnte gelebt und gearbeitet hat, wird für ihn sicher nicht ganz leicht.
    "Ja, sich zu verabschieden von eine Bibliothek, die man täglich benutzt, ist eine schwere Sache. Wir haben dann miteinander verabredet, dass bestimmte Sachen hier noch bleiben, weil ich die zu viel benutze. Ich bekomme einen Schlüssel von der Bibliothek, die Bibliothek wird Koopman-Bibliothek heißen. Und ja, die finden das ein schönes Testament für mich."
    Freude - und ein paar Tränen zum Abschied
    Dass nun sein Haus zu leer sein wird, da hat er keine Sorge. Acht– oder neunhundert Bücher hat er seit dem Verkauf der Bibliothek schon wieder neu erworben, die erst einmal bei ihm bleiben; dazu liebäugelt er mit einer historischen Orgel; seine Sammlung historischer Stiche braucht endlich Platz – also, die Räume werden sich schnell wieder füllen. Und so überwiegt bei ihm doch die Freude darüber, dass es seinen Büchern auch weiterhin gutgehen wird:
    "Die Einweihung wird sicher, und wenn es weggeht auch hier, Tränen kosten, weil mein erste Buch kaufte ich, wenn ich 13 war, und es sind Bücher, die ich bekommen habe, wenn ich war Organist elf Jahre alt. Die Bücher sind alle noch da – und ja, das tut weh. Aber ich bin froh, dass an eine gute Stelle. Und es ist keine Strafe, nach Gent zu gehen, nach Brügge zu gehen, und ein paar Tage da zu bleiben und ein bisschen die Sachen nachzuschauen, die ich brauche. Und ich habe versprochen, jedes Jahr fünf Mal eine Vorlesung zu machen über meine Bibliothek in der Bibliothek."