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Ort der Klänge und der Künste

Das Muldetal lädt zum Spaziergang ein. Man muss von hier aus ja nicht gleich bis nach Syrakus, wie Johann Gottfried Seume im Jahr 1802. Das Muldetal war für ihn – wie er sagte - ein "kleines Elysium". Bereits damals war die Landschaft Anziehungspunkt - Gelehrte, Verleger, Künstler, vor allem aus dem nahe gelegenen Leipzig, Meißen oder Dresden.

Von Constanze John | 09.05.2013
    Und noch heute kommen sie, auf einen Spaziergang, oder sie mieten sich irgendwo ein, zum Beispiel – wie wir dann - in der Denkmalschmiede Kaditzsch.

    Angekommen an der Hängebrücke, kann der Wanderer ein Stück flussaufwärts fahren, mit dem Fahrgastschiff "Katharina von Bora". Wir aber spazieren. Und mit uns Wanderer, ganze Familien mit Kind und Kegel, am Fluss entlang, durch den Stadtwald und über die breiten Uferwiesen. Das Kloster Nimbschen, dort wo einst Katharina von Bora, Martin Luthers spätere Frau, sich mit anderen Nonnen entführen ließ, dieses Kloster liegt am Ufer gegenüber und damit abseits von unserem Weg.

    An einem sonnigen Tag wie heute sind die Spaziergänger in allerbester Stimmung. Auch Fahrradfahrer sind unterwegs.

    Und selbst zu Pferde kommen die Ausflügler.

    Ein Bächlein fließt zur Mulde. Ein Vogel singt. Bienen summen. Wer zuhört, der kann es hören.


    Genau an diesem Punkt setzt auch Dr. Uwe Andrich an. Von Haus aus ist er Physiker, er wohnt und arbeitet in der Denkmalschmiede in Kaditzsch und hat durch verschiedenste Projekte das Muldetal mitgeprägt.

    "Es gibt eine Reihe von sogenannten Hörpunkten, wo wir gar nichts tun brauchen, nur drauf aufmerksam zu machen, dass also an solchen Punkten ein besonders schönes, interessantes Geräusch, zum Beispiel auf eine besonders intensive Art und Weise das Gemurmel eines Bächleins, zu hören ist."

    Unter anderem initiierte Dr. Andrich das Label BEOTON. Darüber hinaus ist er der Spiritus Rector des internationalen Hör- und Musikfestivals WAS HÖREN WIR?

    "Gestartet haben wir ja hier vor reichlich 15 Jahren, indem wir in die Landschaft gegangen sind, mit Hörspaziergängen, die das Publikum immer über eine Wegstrecke geführt hat, die von Künstlern vorher genauestens untersucht wurde, und wo es ein wohldosiertes und gestaltetes Programm gab."

    Inzwischen haben wir die Schiffsmühle – auch das gleichnamige Restaurant – erreicht und schauen auf das Wasser der Mulde.

    "Ein interessantes Phänomen, was schon vor Jahren durch uns auch bewusst gemacht wurde, ist der Klang des Flusses, den man ja, wenn man am Fluss steht, als Mensch, gar nicht so sehr wahrnimmt. Aber wenn zum Beispiel – wie praktiziert – am Fluss ein musikalisches Ereignis stattfindet, führt das zum Phänomen, dass man das musikalische Ereignis ganz besonders wahrnimmt und die Geräusche des Flusses in der Wahrnehmung eigentlich unterdrückt."

    "Und dann – wenn die Musik verklingt -, kommt plötzlich, wie durch ein künstliches Einspiel, über eine Verstärkeranlage der Fluss wieder zu Wort."

    Das Restaurant "Zur Schiffsmühle" ist ein beliebtes Ausflugsziel. Als vor knapp vier Jahrzehnten Andrich, als junger Wissenschaftler, von Leipzig gekommen durchs Muldetal wanderte und noch nicht in der Denkmalschmiede wohnte, war das hier eher noch ein Kneipchen. Andrich trank sein Bier und fragte sich, woher der Name wohl käme – "Schiffsmühle". Und die Antwort war: Hundert Jahre zuvor gab es an dieser Stelle tatsächlich eine der vielen Mühlen, die - wie Schiffe - auf dem Wasser lagen. Und heute schwimmt hier – nachgebaut – wieder eine. Ihr großes Rad wird durch den Lauf des Wassers gedreht.

    Der Jutta-Park liegt oberhalb der Schiffsmühle. Über die Treppe am Porphyrfelsen steigen wir nach oben. Hier nun gibt es ein besonderes Echo auszuprobieren, mit dem Park angelegt - vor über hundert Jahren, und nach den Plänen von Ida Jutta Gleisberg – der Frau des Besitzers der Großmühle in Grimma. Dieses besondere Echo kann erzeugt werden, durch jedermann, am gepflasterten Rondell, dort am Ende der Kastanienallee.

    "Da geht es zum Beispiel um ein ganz besonderes Flatterecho, was wir wieder rekonstruieren konnten. Wo also der Sprecher – mit Ausrichtung auf den Aussichtsturm – an einem ganz besonderen Punkt seiner Worte – wenn er dort durch den Mittelpunkt läuft – ein ganz – ja – unvergleichliches Phänomen auf den Ohren erlebt. Und das wurde dann natürlich auch zum Anlass genommen bei der Rekonstruktion, dass heutige Klangkünstler dann also auch eigene Ideen entwickelt haben."

    Karl-Heinz Heydecke aus Bad Neustadt probiert das Echo auf seine Art aus. Eine schöne Herausforderung für den Musiker und Lautpoeten, der sich für einige Tage zum Arbeiten in der Denkmalschmiede Kaditzsch eingemietet hat.
    "Also Leute, die mich begeistern, die ich verehre, mich schwer beeinflusst haben. Ja. Ja, ja. Sven-Oke Johanssen, auch einer der Gründerväter mit zum deutschen Free-Jazz, jemand, dem es einfach gelingt, auf ganz unnachahmliche Weise eigentlich, die Umwelt, die ganz banale Umwelt, zu musikalisieren."

    Vom schwedischen Musiker und Komponisten Sven-Ake Johanssen wird später noch zu hören sein. Unsere nächste Station – WAS HÖREN WIR? – ist zuvor aber der zwölf Meter hohe Aussichtsturm am anderen Ende der Kastanienallee.

    Nicht nur, dass der Turm, halbhoch mit Weinlaub bewachsen, gerade einem Märchen entsprungen zu sein scheint, nein – mit seinen beiden Türen ist außerdem Musik zu machen! TÜR ZU, ES ZIEHT! Nennt sich die Installation des Leipziger Klangkünstlers Erwin Stache. Oder besser gesagt: TÜR ZU, ES KLINGT.

    Das Muldetal ist aber nicht allein Landschaft für Spaziergänger und Menschen, die Ideen schmieden, sondern nach wie vor landwirtschaftliches Gebiet. Hier gibt es Felder und Wiesen. Und es gibt – Traktoren.

    "Sven-Ake Johanssen ist also bei seinem Arbeitsaufenthalt regelmäßig morgens im Sommer durch die Traktoren der Landwirte in seinem Schlaf (immer) gestört worden. Und das hat er zum Anlass genommen und ein Stück für zwölf Traktoren komponiert. Das ist also dann auch hier uraufgeführt worden."

    "Hatte den Riesencharme, dass also die Eigentümer der Traktoren selber hier zum Musiker avancierten und nach einer von ihm entwickelten Partitur und nach einem genauen Dirigat sozusagen also auch dann gemeinsam dieses Stück entwickelt haben."

    Das Muldetal bei Leipzig. Ein idealer Ort für einen Spaziergang. Um mit Johann Gottfried Seume zu sprechen - ein "kleines Elysium". Ein Zimmerchen in der Denkmalschmiede Höfgen-Kaditzsch ist gebucht und dieser Tag kann bei einem Glas Wein ausklingen. WAS HÖREN WIR?