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Ort des inneren Friedens

Shangri-La, das klingt nach Paradies auf Erden, nach innerem Frieden, nach Räucherstäbchen und Gebete murmelnden Mönchen. Der mythisch besetzte Begriff wurde in den 30er-Jahren vom britischen Schriftsteller James Hilton geprägt. Doch Shangri-La gibt es seit zehn Jahren wirklich.

Von Silke Ballweg | 30.06.2013
    Langsam schnauft der Bus die kurvige Straße hinauf, an steilen Berghängen entlang, über Gebirgsflüsse und hohe Pässe hinweg. Immer wieder steigt die Straße auf über 4000 Meter. Eine beeindruckende Fahrt.

    Das Ziel der Reise: Shangri-la. Mythischer Ort, irdisches Paradies. Diese Vorstellung prägte zumindest der Brite James Hilton. Denn der Schriftsteller hat den Begriff Shangri-la erfunden, in seinem 1933 erschienenen Roman "The lost Horizon". In dem Buch ist Shangri-la der Name eines buddhistischen Klosters in Tibet. In dem finden - nach einem Flugzeugabsturz - eine Gruppe Ausländer Hilfe. Das Kloster fasziniert seine Besucher, vor allem Conway, die Hauptfigur des Romans:

    "Conway (...) ließ sich bereitwillig immer mehr verzaubern. (...) Shangri-la war um diese Zeit hinreißend, verzaubert vom Geheimnis, das im Kern aller Schönheit ruht. Die Luft war kalt und still. Conway fühlte sich körperlich wohl, emotional zufrieden und im Geiste ruhig."

    Hilton schildert das Kloster als einen von der Außenwelt isolierten, geradezu vollkommenen Ort. Dort leben die Mönche ein entrücktes, sorgenloses Dasein. Selbst den Tod können sie aufschieben, denn sie werden - durch Meditation – mehrere Hundert Jahre alt. Hiltons Roman konnte bereits kurz nach seinem Erscheinen internationale Erfolge feiern. Der Name "Shangri-la" verbreitete sich und wurde zum Inbegriff für einen Ort der Glückseligkeit. Der Engländer schilderte in seinem Buch das Kloster und die umliegenden Natur detailreich und präzise. Und doch war alles frei erfunden, Hilton war nicht einmal in Asien gewesen. Den Namen Shangri-la entlehnte er aus dem Tibetischen, sagt Tenzin, ein Tibeter, der seit Jahren in Shangri-La lebt und sich viel mit der Geschichte des Ortes beschäftigt hat.

    "Wenn man das Wort Sangri-la hört, Sangri-la, dann klingt das so ähnlich wie Shambala. Und Shambala stammt aus dem Tibetischen und ist eine Art Paradies."

    Obwohl Shangri-la Hiltons Fantasie entsprang, haben Wissenschaftler während der vergangenen Jahre immer wieder gerätselt, ob es nicht doch eine Vorlage dafür geben könnte. Auch Chinas Regierung war an der Frage interessiert – aus Werbezwecken. Als klare Hinweise immer wieder ausblieben, entschieden die Politiker die langwierige Suche schließlich selbst. 2001 benannten sie die Stadt Zhongdian im Norden der chinesischen Provinz Yunnan kurzerhand in Shangri-la um. Tenzin erzählt:

    "Als das bekannt wurde, hat sich auch die Provinz Qinghai gemeldet, Städte in Sichuan ebenso. Alle wollten den Namen Shangri-La für sich, weil das hieß, dass das Touristen anlocken würde. Und so hat die Regierung schließlich eine Entscheidung fällen müssen, und sie hat gesagt: Dieser Ort hier, das ist Shangri-La. Aber ob es das ist, naja, ich bin mir da nicht so sicher."

    Das heutige Shangri-la hat rund 130.000 Einwohner, eingebettet in ein liebliches Tal. Obwohl die Stadt auf 3500 Meter Höhe liegt, sind die umliegenden Berge mit Blumen, Büschen und Bäumen bewachsen. Rinder und Yaks grasen friedlich auf den Weiden, Gebetsfahnen flattern im Wind. Die Tibeter nehmen die Natur als göttlich beseelt war, sie respektieren sie, kommunizieren mit ihr; so auch Tenzin, sobald er in den Bergen wandert.

    Die Tibeter hier sind religiös, viele besuchen regelmäßig die kleinen Tempel. In denen zünden sie Butterlampen und Räucherstäbchen an.

    Auch in der Altstadt von Shangri-la drehen sich die Gebetsmühlen. Allerdings sind sie aus billigem Plastik und stehen in den Souvenirläden für 2,50 Euro zum Verkauf. Denn seit die Stadt den werbewirksamen Namen trägt, kommen immer mehr Touristen in den eigentlich abgelegenen Ort. Auch der 42 Jahre alte Roland Brumberg wurde vom Mythos ins Hochland gelockt.

    "Und ehrlich gesagt habe ich am Anfang auch gedacht, es wäre so ein realer Ort, der schon immer so geheißen hat und es wäre auch ein bisschen ein verheißungsvolles Örtchen, wenn man jetzt dahin reist. Also, wenn man es kritisch betrachtet, kann man schon sagen, dass man auf den Leim geführt wird."

    Dennoch nehmen die meisten Besucher den Werbetrick gelassen hin. Denn trotz der Souvenirlädchen und Gästehäuser ist die Atmosphäre entspannt. Und so ist auch der Franzose Laurent Dubst keinesfalls enttäuscht, die lange Anreise gemacht zu haben.

    "Es ist ein sehr abgelegener Ort, der stark von der tibetischen Kultur geprägt ist. Von daher finde ich schon, dass er den Beschreibungen im Roman ähnelt. Außerdem hat der Ort hier ein beeindruckendes Kloster besuchen, in dem noch heute Hunderte Lamas leben, wo überall Butterlampen brennen. Also für mich ist es durchaus ein interessanter Ort, der den Beschreibungen im Buch ähnelt und mystische Vorstellungen nährt."

    Allerdings könnte damit bald Schluss sein. Eine Eisenbahnlinie und eine Schnellstraße sind bereits in Bau. Sollten sich chinesische Reisende - zu Millionen - auf den Weg ins Hochland machen. Dann würde der Mythos Shangri-la wohl noch weiter schwinden.