Donnerstag, 28. März 2024

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Osborne und Lewis spielen Klavierduette
Märchenhaft der Zeit enthoben

Zwei solistisch erfolgreiche Pianisten spielen vierhändig - das kann schiefgehen. Paul Lewis und Steven Osborne aber harmonieren als Duo wunderbar. Auf ihrem neuen Album spielen sie französische Klavierduette mit der scheinbaren Leitformel: einfach, ohne Übertreibungen! Ganz im positiven Sinn.

Von Christoph Vratz | 02.05.2021
    Zwei Männer sitzen auf einem Bühne an einem schwarzen Konzertflügel. Der linke Mann schaut mit einem Lächeln in die Noten, der andere blickt ihn seitlich an. Etwas abseits sitzt ein dritter Mann im Hintergrund mit einem verschmitzten Lächeln.
    Die beiden Pianisten Steven Osborne(l.) und Paul Lewis (m.) bei einem Konzert in Boston bei den Celebrity Series. (Christani Pal/ Celebrity Series of Boston)
    Musik: Gabriel Fauré - Berceuse, aus: Dolly-Suite
    Eine Geschichte, wie gemacht für die bunten Blätter: Es ist der Sommer des Jahres 1892: ein renommierter Komponist in Paris beginnt eine Affäre mit der Frau eines reichen Bankiers. Die hat gerade ihr zweites Kind geboren, es heißt Dolly. Der Musiker heißt Gabriel Fauré. Er schreibt als Hommage auf das Kind eine Suite für Klavier zu vier Händen, die "Dolly-Suite". Pointe: die Bankiers-Frau wird später noch einmal heiraten, einen Komponisten, aber der heißt nicht Fauré, sondern Claude Debussy. Man kennt sich eben im mondänen, künstlerisch-intellektuellen Paris… Ob es vor diesem Hintergrund Zufall ist, dass sich auf der neuen CD Musik von Fauré und Debussy befindet, bleibe dahingestellt.
    Musik: Gabriel Fauré - Le pas espagnol, aus: Dolly-Suite
    Wenn sich zwei Pianisten, die als Solisten erfolgreich sind, zu einem Klavier-Duo zusammenschließen, ist das nicht automatisch eine Erfolgsformel. Eins plus eins ergibt eben nicht immer zwei – denn das Duo-Spiel bildet tatsächlich eine eigene Disziplin, die weit über die Erfordernisse eines synchronen Spiels hinausreicht. Stimmverteilung, Rücksichtnahme, Balance: drei Aspekte, die bei vierhändigem Klavierspiel oder dem Spiel an zwei Klavieren von zentraler Bedeutung sind.
    Steven Osborne und Paul Lewis haben bereits vor zehn Jahren eine gemeinsame Einspielung mit vierhändigen Schubert-Werken vorgelegt. Da sie auch im Konzert immer mal wieder als Duo auftreten, kann man durchaus von einem gewachsenen Miteinander sprechen. Jetzt haben sie ein Album mit französischer Klaviermusik veröffentlicht, mit Musik von Gabriel Fauré, Francis Poulenc, Claude Debussy, Maurice Ravel – und Igor Strawinsky.
    Musik: Igor Strawinsky - Polka, aus: Kleine Suite

    Mit denkbar großer Schlichtheit

    Verschnaufen nach dem großen Skandal – nachdem Igor Strawinsky 1913 in Paris mit seinem Ballett "Le Sacre du Printemps" das allgemeine ästhetische Musikverständnis der damaligen Zeit auf den Kopf gestellt oder vielmehr: vor den Kopf gestoßen hatte, erholte er sich mit der Komposition kleinerer Werke, darunter den drei einfachen Stücken. Dessen letztes, Polka, deuten Steven Osborne und Paul Lewis mit denkbar großer Schlichtheit, aber mit umso wirksameren Attacken dort, wo sie gefordert sind. Dieser Ansatz könnte wie eine Leitformel über der ganzen CD stehen: einfach, ohne Übertreibungen! Das ist keineswegs negativ gemeint. Im Gegenteil. Wenn Osborne und Lewis tatsächlich in den Noten die Vorgabe finden, es auch mal richtig krachen zu lassen, muss man ihnen das – dem Notentext entsprechend – nicht zweimal sagen, wie bei der Sonate von Francis Poulenc.
    Musik: Francis Poulenc - Prélude, aus: Sonate
    Das Werk eines 19-jährigen: Francis Poulenc schrieb seine kühne und, wie hier zu hören, teilweise überbordende Sonate für Klavier zu vier Händen im Juni 1918. Das Duo Lewis-Osborne beweist rhythmische Straffheit und arbeitet die harmonischen Dissonanzen mit aller gebotenen Schärfe heraus. Sie beschönigen nichts, auch nicht im Finale. Die beiden Pianisten machen aus diesem Satz ein rauschhaftes Perpetuum mobile, das ewig so weitergehen könnte. Die Tönen im oberen Klangbereich leuchten grell und der Bass grummelt entschlossen und zugleich ironisch.
    Musik: Francis Poulenc - Final, aus: Sonate

    Wir erleben einen anderen Paul Lewis

    Hier ist der Zeitpunkt für eine Selbstkorrektur meiner bisherigen Wahrnehmungen gekommen. Den Pianisten Paul Lewis kenne ich vor allem durch seine zyklische Einspielung mit Beethovens Sonaten und Konzerten, außerdem anhand seiner Schubert-Einspielungen, einer Haydn-CD und mehrerer Aufnahmen als Liedbegleiter. Meine Eindrücke ähnelten einander immer wieder: ein am Instrument sehr sorgsam artikulierender Pianist, der jedoch in den Extrembereichen sehr vorsichtig, nach meinem Dafürhalten zu vorsichtig agiert. Lewis machte als Künstler vieles richtig, aber auch nicht mehr. Immer etwas gediegen, verharrend in einer nicht näher zu definierenden Grauzone.
    Hier nun erleben wir einen anderen Paul Lewis. Natürlich, man spürt die Gründlichkeit seiner Vorbereitung auch auf dieser CD. Doch an der Seite von Steven Osborne wagt er mehr. Ein rundes Forte wächst sich zum kernigen Fortissimo aus, ein gesungenes Piano mutiert zu einem ahnungsvoll-flüsternden Pianissimo, wie in den sechs "antiken Epigraphen" von Claude Debussy. Hier der Beginn von "Pour un tombeau sans nom", "Auf ein Grab ohne Namen".
    Musik: Claude Debussy - Pour un tombeau sans nom, aus: Six épigraphes
    Gerade in diesen leisen, andeutenden Passagen zeigt sich, wie gut das vierhändige Duo Paul Lewis und Steven Osborne harmoniert. Einer kann sich auf den anderen verlassen, aus dem Einsatz von 20 Fingern entsteht ein geradezu orchestrales Ganzes. Linien- und Stimmführung fügen sich organisch zusammen. Und selbst wenn Debussy die Monotonie morgendlichen Regens in Musik übersetzt, klingt das sanft und poetisch, aber keineswegs gleichförmig. Die unterschiedlichen, nicht zuletzt dynamisch differenzierten, Bewegungen ereignen sich oft auf engstem Raum; und wenn im Diskant unverhofft eine helle Melodie einsetzt, erinnert das an einzelne Sonnenstrahlen, die das Grau des Regens durchbrechen.
    Musik: Claude Debussy - Pour remercier la pluie au matin, aus: Six épigraphes

    Feinheit und Diskretion

    Das zweite Werk von Debussy auf dieser neuen CD mit französischen Klavier-Duetten ist die "Petite suite", die er bereits im Jahr 1888 komponiert und mit seinem damaligen Verleger erstmals in einem der Pariser Salons öffentlich aufgeführt hatte.
    Musik: Claude Debussy - Cortège, aus: Petite Suite
    Steven Osborne und Paul Lewis statten diese Musik nie mit salonhaftem Plüsch aus, sie meiden künstliche Effekte und spielen mit einer Unaufgeregtheit im besten Sinne. Die Themen treten klar und plastisch hervor, aber keineswegs kühl. Sie lassen in keinem Takt den Verdacht aufkommen, dass es sich bei der "Petite Suite" um ein Gelegenheitsamüsement handeln könnte. Mit ihrer unaufdringlichen Hingabe kommen die beiden Pianisten ihren Hörern entgegen. Zwar hat man das abschließende Ballett durchaus schon ruppiger gehört, robuster, doch für Osborne und Lewis zählen andere Werte: Feinheit und Diskretion, genau aufeinander abgestimmt.
    Musik: Claude Debussy - Ballet, aus: Petite Suite
    Die akribische Aufmerksamkeit der beiden Pianisten ist vom ersten bis zum letzten Ton spürbar, sie erreichen eine beglückend ausgewogene Mischung in den Punkten Präsenz, Farbe und Bewegung. Debussy erscheint hier nicht in Watte gepackt, sondern unmittelbar in allen Details, ausgewogen in allen Nuancen.

    Mit wohltuender Gelassenheit

    Das letzte Werk auf dieser CD sind die Geschichten von der Mutter Gans, "Ma mère l’Oye", von Maurice Ravel, deren ursprüngliche Form eben jene für Klavier zu vier Händen ist. Am Beginn steht die "Pavane de la belle fille au bois dormant", der feierlich-langsame Schreittanz von Dornröschen.
    Musik: Maurice Ravel - Pavane, aus: Ma Mère l’Oye
    Die pianistische Allianz Osborne-Lewis lässt ein sensibles Gespür für indirekte Beleuchtungen erkennen, für alles Lockende und Sinnliche. Gleichzeitig wird diese Sinnlichkeit in all ihrer Transparenz aufgefächert – wie in "Laideronnette, Kaiserin der Pagoden", wo das Tempo so behutsam gewählt ist, dass die Musik in ihrer ganzen Gelassenheit der Zeit enthoben scheint – märchenhaft eben.
    Musik: Maurice Ravel - Laideronette, aus: Ma Mère l’Oye
    Die Gelassenheit, mit der die Pianisten diesen Satz deuten, ist wohltuend. Wie sehr in diesem Stück eine künstlich wirkende, geradezu beißende Nervosität befremden kann, soll der folgende kurze Vergleich zeigen, mit Martha Argerich und Alexander Mogilevsky, aufgenommen 2007 in Lugano.
    Musik: Maurice Ravel - Laideronette, aus: Ma Mère l’Oye (Alexander Mogilevsky & Martha Argerich, Klavier)

    Zum Schluss feines Glitzern

    So virtuos, zugleich so scharf und kühl klingt die Neueinspielung mit Paul Lewis und Steven Osborne glücklicherweise nicht. Die Beiden setzen weniger auf fingertechnischen Hochleistungssport, sondern erfassen die unterschiedlichen Charaktere der jeweiligen Werke mit Maß und Blick – was ein gesundes Maß an Schwung und Euphorie wiederum nicht ausschließt. Das zeigt sich auch im Finale dieser programmatisch klug zusammengestellten, abwechslungsreichen und im besten Sinne unterhaltsamen CD: "Le jardin féerique", der "Feen-Garten" aus "Ma Mère l’oye" von Maurice Ravel. Gelassen und schlicht, organisch und orchestral zugleich, farblich vielschichtig und klang-sensibel, am Ende des Stückes mit selbstbewussten Fanfaren-Klängen, gepaart mit feinem Glitzern - so beschließt das Duo Lewis-Osborne seine CD.
    Musik: Maurice Ravel - Le jardin féerique, aus: Ma Mère l’Oye
    In unserer Sendung "Die neue Platte" habe ich Ihnen heute eine Aufnahme mit französischen Klavier-Duetten vorgestellt. Steven Osborne und Paul Lewis spielen Werke von Gabriel Fauré, Francis Poulenc, Igor Strawinsky, Claude Debussy und – zuletzt – Maurice Ravel – programmatisch ist die CD allemal lohnend, musikalisch kommt sie wie aus einem Guss daher. Die Kunst des Klavier-Duo-Spiels entfaltet sich hier mit geradezu orchestralem Reichtum.