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Oscar-Favorit "Shape of Water"
Die stumme Putzfrau und der Amphibienmann

Der Film "Shape of Water" geht als Favorit in die diesjährige Oscar-Verleihung. Regisseur Guillermo del Toro ließ sich von einem B-Horrormovie aus den 1950er-Jahren inspirieren und liefert doch einen aktuellen politischen Film.

Von Jörg Albrecht | 13.02.2018
    Der mexikanische Regisseur und Filmproduzent Guillermo del Toro Gómez ist mit seinem Film "The Shape of Water" für 13 Oscars nominiert, unter anderem für die Kategorie "Beste Regie".
    Der mexikanische Regisseur und Filmproduzent Guillermo del Toro Gómez ist mit seinem Film "The Shape of Water" für 13 Oscars nominiert, unter anderem für die Kategorie "Beste Regie". (imago / Agencia EFE)
    Eine unbekannte Kreatur – halb Mensch, halb Amphibie – verbreitet Schrecken unter den Teilnehmern einer Expedition an den Amazonas. "Creature from the Black Lagoon" heißt der Film aus dem Jahr 1954, dessen vermeintliches Monster seinen Artgenossen aus "Shape of Water – Das Flüstern des Wassers" geprägt hat.
    Regisseur Guillermo del Toro lässt seine Geschichte aber nicht nur knapp zehn Jahre später spielen – also auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Er hat auch einen anderen Ort gewählt. Schauplatz von "Shape of Water" ist eine US-amerikanische Kleinstadt, in der sich ein streng abgeschirmtes Regierungsgebäude befindet. Das vor kurzem gefangene Wesen wird in einem Wassertank, der einem Sarkophag gleicht, in das Geheimlabor gebracht.
    "Heute erhalten wir ein neues Objekt hier in T4: das sensibelste Objekt, das wir bis dato in dieser Einrichtung hatten."
    Bei der Ankunft des Objekts ist auch die von Sally Hawkins gespielte Elisa anwesend. Die von Geburt an stumme Frau gehört zu den Reinigungskräften in der Einrichtung. Neugierig und furchtlos wagt sie einen Blick in das Behältnis.
    "Schaffen Sie sie raus!"
    Riskante Rettung
    Von Beginn an fühlt sich Elisa hingezogen zu der Kreatur. Vielleicht würden sie und das Amphibienwesen, wenn beide denn sprechen könnten, rückblickend sogar sagen: Es war Liebe auf den ersten Blick.
    Wenn außer ihr niemand im Labor ist, sucht Elisa die Nähe zu dem Amphibienmann. Doch das fremdartige Wesen muss um sein Leben fürchten. So schmiedet Elisa einen wagemutigen Plan: Um die große Liebe ihres Lebens zu retten, wird sie alles riskieren und die Kreatur befreien.
    Bei der Ausführung ihres Plans kann Elisa auf die Unterstützung von drei Personen bauen, die eines miteinander verbindet: Sie sind – wie die stumme Heldin – Ausgegrenzte, die genauso wenig zur US-amerikanischen Leitkultur jener Jahre passen wie in die gegenwärtige. Der Wertekonsens des jetzigen US-Präsidenten und dessen Gesellschaftsbild sind offensichtlich noch tief in den 1950er- und frühen 60er-Jahren verankert.
    "Die klügsten Köpfe des Landes pinkeln in dieser Einrichtung den Boden voll."
    Das eigentliche Monster ist ein Mensch
    Zelda, eine Kollegin von Elisa, ist die erste dieser drei Personen. Als Frau mit afroamerikanischen Wurzeln kennt sie Ausgrenzung und Feindseligkeiten nur zu gut. Dann ist da Elisas Nachbar Giles, ein älterer homosexueller Mann, mit dem sie befreundet ist.
    "Wenn ich noch mal 18 sein könnte und keine Ahnung von gar nichts hätte – ich würde sagen: Pfleg deine Zähne besser! Und ich würde sagen: Hab mehr Sex!"
    Ja, selbst der kommunistische Erzfeind in Gestalt eines sowjetischen Agenten, der sich in das Geheimlabor hat einschleusen lassen, wird bei der Flucht mithelfen.
    Der Einzige hier, der durch inhumanes Verhalten auffällt, ist der weiße, heterosexuelle Familienvater. Er verkörpert das eigentliche Monster in diesem Film.
    "Ihr Ladys scheint gerade nett zu plaudern. Beachten Sie mich nicht!"
    Überraschend aktuell und politisch
    Michael Shannon spielt den wertkonservativen Regierungsmitarbeiter Richard – einen Karrieristen, der keine Gnade kennt und erst recht keine Empathie.
    Da verbirgt sich doch glatt hinter diesem, auf den ersten Blick so poetischen Liebesmärchen mit den wunderbaren Referenzen an die alten Horrorstreifen und den Film noir ein überraschend aktueller politischer Film. Es musste wohl erst ein Mexikaner kommen, um den USA unter Donald Trump den Spiegel vorzuhalten mit einer feinnervigen Lektion in Sachen Humanismus, Diversität und Toleranz.
    Über allem aber legt sich in "Shape of Water" der Zauber des alten Hollywood und seiner "goldenen Ära". Denn kein Ort könnte himmlischer sein für Elisas Wohnung als der direkt über einem Kino.