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Oscar Wilde ganz harmlos

Zur Premiere von Oscar Wildes "Ernst und seine tiefere Bedeutung" in Berlin war viel Prominenz aus Politik und Medien bekommen. Doch die Inszenierung von Katharina Thalbach zeigte unfreiwillig die Probleme heutigen Boulevardtheaters auf. Die Regisseurin, die auch gemeinsam mit ihrer Tochter Anna auf der Bühne stand, hat in keinem Moment eine Übertragung von Wildes bewusst künstlichem Spiel in unsere Wirklichkeit versucht. Es gibt keinen sozialen Zugriff auf den alten Stoff, damit bleibt das Stück harmlos.

Von Hartmut Krug | 16.01.2006
    Das Boulevardtheater lebt von einer heilen Welt. Und von einem Publikum, das treu ist, weil seine Erwartungen bedient werden. Von Komödien voller witziger Dialoge und mit Happy End. Seine Themen sind zeitlos. Es geht um das Individuum und seine emotionalen Irrungen und Wirrungen, - also um Dreiecksbeziehungen und Ehebruch, um Seitensprung und Täuschungen aller Art. Dabei ist die Stärke des Boulevardtheaters zugleich seine Schwäche: es ist geprägt von gesellschaftlicher Zeit- und Ortlosigkeit und bleibt konsequent harmlos.

    Martin Wölffer leitet nun in 3.Generation das seit 1963 als Familienbetrieb im Berliner Kulturleben institutionalisierte kleine Bühnenimperium, bestehend aus dem Theater und der Komödie am Kudamm. Doch seine ehrgeizigen Versuche, Themen und Formen von heute auf seine Bühnen zu holen, wurden vom Publikum wenig honoriert. Weil das einst als Großstadttheater entstandene Boulevardtheater in Berlin mittlerweile vor allem ein, oft überaltertes, Provinzpublikum anzieht. Es krönt seinen Berlin-Besuch mit einem Theaterbesuch, bei dem es ihm von Film und Fernsehen bekannte Stars live erleben möchte. Denn die Kudamm-Bühnen, beide Anfang der 20er Jahre von Oscar Kaufmann erbaut und von Max Reinhardt betrieben, überleben heute nur als Unterhaltungstheater auf kommerzieller Basis durch Darsteller, die dem Publikum von Film und Fernsehen bekannt sind. Wobei den Berliner Bühnen ihre Dresdner, vor allem aber ihre äußerst erfolgreiche Hamburger Filiale im Winterhuder Fährhaus zusammen mit gelegentlichen kleinen Mietunterstützungen durch den Senat das immer mal wieder gefährdetes Überleben sichern.

    Der Widerstand gegen die geplante Schließung der Bühnen durch den Grundstückseigentümer, eine Gesellschaft der Deutschen Bank, die hier ein weiteres Einkaufszentrum errichten will, füllt tausendfach die ausliegenden Protestlisten. Politiker bis zu Bürgermeister Wowereit suchen zu retten, was die Denkmalsschützer, denen Umbauten nach Kriegszerstörungen Argument für die Verweigerung einer Schutzwürdigkeit waren, versäumt haben: nämlich Möglichkeiten wirklicher politischer Einflußnahme zu schaffen.

    Immerhin war zur Premiere von Oscar Wildes "Ernst und seine tiefere Bedeutung" viel Prominenz aus Politik und Medien zur Unterstützung erschienen, so dass die Fotografen und Fernsehteams eine fast undurchdringliche Barriere vor der Komödie am Kurfürstendamm bildeten. Leider zeigte die Inszenierung von Katharina Thalbach unfreiwillig die Probleme heutigen Boulevardtheaters auf. Denn die Regisseurin, die auch gemeinsam mit ihrer Tochter Anna auf der Bühne stand, hat in keinem Moment eine Übertragung von Wildes bewusst künstlichem Spiel in unsere Wirklichkeit versucht. Es gibt keinen sozialen und auch keinen genauen formalen Zugriff auf den alten Stoff.

    Katharina Thalbach walzt Wildes subtiles Spiel mit einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der sich zwei junge Männer mit Lügen und Täuschungen immer wieder einen Freiraum zu schaffen suchen, mit lautem und derbem Brachialspiel platt. Heraus kommt klamottiges Berliner Bulettentheater. Wildes Stück, das mit seinen Wortgefechten und ironischen bis zynischen Bonmot-Stafetten Hugh Auden zu der Meinung brachte, es sei "vielleicht die einzige Wort-Oper in englischer Sprache", verliert, zumal in der uninspirierten neuen Übersetzung von Bernd Eilert, jeden Pep und jede Provokation. Nun ist in Berlin schon Peter Zadek, trotz einer grandiosen Besetzung, 1980 an der Freien Volksbühne an dem Stück gescheitert. Doch er hat immerhin versucht, die drei Liebesgeschichten als Versuch zu zeigen, sich aus beengender gesellschaftlicher Wirklichkeit heraus zu retten. Bei Wilde kommt zu zwei jungen Paaren noch ein komisches älteres, gebildet aus Gouvernante und Pfarrer, deren Darsteller in Thalbachs Inszenierung durch ihre Zurückhaltung im komischen und ihre Genauigkeit im ansatzweise psychologischen Spiel hervorstachen. Doch wie Frau Thalbach insgesamt Wildes provokatorischen Spott über die Gesellschaft durch die Klischeestafette eines reinen Typenzirkus verfehlt, nimmt dem Stück den wilden Schwung seiner Gedanken. Wildes Gesellschaftskomödie der feinen englischen Art von 1895, die mit der Doppelbedeutung des Wortes "Ernest" als Name und Haltung virtuos spielt, wird hier zu einem Kostümschwank, der allein in der Welt des Boulevardtheaters spielt. Das hartnäckige Gerücht, Boulevardtheater sein einfach, wird aufs Schlimmste widerlegt.

    Sicher, es gibt einige schöne Szenen, so die als Singspielparodien inszenierten Szenen, oder wenn die beiden jungen Männer, in deren Rollen Johannes Zwirner und Lucas Gregorowicz angenehm auffallen, einen Streit in die wunderbarsten und absurdesten Duellszenen treiben. Doch dass die beiden sich, wir Zuschauer wissen um die Homosexualität des Autors, obwohl sie beide hinter den jungen Mädchen ihrer Sehnsucht hinterherjagen, gelegentlich mit gleichgeschlechtlicher Anziehung verblüffen, hat weiter keine Folgen.

    Das künstlerische Scheitern dieser Inszenierung muss allerdings keine negative Folgen für die breite Solidaritätsbewegung für die Kudammbühnen haben. Als Unterhaltungstheater der besseren Art haben sie durchaus ihre wesentliche Bedeutung für Berlin. Und da die Deutsche Bank verspürt haben mag, welchen Imageschaden sie durch ihr Vorgehen erleidet, scheint noch Hoffnung möglich.