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Ost-Kandidat für das Bundesverfassungsgericht
Streit um die Nominierung von Jes Möller

Ostdeutsche beklagen einen Mangel von Menschen mit DDR-Biografie in Führungspositionen - trotz Kanzlerschaft Merkel. Nun könnte die SPD, die das Vorschlagsrecht hat, mit einem ostdeutschen Richter für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe punkten. Doch einig ist man sich bei weitem nicht.

Von Christoph Richter | 27.05.2020
Die Hände eines Richter in roter Robe des Bundesverfassungsgerichts und das Urteil auf dem Tisch
Noch nie gab es einen ostdeutschen Richter am Bundesverfassungsgericht (dpa/picture alliance/Uli Deck)
"Es wird ja heute immer wieder diskutiert, dass sich die Ostdeutschen zu wenig vertreten fühlen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass jemand mit einer ostdeutschen Biografie die Ostdeutschen im Bundesverfassungsbericht vertritt."
Für Maria Nooke, der Brandenburger Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der DDR, ist der Fall klar: Sie kann sich den brandenburgischen Richter Jes Möller gut in roter Robe am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorstellen. Mehr noch: In ihren Augen ist es ein Muss. Denn noch nie gab es einen ostdeutschen Richter am Bundesverfassungsgericht.
Und der 58-jährige gebürtige Greifswalder sei zu DDR-Zeiten kein Mitläufer gewesen, fügt Nooke hinzu. Er habe durch sein Engagement in der kirchlichen Umweltbewegung bewusst Nachteile in den Kauf genommen. Die Stasi hatte ihn im Blick, ihm das Biologie-Studium verwehrt. Stattdessen musste sich Jes Möller als Gärtner durchschlagen, erst später konnte er am Ostberliner Sprachenkonvikt – einer kirchlichen Einrichtung - Theologie studieren.
"Er hat also schon in einer Diktatur um Freiheit und Demokratie gekämpft, sich dafür eingesetzt, dafür viel riskiert. Und dieses Streben nach Freiheit und Demokratie liegt ihm heute noch inne. Also auch in der Demokratie vertritt er Werte, für die er gekämpft hat, als es noch gefährlich war."
Interner Streit in der SPD um Nominierung
Nach der Friedlichen Revolution 1989 war Möller Abgeordneter in der ersten und letzten frei gewählten DDR-Volkskammer, studierte dann Jura an der FU Berlin. Um dann im rasanten Tempo die Karriere eines Top-Juristen einzuschlagen. Von 2012 bis 2019 war er Präsident des Verfassungsgerichtes des Landes Brandenburg, jetzt ist er Vorsitzender Richter am Landessozialgericht in Berlin-Brandenburg.
Jes Möller, Präsident des brandenburgischen Verfassungsgerichts, spricht während der Jahrespressekonferenz und zieht Bilanz über das Jahr 2017
Erst Gärtner, dann Theologe und Jurist: Richter Jes Möller (dpa/picture aliance/Sophia Kembowski)
Für Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke ist Jes Möller eine Idealbesetzung am obersten deutschen Verfassungsgericht. Unterstützt wird er außerdem von den CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff und Michael Kretschmer, und das obwohl die SPD das Vorschlagsrecht hat.
Nicht an der Seite von Woidke sind seine Genossen in Rheinland-Pfalz und Berlin, manche sprechen hier bereits von Westberlin. Sie haben mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Rheinland-Pfalz, Lars Brocker, und dem Berliner Professor für Öffentliches Recht, Martin Eifert, eigene Kandidaten ins Spiel gebracht. Hinter den Kulissen gibt es nun mächtig Streit. Die Kampflinie: SPD-Ost gegen SPD-West, weil sich die westdeutschen Landesverbände auf einen ostdeutschen Bewerber nicht einlassen könnten. Der Ton unter den Genossen sei rau, Brandenburgs Regierungschef Woidke wolle nicht locker lassen, heißt es.
Thierse: "Das ist ein bitterböses Schauspiel"
In den überparteilichen Chor der Jes-Möller-Befürworter hat sich - neben Altkanzler Gerhard Schröder und Kanzlerin Angela Merkel - jetzt auch der frühere SPD-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eingeschaltet.
"Ich finde, das ist ein bitterböses Schauspiel. Wenn ein Richter, ein Jurist die Chance hat, Mitglied des Bundesverfassungsgericht zu werden und der kommt aus Ostdeutschland, dann werden offensichtlich andere, strengere Maßstäbe an ihn gelegt, als an einen westdeutschen Richter."
Das sei höchst befremdlich, sagt Thierse. Denn Jes Möller werde zum Vorwurf gemacht, dass das Präsidium des Bundesverwaltungsgerichts vor zehn Jahren ihn mal als "mäßig" bewertet haben soll. Eine Bestätigung gebe es dafür nicht. Mit westdeutschen Kandidaten würde man so nie und nimmer umgehen, empört sich Thierse.
"Ich finde es wirklich skandalös, dass Ostdeutsche - auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung - immer noch keine faire, gleichberechtigte Chance bekommen."
Die Liste sei altbekannt, ergänzt Thierse: Kein Dax-Konzern ist in Ostdeutschland, die Richter an den ostdeutschen Gerichten kommen fast alle aus dem Westen, die Hochschulrektoren sowieso. In den höheren Ebenen der Bundestagsverwaltung sei kein einziger Ostdeutscher zu finden.
"Das darf nicht so weiter gehen. Sonst haben am Ende diejenigen recht, die sagen, nach Jahrzehnten sind wir immer noch benachteiligt. Wir werden systematisch zurückgesetzt. Das darf doch nicht sein."
Eklatante Representationslücke von ostdeutschen Eliten
Der Osten trommelt laut für Jes Möller. Doch es gibt auch Gegenstimmen. In Brandenburg kommen sie aus Reihen der oppositionellen Landtagsfraktion der Freien Wähler. Fraktionschef Péter Vida kritisiert, 2012 habe Möller als Präsident des brandenburgischen Landesverfassungsgerichts rückwirkende Zahlungen für Wasseranschlüsse aus DDR-Zeiten durchgewinkt. Eine Praxis, die das Bundesverfassungsgericht später kassiert hat.
Deutlich wird an dieser Stelle, die Nominierung von Jes Möller sorgt für Streit. Sie ändere aber nichts an der Tatsache, so der Historiker Jens Giesecke vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, das es - auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung - eine eklatante Repräsentationslücke von ostdeutschen Eliten in der Gesamtgesellschaft gebe. Jetzt habe man die Chance, Fehler der Vergangenheit zu beheben. Und würde mit der Wahl von Jes Möller an das Bundesverfassungsgericht etwas für das Selbstwertgefühl vieler Menschen in Ostdeutschland tun.