Donnerstag, 28. März 2024

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Ostchina
Marihuana in jahrtausendealten Räuchergefäßen

Cannabis wird seit Jahrtausenden in Ostasien als Ölsaat- und Faserpflanze angebaut. Forscher fanden jetzt im Pamir-Gebirge Belege dafür, dass Cannabis mit psychoaktiver Wirkung bei Bestattungen verwendet wurde, so Nicole Boivin vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte im Dlf.

Nicole Boivin im Gespräch mit Michael Böddeker | 13.06.2019
Cannabis-Pflanze in der Nähe der nordisraelischen Stadt Safed
Cannabispflanzen wurden in Ostasien seit mindestens 4000 v.Chr. wegen ihres öligen Samens und ihrer Pflanzenfasern angebaut (dpa / picture alliance / Abir Sultan)
Michael Böddeker: Was haben Sie dort in China gefunden?
Nicole Boivin: In Westchina haben Kollegen von uns eine Ausgrabung gemacht, im Pamir-Gebirge. Dort haben sie einen wirklich besonderen Friedhof ausgegraben namens "Jirzankal". Der ist auf etwa 500 Jahre vor Christus datiert. Das ist eine ganz fantastische Stätte. Dort gibt es unglaubliche Modifikationen in der Landschaft, wo Menschen damals mit farbigen Steinen Muster gelegt haben. Und dort gab es unterirdisch diese Gräber. Und darin, in den Gräbern, haben die Archäologen hölzerne Brenn-Gefäße entdeckt. In denen waren Steine drin. Die gab es in acht Gräbern. Und an den Steinen fanden sie Rückstände von Verbrennungen. Die Archäologen wussten dann nicht, wofür diese Steine da waren. Es gab keine weiteren Überreste oder Pflanzenreste. Deshalb haben sie sich entschieden, eine chemische Analyse zu machen.
Hoher Gehalt an THC
Böddeker: Und was kam bei dieser chemischen Analyse raus?
Boivin: Sie haben Cannabis entdeckt. Das war ziemlich interessant. Und nicht nur das, sie haben außerdem noch herausgefunden, dass dieser Cannabis einen hohen Gehalt an THC hatte - höher als in normalem Cannabis, der in der Wildnis wächst. Und dieses THC gibt der Pflanze die psychoaktiven Eigenschaften. Es war also klar, dass die Menschen damals gezielt Cannabis mit hohem THC-Gehalt genutzt haben. Vielleicht haben sie es sogar angebaut, allerdings können wir das noch nicht mit Sicherheit sagen.
Cannabis-Inhalieren in kleinen Zelten
Böddeker: Dieser Fund stammt ja von einem alten Friedhof. Aus welchem Grund wurde dort wohl Cannabis geraucht?
Boivin: Wir nehmen an, dass die Menschen es damals bei Begräbnis-Ritualen genutzt haben. Wenn also jemand gestorben ist und dort begraben wurde. Interessanterweise gibt es aus dieser Zeit auch historische Überlieferungen. Der griechische Historiker Herodot hat im fünften Jahrhundert vor Christus geschrieben. Und er beschreibt die Praktiken der Skythen, die allerdings viel weiter im Westen lebten. Er beschreibt, dass sie kleine Zelte gebaut haben. In den Zelten hatten sie heiße Steine. Sie sind dann in diese Zelte gegangen und haben Cannabis auf die Steine geworfen, wodurch Rauch entstanden ist. Das haben sie in Verbindung mit Begräbnis-Ritualen gemacht. Das, was wir hier sehen, ist sehr ähnlich. Wir sehen Menschen, die die Droge bei Begräbnis-Ritualen genutzt haben. Es ist gut möglich, dass sie Cannabis auch medizinisch genutzt haben. Aber dafür gibt es wenige Belege. Aus solchen Zusammenhängen bleibt es nicht so gut erhalten.
Verbreitung entlang der Seidenstraße
Böddeker: Es gibt aber Belege dafür, dass Cannabis schon früher genutzt wurde. Da allerdings zu anderen Zwecken, oder?
Boivin: Ganz genau. Cannabis wurde schon viele tausend Jahre vor diesem Fund in Westchina verwendet, allerdings zu viel gewöhnlicheren Zwecken. Zum Beispiel, um daraus Seile oder Kleidung zu machen. Und dafür wurde wohl Cannabis genutzt, der keinen so hohen THC-Gehalt hatte. Die Verwendung von Cannabis wegen seiner psychoaktiven Eigenschaften kam erst später, soweit wir wissen. Innerhalb des ersten Jahrtausends vor Christus.
Böddeker: Hat sich Cannabis dann von Westchina aus über die Welt verbreitet, vielleicht über die spätere Seidenstraße?
Boivin: Ja, das kann man sagen. Es ist gut möglich, dass Cannabis über die Seidenstraße hinweg transportiert wurde. Woher genau es stammt, ist immer noch ein bisschen unklar. Aber Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus taucht es an verschiedenen Stellen in Eurasien auf. Zum Beispiel im Altai-Gebirge in Sibirien. Oder wie es Herodot beschreibt bei den Skythen, 440 vor Christus. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich Cannabis entlang der Handelsrouten bewegt hat, die wir heute als Seidenstraße kennen.