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Ostseeküste
Personalmangel in den Urlaubsregionen

Die Küstenregionen in Mecklenburg-Vorpommern sind ein beliebtes inländisches Reiseziel der Deutschen. Doch es mangelt in vielen Orten an Personal. Ein Grund: Erschwinglicher Wohnraum für die Fachkräfte ist knapp - so auch auf der Insel Rügen.

Von Silke Hasselmann | 07.08.2019
Badegäste am Strand von Binz (Mecklenburg-Vorpommern) auf der Ostseeinsel Rügen.
Badegäste am Strand von Binz (Mecklenburg-Vorpommern) auf der Ostseeinsel Rügen. (picture alliance / Stefan Sauer/)
Unterwegs im Amtsbereich Granitz-Mönchgut auf der touristisch sehr beliebten Ostseite von Rügen. Es geht auf den frühen Abend zu. Die Strände leeren und die Gaststätten füllen sich. Das Personal flitzt umher. Und doch dauert es mitunter lange, ehe Karte, Getränke, Essen auf den Tisch kommen. Das liegt nicht nur an den vielen Gästen, die alle zur selben Zeit die gleiche Idee haben, sondern auch am Personalmangel. Der schlage sogar auf der Insel Rügen von Jahr zu Jahr stärker durch, beobachtet Bernhard Wildt, der in Mönchgut lebt. Gut, wer seinen Laden überhaupt noch weiterführen könne, sagt er. Denn:
"Das merken Sie hier schon in der Nachbarschaft, dass mehrere Restaurants selbst jetzt im Sommer nicht öffnen können, weil sie kein Personal mehr finden. Keine Köche, aber auch kein Servicepersonal. Das ist eigentlich die Zeit, in der Geld verdient wird und die Restaurants können nicht mehr öffnen. Daran sehen Sie ganz deutlich, dass wir ein ganz großes Arbeitskräfteproblem haben, weil die Arbeitskräfte wegziehen oder einfach nicht mehr hierher kommen."
"Ich kann hier nicht mehr leben"
Von Ahrenshoop auf dem Darß bis Zinnowitz auf Usedom - viele Einheimische entlang der weitgehend vom Tourismus abhängigen Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern trösteten sich über die schwierigen Nebensaisonphasen mit dem Wissen hinweg, dass sie immerhin "leben, wo andere Urlaub machen." Doch für immer mehr Menschen, die an der Küste arbeiten, gelte: "Wo andere Urlaub machen, kann ich nicht mehr leben." Denn es fehlt an bezahlbarem Wohnraum. Die Gesamtrechnung passe nicht mehr, erklärt Bernhard Wildt am Beispiel von Rügen:
"Sie müssen relativ viel Geld für Miete ausgeben oder für eine Unterkunft bei Ihrem Arbeitgeber, verdienen nicht so sehr viel und das rechnet sich einfach nicht mehr. Auch viele Saisonarbeitskräfte aus Polen, die früher nach Rügen gekommen sind, ziehen heute schon etwas weiter, weil sie genau wissen, dass sie in Süddeutschland deutlich mehr Geld verdienen können als hier."
Gebaut wird reichlich, aber bezahlbare Wohnungen fehlen
Zwar finden sie auch dort nicht immer gleich eine Wohnung oder müssen im Zweifel ziemlich hohe Mieten zahlen. Doch das ist entlang der nordostdeutschen Ostseeküste nicht mehr anders. Da, wo es sich so herrlich Urlaub machen lässt, ist der Wohnungsmarkt von einem recht einseitigen Verdrängungswettbewerb betroffen.
So mancher Alteigentümer und noch mehr neue Investoren wandeln alte Dauerwohnungen in Ferienwohnungen um oder pflastern die Insel gleich mit Neubauten zu. Allesamt Luxus- oder Ferienhäuser - keine Option für jene Leute, die in den Hotels, Pensionen, Gaststätten arbeiten oder etwa für die Beschäftigten in Rügens einziger Großwäscherei in Sellin, die laut Betriebsleiter Andreas Meyer an der Kapazitätsgrenze läuft und für die auch er keine neuen Leute bekomme, denn:
"Wir sind auf dem Weg, den Sylt vor vielen Jahren gegangen ist: Immer mehr bauen, immer mehr Luxus. Muss alles privatisiert werden. Der Privatinvestor hat aber kein Interesse Sozialwohnungen zu bauen. Der will Komfortwohnungen bauen. Und wenn ich mir überlege, wie viel Wohnungsnot wir überall eigentlich haben in diesem ganzen Land, und mir dann anschaue, dass da hunderte und tausende Ferienhäuser zum Anschaffungswert von einer Million oder wenigstens 700.000 Euro stehen, die nicht bewohnt werden dürfen, weil es der Gesetzgeber nicht hergibt, weil sie in einem Ferienhausgebiet stehen, dann muss man spätestens an der Stelle merken, dass irgendwas nicht ganz in die Richtung läuft, in die wir eigentlich wollten und die wir gehen müssen."
Für Mietwohnungen findet sich nicht mal ein Geldgeber
Das Problem: Ferienwohnungen an der Ostsee werfen eine höhere Rendite ab als vermietete Dauerwohnungen. Erst recht, wenn deren Mietpreis gedeckelt ist. So sucht das Ostseebad Sellin seit geraumer Zeit einen Investor für den Bau neuer Mietwohnungen. Deren Miete darf laut Gemeindewunsch nicht höher als acht, neun Euro pro Quadratmeter liegen. Es findet sich niemand.
Werden Baugebiete für Ferienanlagen ausgewiesen oder verkaufen Erben Grund und Boden auf Rügen, stehen Investoren Schlange, weiß Bernhard Wildt, der neben drei Ferienhäusern auch zehn Mietwohnungen auf Rügen vermietet und die Inselbewohner als Abgeordnete der Fraktion Freie Wähler/Bürger für Mecklenburg-Vorpommern." im Schweriner Landtag vertritt.
"Wir haben schon mehrmals zu diversen Aspekten dazu gesprochen. Also es gibt auf jeden Fall einen Wohnungsmangel in den Ostseebädern, und dann sind die Mieten auch hoch."
Wenn alle wieder nur an den Profit denken
Doch es seien vor allem die Gemeinden selbst, die mit dem Planungsrecht das wichtigste Instrument in der Hand hätte. Denn nur sie weisen Bebauungsgebiete aus und bestimmen deren Charakter. Und die Tourismuswirtschaft? Versteht laut Bernhard Wildt nur zum Teil, dass sie in ihrem "Bettenwahn" an dem Ast sägt, auf dem sie sitzt.
"Die externen Käufer von Ferienwohnungen und Ferienhäusern verlassen sich ja darauf, dass die Einheimischen das Ganze auch bewirtschaften. Das fängt bei der Freiwilligen Feuerwehr an, bei der Grünpflege, bei den Arbeitskräften, die hier überall benötigt werden. Aber die Menschen sind einfach nicht mehr hier, die das Ganze bewirtschaften. Also: Noch mehr geht nicht, und deshalb sollte man auch aufhören, immer weitere Flächen zuzubauen."