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Ostukraine-Krieg
Schwieriger Wiederaufbau in Slowjansk

Im Frühling 2014 stand Slowjansk unter Kontrolle von Separatisten. Später eroberte die ukrainische Armee die Stadt zurück. Es war der Auftakt zum bis heute andauernden Ostukraine-Krieg. Viele Orte der Stadt zeigen die Spuren dieses Krieges - genau wie ihre Bewohner. Die Vergangenheitsbewältigung dauert an.

Von Peter Sawicki | 28.02.2019
Seitenteil eines grünen, zerschossenen Gebäudes
Spuren des Ostukraine-Krieges an einem Gebäude in Slowjansk (Deutschlandradio/ Peter Sawicki)
Als Jurij Smal die Tür öffnet, blickt er in ein skeptisches Gesicht. Gefällt es Dir bei uns, fragt der Psychiater. Der kleine Maxim sitzt auf einem Stuhl und schweigt. Die Krankenschwester antwortet für ihn. Na klar gefalle es ihm, und er werde gleich von seiner Mutter abgeholt.
Smal schließt die Tür und führt weiter durch die beleuchteten Gänge. Vorbei an modernen Behandlungsräumen und Spielzimmern. Bunte Tier- und Blumenbilder zieren die beige gestrichenen Wände.
Jurij Smal ist Chef der Regionalen Psychiatrischen Klinik in Slowjansk im Osten der Ukraine. In der Kinderstation werden knapp 40 junge Patienten behandelt, erzählt er. Trotz ihrer gesundheitlichen Probleme – dass sie in der Klinik behandelt werden können, erscheint als Glücksfall. Besonders in Slowjansk.
Umso deutlicher wird das beim Hinaustreten auf die Schotterpiste vor dem Gebäude. Nur das Dröhnen eines Lastermotors unterbricht die beinahe gespenstische Stille. Jurij Smal deutet auf ein brüchiges Gemäuer gegenüber:
"Dieses Gelände war mal eine Zone der Erholung, mit viel Grün, mit Bäumen. Der Krieg hat das verändert. Das da drüben war 15 Jahre lang der Kulturklub der Klinik. Theaterstücke und Konzerte wurden dort aufgeführt. Leider sind davon nur noch die Mauern übrig."
Die Wände sind von Einschusslöchern übersät
Nüchtern beschreibt Smal eine Kulisse, die apokalyptisch wirkt. Mehr als ein Dutzend Gebäude zählt die Psychiatrische Klinik, eigentlich. Vom Großteil sind nur Skelette übrig. Die Wände sind von Einschusslöchern übersät, einige Häuser wurden offenbar von Panzerartillerie traktiert, sie sind eingestürzt.
Passiert ist das im Frühling 2014. Damals stand Slowjansk unter Kontrolle von Separatisten. Später eroberte die ukrainische Armee die Stadt zurück. Es war der Auftakt zum bis heute andauernden Ostukraine-Krieg. Die wochenlangen Kämpfe machten auch vor der Klinik nicht Halt. Es gibt in Slowjansk Menschen, die deshalb auch Kiew kritisieren. Psychiater Smal gibt sich distanziert. Und schildert seine Erlebnisse:
"Als der Krieg ausbrach, haben wir zügig Hilfe erhalten. Die ersten Kämpfe begannen Anfang Mai 2014, nicht weit weg von hier. Die Gefechte wurden dann immer heftiger, und für Patienten und Personal wurde es gefährlicher. Dann evakuierte uns die Armee, wir kamen in einem anderen Teil der Klinik stadtauswärts unter. Ab Ende Mai gab es auch hier Kämpfe. Wer aber was genau gemacht hat, das kann ich Ihnen nicht sagen."
Fünf jüngere Menschen stehen freundschaftlich nebeneinander und schauen in die Kamera
Mitglieder des Teams vom Bürgerhaus "Teplitsia" in Slowjansk (Deutschlandradio/ Peter Sawicki)
Für Smal ist es wichtiger, dass heute zumindest die Kinderabteilung wieder in Betrieb ist. Ende 2017 wurde sie wiedereröffnet. Die Kosten von 13 Millionen Euro hat vor allem Deutschland gedeckt. Dafür, betont Smal, sei er dankbar.
In einem anderen Teil der Stadt klingelt ein Telefon. Im Bürgerzentrum "Teplitsia" ist frühabends immer viel los. Im Hauptsaal vor der Tür läuft ein Seminar. Im improvisierten Büro plant das Team kommende Events.
"Teplitsia" heißt auf Deutsch Gewächshaus. Der Begriff ist gezielt gewählt. Während in Slowjansk die Kinderpsychiatrie den materiellen Wiederaufbau symbolisiert, steht "Teplitsia" für den in der Gesellschaft. Es gibt dort Sprachkurse, Musikabende und Hilfe für Menschen mit Behinderung, häufig Kriegsinvaliden. Die Einwohner sollen so wieder zueinander finden.
Reden über den Krieg
Daria Nikolaenko setzt sich an den Holztisch. Nachdem die Kämpfe in Slowjansk endeten, war die Stadt wie in einem Vakuum, erzählt sie:
"Damals hatten viele das Bedürfnis, einfach zu reden. Vor allem über Themen, die nichts mit Krieg zu tun hatten. Zum Beispiel, was man hier Nützliches tun könnte. Wir haben dann diese Räume eröffnet. Auch deshalb, weil wir uns bewusst machen wollten: Ja, ich kann hier etwas verändern. Ich und niemand anderes."
Der Krieg und die Besatzung durch die Separatisten, so schildert es Nikolaenko, habe viele traumatisiert. Und auch das äußere Bild von Slowjansk beeinträchtigt. Ein Thema, das ihr Unwohlsein bereitet:
"Wir sprechen darüber sehr ungern. Es sind schon viele Jahre vergangen, und wir wollen nach vorne blicken. Jedenfalls war es nicht gerade toll. Es waren oft Schüsse zu hören, nachts gab es eine Ausgangssperre und es fehlte sogar an Wasser. Wir haben das aber hinter uns gebracht."
Darüber ist auch Katerina Gontschar froh. Auch sie ist Mitglied des "Teplitsia"-Teams und gesellt sich an den Tisch. Sie merkt an, dass es nicht leicht sei, einen nachhaltigen Dialog in der Stadt anzustoßen. 2014 hatten die Separatisten auch Unterstützer. Und auch heute sympathisierten einige mit Russland:
"Ich glaube, es gibt nicht wenige, die so denken. Die Konflikte treten aber nicht mehr so offen hervor wie vor zwei, drei Jahren. Wir lernen langsam, einander zuzuhören. Vor allem mit Älteren ist es aber oft zwecklos zu diskutieren. Meine Erfahrung ist, dass man mit Leuten, deren Meinung man nicht teilt, eher nicht über Streitthemen spricht."
Die Vergangenheitsbewältigung dauert an
Die Vergangenheitsbewältigung dauert in Slowjansk noch an. Daria Nikolaenko setzt auf die junge Generation. Ihr solle "Teplitsia" helfen, den Horizont zu erweitern. Und dass sie lernt, sich in einer freien Gesellschaft selbst zu verwirklichen. Das, so Nikolaenko, sei heute kostbarste Gut.
In der Klinik am Stadtrand übt eine Kindergruppe Grammatik. Der Bedarf an psychiatrischer Hilfe ist in Slowjansk besonders groß, erklärt Chefarzt Jurij Smal. Er wünscht sich vor allem eines:
"Es ist ein gewaltiger Schock, Mord und Schüsse zu erleben. Man kann Kriegsfilme schauen, man kann Bücher darüber lesen. Es mit eigenen Augen zu sehen, ist eine völlig andere Sache. Bei uns ist es heute ruhig und friedlich. Und das soll so bleiben. Und die Klinik soll nur noch dazu da sein, Menschen zu helfen."